Idole sind weiblich. Christine Dobretsberger

Idole sind weiblich - Christine Dobretsberger


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aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich. Meine Mutter war künstlerisch im Bereich Grafik hochbegabt und hatte die Kunstgewerbeschule besucht, ging allerdings keinem Erwerbsberuf nach. Sie war Hausfrau, was damals durchaus üblich war und vermutlich einer der Gründe dafür ist, dass ich sehr früh den Wunsch hatte, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

      Als Kind machte es mir große Freude zu zeichnen, ich befasste mich nach der Matura ernsthaft mit dem Gedanken, Kunst zu studieren. Das wäre ein Herzenswunsch gewesen, den ich allerdings verwarf, nachdem ich mit meiner Zeichenmappe an der Kunstakademie gesehen hatte, dass andere meiner Einschätzung nach viel talentierter waren als ich. Ein anderer Berufswunsch wäre Architektur gewesen. Da ich ein humanistisches Gymnasium besucht habe, wählte ich Darstellende Geometrie als Freifach, musste allerdings feststellen, dass meine dreidimensionale Vorstellungsgabe für ein Architekturstudium wohl nicht ausreichen würde.

      Dass ich mich letztlich für das Jusstudium entschloss, hatte ausschließlich pragmatische Gründe, da war anfangs wenig Lust oder Leidenschaft im Spiel, wohl aber Interesse. Mein vorrangiges Ziel war es, mit dem Studium möglichst rasch fertig zu werden, um meine Eltern nicht lange finanziell zu belasten und selbstständig zu sein. Obwohl es mir gelungen ist, das Studium in kurzer Zeit zu beenden, hatte ich im Grunde noch kein bestimmtes Berufsziel vor Augen. Erst im Zuge des sogenannten Gerichtsjahres wurde mir bewusst, dass der Richterberuf überaus spannend und abwechslungsreich ist. Als Richterin ist man bereits in relativ jungen Jahren in einer sehr verantwortlichen und unabhängigen Position; man ist von Beginn an den eigenen professionellen Ansprüchen, seinem Gewissen und natürlich dem Recht verpflichtet. Alle meine Ausbildungsrichter waren Männer. Einmal wurde ich sehr direkt gefragt, ob ich als Frau nicht lieber in einer Bank arbeiten möchte. Ich war glücklicherweise nie besonders zart besaitet und nahm es nicht persönlich, es entsprach damals dem Gesellschaftsbild. Bereits mit 25 war ich Richterin und begann am Bezirksgericht im zivilrechtlichen Bereich. Da mich Strafsachen besonders interessierten, wechselte ich noch 1975 an das damalige Strafbezirksgericht Wien.

      Im Jahr 1977 wurde ich zur Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Wien ernannt. Ab diesem Zeitpunkt hatte ich es mit der ganzen Bandbreite an Straftaten zu tun, bis hin zu Kindesmissbrauch und Mord. Ich musste lernen, diese oft doch sehr belastenden Umstände nicht so nahe an mich heranzulassen, dass sie mir nachts den Schlaf rauben konnten. Wenn man das nicht schafft, ist es sehr schwer, diesen Beruf auszuüben.

      SCHICKSALHAFTE CHANCENNachdem ich mehrere Jahre Staatsanwältin in erster Instanz gewesen war, kam der damalige Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien mit der Frage auf mich zu, ob ich ab sofort die Vertretung einer Kollegin übernehmen könnte. Ich wollte damals auf Skiurlaub fahren, wusste aber, wenn ich dieses Angebot ausschlage, kommt eine solche Frage nie wieder. Ich empfand es als schicksalhafte Chance. Hätte ich damals nicht zur Oberstaatsanwaltschaft gewechselt, wäre mein beruflicher Weg wohl ganz anders verlaufen. Dieses Angebot war auch der Anstoß, zum ersten Mal an eine weiterführende Karriere zu denken.

      In der Oberstaatsanwaltschaft hatte ich zunächst ausschließlich männliche Kollegen und setzte meinen Ehrgeiz daran zu beweisen, dass ich als Frau imstande bin, die Leistungen der Herren mindestens zu halten, wenn nicht zu übertreffen. Man soll nicht verallgemeinern, aber ich denke, Frauen tendieren doch überwiegend dazu, diesen Mehrleistungsanspruch an sich zu stellen. Soweit ich das einzuschätzen vermag, neigen auch heute viele junge Frauen nach wie vor dazu, sich sehr kritisch zu hinterfragen: Kann ich das, schaffe ich das? Ich meine, man muss es einfach tun, sich voll einbringen. Ich bin jemand, die gerne arbeitet. Es hat immer Freude gemacht.

      Einige Jahre später ergab sich unerwartet die Möglichkeit, mich für eine Stelle bei der Generalprokuratur beim Obersten Gerichtshof, der höchsten Staatsanwaltschaft der Republik, zu bewerben. In dieser Behörde steht nicht die Strafverfolgung, sondern die gesetzeskonforme Strafrechtspflege im Mittelpunkt. Ich war damals 40 und die erste Frau, die diese Chance erhielt.

