Die Chroniken Aranadias I - Die Tochter des Drachen. Daniela Vogel
und den anderen Männern zu. Schlagartig wich ihre Faszination blankem Entsetzen.
»Hauptmann, wollt Ihr?« Er hob den Gurt in die Höhe, um ihn dann, wie eine Peitsche auf den Boden knallen zu lassen. Das Geräusch dröhnte in Rilanas Ohren. Unwillkürlich zuckte sie zusammen.
»Lass gut sein, Wilbur! Das kannst du viel besser als ich, aber lass ihn am Leben, wir brauchen ihn noch!« Archibald grinste, während seine Leute in schallendes Gelächter ausbrachen.
Nie würde sie vergessen, mit welcher Begeisterung Wilbur, jetzt erinnerte sie sich auch wieder an den Namen ihres blutrünstigen vierten Begleiters, erneut an die alte Eiche herantrat. Sichtlich erfreut, mit der Präzision eines Uhrwerks, begann er mit seiner Aufgabe. Er holte mit dem Lederriemen weit nach hinten aus. Dann ließ er ihn mit der Wucht eines Hammers auf Raouls bloßen Rücken knallen. Bereits beim ersten Aufprall zog sich eine blutige Strieme quer über die nackte Haut. Der junge Mann zuckte zusammen, sog laut Luft durch seine Zähne, vermied es jedoch, zu schreien. Der zweite Schlag verlief diagonal zum Ersten. Auch diesmal sah man nur ein leichtes Zucken, das durch den am Baum hängenden Körper fuhr. Wilbur hatte sichtlich Spaß, an dem, was er gerade tat. Wieder und wieder ließ er die Peitsche knallen. Die Striemen zogen sich bereits wie ein Gitternetz über Raouls Rücken. Sein Blut lief an ihm herunter und verfärbte die Reste seines vormals weißen Hemdes tiefrot. Doch immer noch spannte der junge Mann verzweifelt seine Muskeln an und versuchte trotz seiner Pfeilverletzung auch weiterhin standzuhalten. Was ihm jedoch sichtlich schwerfiel. Dennoch schrie er auch jetzt noch nicht. Wilbur, wütend über seinen mangelnden Erfolg, steigerte zunehmend die Wucht seiner Schläge. Obwohl die gesamte Szene verabscheuungswürdig war, zwang sich Rilana dennoch weiter zuzusehen.
»Fünfzehn, sechzehn.« Die Männer neben ihr begannen, unter Gebrüll jeden einzelnen Hieb mitzuzählen.
»Siebzehn, achtzehn.« Der Gurt traf Raoul mit solch einer Wucht, dass sein Körper nachgab und sein Kopf in den Nacken fiel. Schrei endlich, dachte sie, dann lassen sie dich in Ruhe. Du musst schreien, damit er aufhört. Doch der Gefangene machte keinerlei Anstalten, auch nur einen Ton von sich zu geben.
»Neunzehn, zwanzig.« Rilana konnte sich das Spektakel nicht länger mit ansehen.
»Einundzwanzig.«, Raoul stöhnte leise. Das war endgültig zu viel. Sie musste würgen, während sie angewidert dem Geschehen den Rücken zuwandte. Dann rannte sie, als wäre der Teufel hinter ihr her, zurück zu den Büschen, die ihr vor nicht allzu langer Zeit als Unterschlupf gedient hatten.
»Zweiundzwanzig.« Völlig außer Atem ließ sie sich auf den Boden hinter die Sträucher fallen.
»Dreiundzwanzig.« Im hohen Bogen entleerte sich der Inhalt ihres Magens. Sie würgte sich beinahe die Seele aus dem Leib. Tränen liefen über ihre Wangen. Sie wollte nur noch alleine sein, alles um sich herum vergessen. Von Ferne ertönten noch immer die Stimmen der Männer, während Rilanas Herz noch wilder in ihrer Brust hämmerte und ihr Pulsschlag so laut in ihren Ohren dröhnte, dass sie kaum noch etwas hören konnte.
»Und dreißig.« Ein lauter Schrei zerriss die Luft. Ihr Herzschlag setzte für einen Moment aus, dann wurde es plötzlich still. Fast schon bedrückend, gespenstisch still. Sie lauschte gespannt, doch es blieb ruhig. Gott sei Dank, es war vorbei.
Selbst hier im Gebirge wurde ihr bei der Erinnerung an diese Szene ein weiteres Mal speiübel. Warum hatte er nicht einfach geredet? Es hätte gar nicht erst so weit kommen müssen.
»Wollt Ihr etwas trinken? Hier ist Wasser!« Archibald war ihr in der Zwischenzeit zu den Büschen gefolgt. Mit Tränen verschmiertem Gesicht schaute sie auf den großen, bärtigen Mann, der vor ihr stand und ihr einen Trinkschlauch unter die Nase hielt.
