Der neue Sonnenwinkel Box 11 – Familienroman. Michaela Dornberg
was Nicki hergetrieben hatte.
Weil sie so eng miteinander befreundet waren, kannten sie sich natürlich in- und auswendig Einer harmlosen Frage folgte bei Nicki oftmals eine Eröffnung mit einem Paukenschlag.
Nicki ließ sich Zeit mit ihrer Antwort, trank genüsslich etwas von ihrem Kaffee, dann sagte sie: »Ich bin vor Jens geflohen.«
Das konnte Roberta nun überhaupt nicht verstehen, Jens war nicht nur Nickis Nachbar, sondern sie verstanden sich hervorragend, und Roberta war sogar davon überzeugt, dass Nicki und Jens zusammenpassten wie Pott und Deckel. Doch davon wollte Nicki überhaupt nichts wissen, Jens war ein Freund, nicht mehr, und damit basta. Jens schien es offensichtlich auch nicht anders zu sehen, denn er, der smarte Professor, hatte ständig wechselnde Frauenbekanntschaften.
Nicki sollte es nicht so spannend machen.
»Nicki, lass dir nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen, wieso bist du vor Jens geflohen? Das kann man nicht leicht nachvollziehen, denn ihr seid doch ein Herz und eine Seele.«
Nicki kicherte. »In der Regel schon, doch nicht, wenn Jens mal wieder für ein Wesen weiblichen Geschlechts entbrannt ist, und unerträglich ist er, wenn es wieder einmal nicht die Richtige war, wenn er sie oder wenn sie ihn verlassen hat.«
»Und das war jetzt der Fall, oder?«
Nicki nickte, trank wieder erst einmal etwas von ihrem Kaffee, ehe sie sich genötigt sah, eine Erklärung abzugeben.
»Er hatte da eine Rothaarige am Bändel, und dann musste er feststellen, dass diese Dame zweigleisig fuhr. Sie hatte neben Jens noch einen anderen Mann. Und so was geht für ihn ja überhaupt nicht. Ich glaube nicht einmal, dass er besonders in diese Frau verliebt war, Es ist eher so, dass er sich in seiner Eitelkeit verletzt fühlt. Männer …«
Sie führte den Satz nicht aus, doch man konnte klar erkennen, was sie davon hielt.
»Auf jeden Fall wollte er den Abend mit mir verbringen, und darauf habe ich nun überhaupt keinen Bock. Er hat mir bereits genug damit in den Ohren gelegen, mehr geht nicht.«
»Nicki, ein Abend vergeht so schnell, die paar Stunden hättest du auch noch geschafft, und eines ist gewiss, du mit deiner fröhlichen Art hättest ihn auf andere Gedanken gebracht«, wandte Alma ein.
Nicki nickte. »Ja, Alma, das stimmt. Aber ich habe mehr als nur einmal mit Jens über dieses Thema gesprochen, mit dem er mir stundenlang in den Ohren gelegen hat. Einmal muss Schluss sein, schließlich bin ich keine Alleinunterhalterin. Außerdem …«, ihre Stimme wurde leiser, zögerlich, »gibt es da noch etwas.«
Bei Roberta gingen alle Alarmglocken an, das mit Jens war nur vorgeschoben, der eigentliche Grund ihres Hierseins war das, womit sie nicht so recht herauswollte. Roberta war klug genug, jetzt nichts zu hinterfragen. Wenn, dann musste Nicki es von sich aus erzählen, und damit ließ sie sich Zeit. Sie trank Kaffee, stopfte sich einen kleinen Florentiner in den Mund, die Alma in weiser Voraussicht auf den Tisch gestellt hatte, obwohl nach allem, was Nicki gegessen hatte, eigentlich kein Platz mehr in ihrem Magen sein dürfte. Es war Platz, doch das registrierten Alma und Roberta nur, sagten nichts.
»Pete ist in der Stadt«, sagte Nicki schließlich, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt. »Mehr oder weniger auf der Durchreise, ich habe keinen Bock, ihn zu sehen, und das ist auch der eigentliche Grund, weswegen ich hier bin. Kann ich bis zum Wochenende bleiben?«
»Du kannst bleiben, so lange du willst, Nicki, das weißt du doch. Ich freue mich über jeden Tag, den du im Doktorhaus weilst, und da glaube ich auch, für Alma sprechen zu können.«
Die nickte zustimmend, und dann sprang sie auch schon auf, um das Gästezimmer für Nicki herzurichten. Das hätte sie auch später tun können, doch Alma war ein sehr feinfühliger Mensch, sie wollte die Freundinnen allein lassen, weil es Gespräche gab, bei denen niemand dabei sein musste.
Die Freundinnen waren allein, und zunächst einmal herrschte Schweigen, doch das war keinesfalls unangenehm. Den beiden Frauen waren alle Facetten der Kommunikation vertraut, sie konnten miteinander reden, lachen, weinen, aber auch schweigen. Es war nicht so, dass es Roberta nicht interessierte, jetzt mehr zu erfahren. Schließlich war Pete, der englische Straßenmusikant, nicht irgendwer. Nein, er wäre der Vater von Nickis Baby gewesen, wenn sie es denn bekommen hätte. Es war eine lange, eine sehr traurige Geschichte, an der Roberta freiwillig nicht mehr rühren würde.
