Die Chroniken Aranadias I - Die Tochter des Drachen. Daniela Vogel

Die Chroniken Aranadias I - Die Tochter des Drachen - Daniela Vogel


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Sagt Lukas, ich will, dass er sich unverzüglich bei mir meldet, wenn er an Bord kommt!« Wenn Marcus recht hat, und die beiden ein Saufgelage veranstaltet haben, dann reiße ich jedem Einzelnen von ihnen den Kopf ab und werfe sie anschließend über Bord, dachte er. Als er in etwa auf halbem Weg zu seiner Kabine war, riss ihn ein Tumult auf den Docks aus den Gedanken. Instinktiv machte er auf dem Absatz kehrt und ging zurück. Die Menschen bildeten jetzt eine Traube um einen Mann und schrien aufgeregt durcheinander. Neugierig geworden sprang er über das Geländer auf die Gangway und lief hinüber zu der tosenden Meute.

      »Was ist hier los?«, Ruben sah mit grimmigem Blick auf die tobende Menschenmasse herunter. Aufgrund seiner Körpergröße, wirkte er geradezu furcht einflößend. Die Menge verstummte.

      »Es geht nicht gegen Euch, Herr. Wir streiten uns auch nicht. Es ist nur, es gibt Neuigkeiten in der Stadt. Die Herolde verkünden es überall. Nachdem er versucht hat, die Königin zu ermorden, hat jemand unsere Prinzessin entführt. Gott Lob, unsere allergnädigste Majestät blieb jedoch unverletzt. Sie befindet sich bereits auf dem Weg hierher, nach Andrass. Die Garden und die Armee haben den Auftrag, die Entführung zu vereiteln und den Entführer tot oder lebendig in unsere Stadt zu bringen. Möge Gott sie schützen und unsere Prinzessin heil aus den Händen dieses Bastards befreien. Lang lebe unsere Königin!«

      »Lang lebe unsere Königin und Gott schütze die Prinzessin!« Die Menge schrie und tobte, während Ruben fassungslos auf den vor ihm stehenden Mann starrte. Das konnte und durfte doch alles nicht wahr sein. Diese Geschichte erschwerte einfach alles. All seine Pläne wurden mit den Worten dieses Mannes über den Haufen geworfen. Aber, es half alles nichts. Er musste jetzt abwarten bis Lukas zurückkam, um mit ihm zu reden.

      Ruben saß in seiner Kajüte. Da es bereits dämmerte, war der Schein der Kerze, die unaufhörlich auf die Tischplatte tropfte, das einzige Licht, das den Raum noch erhellte. Ihre Flamme warf tanzende Schatten an die Wand. Er beugte sich über ein Blatt Papier, das direkt vor ihm auf den Tisch lag, und war so darin vertieft, dass er das Tropfen der Kerze gar nicht bemerkte. Wieder und wieder überflog er die Zeilen.

       Treff mich in der Hafenschenke, kurz vor Sonnenaufgang, am 18. März. Es ist dringend. Ich muss unbedingt etwas mit dir besprechen. Alles hat sich geändert, du wirst sehen. Ich habe Dinge erfahren, die ich niemals für möglich gehalten hätte. Ich hoffe nur, wir können trotzdem an unserem Plan festhalten. Damit wir nicht auffallen, schick’ am besten Lukas. Er kann mich unauffällig zu dir führen. Alles Weitere erzähle ich dir dann bei unserem Treffen.

       R

      Darunter prangte sein Siegel. Diese Nachricht war eindeutig von seinem Vetter. So viel war sicher. Aber, wo steckte dieser Kerl? Lukas hatte sich bis jetzt noch immer nicht bei ihm gemeldet, was äußerst ungewöhnlich war, denn normalerweise führte er Aufträge unverzüglich aus. Ruben wusste mittlerweile nicht mehr, was er von all dem halten sollte. Sollte sich sein Cousin einen Scherz mit ihm erlaubt haben, dann war es einer von der übelsten Sorte. Es ist doch sonst nicht seine Art, dachte er, erst die Pferde scheu machen und dann nicht erscheinen. Etwas stimmt da nicht, sonst wäre er zu dem Treffen erschienen und Lukas mit Sicherheit wieder an Bord. Aber vielleicht war er ja auch erschienen und Marcus hatte mit seiner Vermutung recht. Lukas und sein Cousin waren fast gleich alt. Sie kannten sich seit ihrer Kindheit und so ein Wiedersehen konnte durchaus feucht, fröhlich verlaufen.

      Es klopfte an der Tür. Von dem Geräusch aufgeschreckt, wandte Ruben seinen Blick von der Nachricht ab und hob seinen Kopf.

      »Herein!« In der Tür erschien der blonde Lockenschopf seines Steuermanns.

      »Aye, Kapitän!« Lukas betrat den Raum. Er machte keinen angetrunkenen Eindruck, demnach hatte auch keine Wiedersehensfeier stattgefunden.

      »Du bist spät dran!«, bemerkte Ruben nebenbei. »Und?« Er betrachtete neugierig den jungen Mann, der nun vollständig in dem Raum stand.