»Das war Eure erste Auspeitschung, nicht wahr?«, sie nickte. »Mir ging es auch nicht viel besser, als ich das zweifelhafte Vergnügen meiner Ersten hatte. Aber, man gewöhnt sich an alles!« Er hob ihr Gesicht in die Höhe, dabei trocknete er behutsam ihre Tränen, während er sanft auf sie einredete. »Es gibt Männer, wie Wilbur, die Gefallen an so einem Spektakel finden. Ich, hingegen, hätte es dem Knaben lieber erspart. Es ist nicht einfach, eine Meute, wie meine Männer zu befehligen. Widerstand ist das Schlimmste, was einem passieren kann. Ich muss ihnen zeigen, wer hier das Sagen hat! Wenn dann so ein Bürschchen all meine Bemühungen ignoriert, trägt er allein die Verantwortung, für das, was danach mit ihm geschieht. Deshalb musste ich so reagieren, allein schon wegen meiner Männer. Es tut mir leid, dass ich Euch das zugemutet habe! Aber es ging wirklich nicht anders! Versteht Ihr das?« In Rilanas Augen schossen zum wiederholten Mal Tränen.
»Ihr seid mir keine Erklärung schuldig«, entgegnete sie ihm schroff.
»Das weiß ich. Dennoch ...« Sie war zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Eine Zeit lang starrten sie sich nur schweigend an, dann schließlich sagte Archibald: »Kommt jetzt! Es wird Zeit. Ich möchte noch vor Einbruch der Dunkelheit das Gebirge erreichen. Der Weg ist noch weit und mit dem Gefangenen und Euch werden wir nur langsam vorankommen.« Daraufhin war sie ihm gefolgt. Ihr blieb keine andere Wahl.
Auf die Lichtung befanden sich nur noch vier Pferde, Wilbur, Friedward, Werfried und der gefesselte Raoul, den sie mit einem Seil hinter sein Pferd gebunden hatten. Er kauerte, kniend, mit nach vorne gebeugtem Oberkörper, auf dem Boden. Dabei zitterte er wie Espenlaub. Sein Hemd, von dem nicht mehr als Fetzen übrig waren, hing blutdurchtränkt an seinem Körper. Dunkelrote Striemen blitzten zwischen den Stoffstücken hervor und sie würgte erneut. Rilana konnte seinen Anblick kaum noch ertragen, denn, was ihn auch zu der Entführung getrieben hatte, das hier hatte er nicht verdient. Nein, dachte sie, an diesen Anblick werde ich mich wohl niemals gewöhnen.
»Hier«, Archibald hielt ihr abermals die Wasserflasche entgegen.
»Habt Ihr nichts Stärkeres?« Die Männer grinsten. Daraufhin nahm Werfried, der neben seinem Pferd stand, einen Lederschlauch aus seiner Satteltasche.
»Trinkt langsam! Er ist sehr stark«, bemerkte er amüsiert, dann warf er den Schlauch in ihre Richtung. Archibald fing ihn mit einer Hand auf und reichte ihn ihr. Zunächst zögerte sie, schließlich aber nahm sie gierig einen kräftigen Schluck. Würziger, schwerer Wein, rann durch ihre Kehle. Als ein wohliges Gefühl in ihr aufstieg, trank sie erneut. Ihre Übelkeit legte sich etwas und sie atmete langsam aus. Erneut wanderte ihr Blick zu Raoul. Wie mochte es ihm wohl gehen? Seltsam, dachte sie, frage ich mich allen Ernstes, wie es ihm geht? Das war doch wohl offensichtlich! Er war ja nicht einmal in der Lage aufzustehen. Sollte sie ihm vielleicht helfen? Aber, wie? Ihm die Flucht zu ermöglichen, war ihr unmöglich. Flucht? War sie dabei den Verstand zu verlieren? Sie kannte ihn doch kaum und ihr lag auch nichts an ihm. Oder vielleicht doch? Warum dachte sie überhaupt über derartige Dinge nach? Was scherte er sie überhaupt? Er war doch für seine Situation selbst verantwortlich. Hätte er auf Archibalds Fragen geantwortet, wäre es gar nicht erst so weit gekommen.
Während sie ihren Gedanken nachhing, war sie unbewusst immer näher an den jungen Mann herangerückt. Seine Augen waren noch immer geschlossen. Sie mich an!, schoss es ihr durch den Kopf. Du sollst mich ansehen. Ohne es eigentlich zu wollen, berührte sie vorsichtig die Schulter ihres Entführers. Die zaghafte Berührung ließ ihn ängstlich zusammenzucken. Er versuchte mit seinen gefesselten Händen seinen Kopf zu schützen, so als erwarte er, dass seine Peiniger ihn erneut traktierten. Erschrocken zog sie ihre Hand zurück und erstarrte. Als er merkte, dass es keiner der Schergen gewesen sein konnte, ließ er seine Arme langsam sinken, hob vorsichtig seinen Kopf und öffnete seine Augen. In ihnen lagen nicht nur Angst und Verzweiflung, sondern auch eine Trauer, die ihr beinahe das Herz zerriss.
»Habt keine Angst!«, hörte sie sich selbst leise flüstern. »Ich bin es nur! Ich will Euch nicht wehtun! Ich bin nur gekommen ...! Habt Ihr Durst? Hier, ich habe etwas zu trinken für Euch!« Es war das Einzige, was ihr in diesem Moment einfiel. Sie wusste ja selbst nicht so genau, warum sie ihn ansprach. Seine Augen wanderten nun fragend zu ihren. Er durchdrang sie geradezu mit seinem Blick. Abermals war Rilana nicht fähig, sich von ihm abzuwenden. Völlig verdreckt und mit einer blutigen Unterlippe wirkte er, wie ein kleiner Junge, der gerade seine erste Tracht Prügel bezogen hat. Wieso konnte er sie so