»Pete ist für ein paar Tage in der Stadt, genau bis zum Wochenende, das stand so in den Zeitungen. Er ist schließlich nicht irgendein Musikant, sondern stammt aus hochherrschaftlichem englischen Hause, darüber lohnt es sich, schon mal zu schreiben. Er stand vor meiner Tür, aber ich habe nicht geöffnet.«
»Und warum nicht, Nicki? Auch wenn es nur für kurze Zeit war, standet ihr euch doch sehr nahe. Und dass er direkt bei dir anklingelt, ist doch ein gutes Zeichen.«
Das sah Nicki ganz anders, und das drückte sie auch mit ihren nächsten Worten aus.
»Roberta, verbräme es nicht mit einem romantischen Schleier. Pete und ich hatten eine unverbindliche Affäre, und dass ich von ihm schwanger geworden bin, war ein Zufall, man kann auch sagen, meine Dummheit, Nachlässigkeit. Wie auch immer. Das mit ihm und mir war nett, unverbindlich, und selbst wenn ich das Kind bekommen hätte, hätte er niemals etwas davon erfahren. Es ist anders gekommen. Ich habe kein Kind, und ich will ihn nicht treffen, weil ich durch seine Gegenwart an das Geschehen aus der Vergangenheit erinnert werde, was wirklich sehr schmerzlich für mich war, weil ich das Kind wollte. Ich will ihn nicht sehen, weil es vorbei ist, weil man Affären nicht aufwärmt. Würde man es tun, wäre es keine Affäre mehr. Alles hat, wie du weißt, seine Zeit, es war nett, doch es lohnt sich nicht, es aufzuwärmen. Ehrlich mal habe ich auch überhaupt keine Lust, das jetzt aufzuwärmen, es ist vorbei. Und das Schicksal hat es so gewollt, dass ich das Kind nicht bekommen soll. Es tut immer noch ein bisschen weh, aber damit muss ich leben, und mittlerweile sage ich mir sogar, wer weiß, wofür es gut war.« Sie blickte Roberta an. »Es tut mir leid, dass ich Pete jetzt als Vorwand brauche, um ein paar Tage in deinem Sonnenwinkel sein zu können. Sei bitte nicht böse, dass ich es sonst kaum schaffe. Aber dein Sonnenwinkel und ich, wir werden wohl niemals Freunde werden. So, und jetzt erzähl mal, was hier so alles passiert ist. Claire hat sich wirklich diesen reichen Piet van Beveren geschnappt und hat die Praxis verlassen. Kannst du damit umgehen?«
»Ich hätte sie gern hier behalten, denn wir waren ein so gutes Team, doch ich muss etwas richtigstellen, Nicki. Sie hat sich ihn nicht geschnappt, weil er reich ist. Piet und Claire verbindet eine große, eine aufrichtige Liebe. Anfangs wusste sie nicht einmal, wer er ist, was er besitzt. Sie hielt ihn für einen Handelsvertreter, der mühsam sein Geld verdient, und dennoch hatte sie sich in ihn verliebt. Es gibt sie wirklich noch, die wahren Liebesgeschichten, die man staunend betrachtet, an denen man sich erfreuen kann. Das auf jeden Fall ist so eine, und auch wenn ich Claire deswegen verloren habe, freue ich mich für sie. Es geht immer weiter, wir sind dabei, in der Praxis alles umzustellen, und es klappt schon ganz gut.«
»Und jemanden einzustellen, daran denkst du nicht, Roberta?«, wollte Nicki wissen. »In der derzeitigen Konstellation kann man alles überhaupt nicht schaffen, da bleibst du irgendwann auf der Strecke. Warum nimmst du denn nicht diesen Kollegen, den du ins Auge gefasst hattest, ehe du Claire begegnet bist?«
Roberta winkte ab.
»Ich hatte ihn wegen Claire nicht ausgebootet, sondern er konnte sich nicht entscheiden. Jetzt weiß ich, dass es mein Glück war, denn er und ich, das hätte nicht gepasst. Dr. Anders ist ein wirklich guter Arzt, den ich sehr schätze, aber er und ich, wir funktionieren einfach zu verschieden, und Claire hat große Fußspuren hinterlassen, in die passt so schnell niemand. Mach dir mal keine Sorgen, Nicki, es ist gut wie es ist. Ich arbeite gern, und weil das, was ich mache, meine Berufung ist, arbeite ich auch viel.«
Nicki hatte noch etwas auf dem Herzen.
»Oder schüttest du dich mit Arbeit zu, um nicht an Lars denken zu müssen, Roberta?«
Nicki konnte solche Fragen stellen, weil Roberta wusste, dass sie es nicht aus Neugier tat, sondern aus Besorgnis.