      »Nichts und!«

      »Wo zum Teufel bist du gewesen?«

      »Ich habe Stunden in dieser stinkenden Hafenkaschemme auf ihn gewartet. Aber, da war nicht die geringste Spur von ihm. Ich habe die Leute dort gefragt, doch keiner kannte ihn. Du weißt genau so gut wie ich, dass er nicht gerade unauffällig ist. Mit seinen langen, dunklen Haaren und dem braunen Teint müsste er hier unter diesen hellhäutigen Rotschöpfen eigentlich auffallen wie ein bunter Hund. Aber es ist merkwürdig: Niemand hat ihn gesehen oder konnte sich an ihn erinnern. Er scheint, wie vom Erdboden verschluckt.« Lukas zog eine ernste Miene. Seine blauen Augen funkelten. »Ruben!«

      »Ja?«

      »Da ist noch etwas, was mir Sorgen macht! Hast du schon die Neuigkeiten gehört?«

      »Du meist das mit der Entführung und dem Mordversuch an der Königin? Ja, habe ich!«

      »Ist es nicht komisch, dass das gerade jetzt passiert? Was hattet ihr eigentlich genau geplant?«, Lukas fixierte Ruben, der verlegen auf die vor ihm liegende Nachricht starrte.

      »Eigentlich wollte er nur die Lage auskundschaften. Nachdem Abdullahs Kopf mit einer Nachricht zurückgesandt wurde, wollte er Gewissheit. Immerhin geht es um seine Zukunft. Er ist mit Charles auf dem Landweg hierher geritten. Es gingen Gerüchte um, nach denen Roxane etwas plane. Wir wollten uns hier in Andrass treffen, um alles Weitere zu besprechen. Aber anscheinend ist etwas schief gegangen.«

      »Eigentlich? Du meinst doch nicht etwa ...?«

      »Ich glaube nicht, dass er dumm genug wäre, einen Alleingang zu wagen, noch dazu einen Mordversuch. Er ist zwar temperamentvoll, aber kein Idiot. Wenn er wirklich etwas mit der Entführung zu tun haben sollte, dann kann das nur bedeuten, dass er etwas erfahren hat, was ihn zu dieser Tat zwang. Gott gebe, dass es nicht so war!« Ruben erhob sich und lief nervös auf und ab, dabei fuhr er sich wiederholt durch seine langen Haare. Lukas schwieg. »Das Einzige, was ihn zu solch einer Dummheit hätte verleiten können, wäre die Tatsache, dass das Leben der Prinzessin auf dem Spiel stünde. Ich kann und will aber nicht glauben, dass Roxane fähig wäre, ihrer eigenen Tochter etwas anzutun. Ihrem Mann damals, vermutlich. Unbequemen Adeligen, höchst wahrscheinlich. Aber, ihrer eigenen Tochter?« Ruben sah Lukas fragend in die Augen, als erwarte er in ihnen eine Antwort.

      »Ich war noch in der Stadt!«, lenkte der junge Mann vom Thema ab.

      »Das hätte ich mir auch denken können! Wäre auch unwahrscheinlich, dass du fast einen ganzen Tag in einer Hafenschenke verbringst und noch dazu allein!«, entgegnete Ruben ihm wütend. Er war sich bewusst, dass sein jetziger Ausbruch eigentlich nicht seinem Steuermann galt, sondern vielmehr demjenigen, dessen Nachricht ihn hierher getrieben hatte, aber dennoch tat es gut, seinen Gefühlen endlich Luft zu machen.

      »Warte! Bevor du mir den Kopf abreißt, hör mich erst einmal an!« Ruben murmelte etwas in sich hinein, ließ den jungen Mann aber weiter sprechen. »Als ich von der Entführung erfuhr, wurde ich neugierig. Ich wollte mich noch etwas umhören. Du weist genau so gut, wie ich, dass sich Gerüchte unter der Bevölkerung schneller verbreiten, als ein Lauffeuer. Für einen Golddukaten erfährt man viel.« Er grinste Ruben vielsagend an und zeigte dabei seine schneeweißen Zähne.

      »Spann mich nicht länger auf die Folter, oder ich werfe dich in das Fischfass. Was hast du erfahren?«

      »Es gibt mittlerweile zwei Versionen der Geschichte. Eine Offizielle und eine, nah, du weißt schon!« Ruben nickte. »Zuerst die Offizielle: Die Königin hielt sich, wie jedes Jahr zu dieser Zeit, mit ihrer Tochter in ihrem Winterquartier in Barwall auf. Vorgestern Nacht soll ein vermummter, gedungener Mörder in den Palast eingedrungen sein. Er soll zunächst die Räumlichkeiten der Königin aufgesucht haben. Laut Angaben, hat er, auf Roxane eingestochen, die aber, wie durch ein Wunder, unversehrt blieb. Danach soll er sich in die Gemächer der Prinzessin geschlichen haben. Nachdem er ein paar Wachen niedergestreckt hatte, wurde die Gute von ihm besinnungslos geschlagen. Anschließend floh er mit ihr. Einige andere Wachen fanden ihre toten Kameraden und die verstörte Königin. Seither jagen sie den Halunken durch das ganze Land. Archibald von Arosa hat von der Königin persönlich den Auftrag erhalten, ihn auf jeden Fall lebend hier nach Andrass zu bringen. Roxane selbst


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