      Während meiner Tätigkeit in der Generalprokuratur habe ich mich überdies in der Vereinigung der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, der Interessenvertretung dieser Berufsgruppe, engagiert. Nach einigen Jahren als Vorstandsmitglied ergab sich ein Wechsel in der Leitung dieser Vereinigung und ich wurde – einmal mehr unerwartet – zu deren Präsidentin gewählt. Auch diese Aufgabe habe ich mit Demut und großem Einsatz, zusätzlich zur anspruchsvollen Tätigkeit in der Generalprokuratur, ehrenamtlich übernommen. Mein Ziel war, für Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in der damaligen herausfordernden Situation – das Inkrafttreten einer umfassenden Strafprozessreform, welche die Rolle der Staatsanwaltschaften völlig veränderte, stand unmittelbar bevor – die erforderlichen personellen, räumlichen und technischen Voraussetzungen sowie Fortbildungsmaßnahmen zu erreichen.

      Ich hatte in meinem Berufsleben oft das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, und dann auch den Mut, jene Chancen wahrzunehmen, die sich mir boten. Dies gilt ebenso für meine Bewerbung als Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofs. Ich wäre selbst nie auf die Idee gekommen, diese hohe und besonders verantwortungsvolle Position anzustreben. Als mich der entscheidende Anruf erreichte, kam ich gerade von einem Griechenlandurlaub zurück und wollte eben am Flughafen meinen Koffer vom Förderband nehmen. Im ersten Moment dachte ich an einen Scherz, aber es war eine ernst gemeinte Frage. Dass ich dann tatsächlich von der Bundesregierung vorgeschlagen und vom Bundespräsidenten ernannt wurde, war keineswegs eine ausgemachte Sache, es gab mehrere qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber. Dennoch war es bei all diesen überraschenden Fragen letztlich so, dass ich mir die neuen Herausforderungen tief im Inneren zugetraut habe. Wohl mit großer Ehrfurcht vor der jeweiligen Funktion, schlussendlich dachte ich mir aber immer: Wenn andere das schaffen, muss das auch für mich machbar sein.

      RECHT UND GERECHTIGKEITWie ich meinen Stil als Richterin und Staatsanwältin beschreiben würde? Es ist schwierig, sich selbst zu charakterisieren, aber ich glaube, dass ich teamfähig bin, was vor allem am Verfassungsgerichtshof, wo Entscheidungen im Regelfall von der Mehrheit der Richterinnen und Richter getroffen werden, essenziell war. Auch hoffe ich, immer respektvoll und wertschätzend mit allen Beteiligten umgegangen zu sein. Ich würde mich zudem als neugierig und entschlussfreudig bezeichnen. Entschlusskraft ist in den juristischen Berufen, die ich ausüben durfte, eine sehr wichtige Eigenschaft.

      Als Staatsanwältin hatte ich den Ruf, eher streng zu sein. Ich sehe mich rückblickend nicht so. Denn selbst in Fällen schwerster Kriminalität war mir neben der Überzeugung, dass ein Angeklagter bei entsprechender Sach- und Rechtslage die Konsequenzen für sein Verhalten zu tragen hat, die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte in einem fairen Verfahren ganz besonders wichtig. Im Übrigen sind auch Staatsanwälte zur Objektivität und Unparteilichkeit verpflichtet, müssen also entlastende und belastende Umstände gleichermaßen berücksichtigen.

      GRENZEN DES MACHBARENIch war auch mit tragischen Fällen konfrontiert. Ich erinnere mich an einen vielfach wegen Gewaltdelikten vorbestraften Angeklagten, der seine Ehefrau massiv bedroht hatte. Seine Gattin sagte weinend als Zeugin gegen ihn aus, und der Richter verurteilte den Mann zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr. Bevor der Betreffende den Gerichtssaal verließ, drohte er seiner Frau: »Na warte, ich erwisch dich noch und bring dich um!« Über ein Jahr später erkannte ich ihn in einer Zeitung wieder. Er hatte seine Ehefrau tatsächlich grausam getötet. Das hat mich menschlich zutiefst erschüttert.

      LEBENSLANGES LERNENAm Verfassungsgerichtshof sind 14 Richterinnen und Richter sowie sechs Ersatzrichterinnen und Ersatzrichter tätig, die aus verschiedenen juristischen Berufen kommen. Professorinnen und Professoren aus dem Bereich des öffentlichen Rechts, also des Verwaltungs- oder Verfassungsrechts, sind ebenso vertreten wie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Richterinnen und Richter aus anderen Gerichten oder hocherfahrene Verwaltungsbeamte. Als ich 2003 zur Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofes ernannt wurde, kam ich aus dem Strafrecht. Das war ein Quereinstieg aus einem anderen Metier. Ich war gefordert, mich mit einem juristischen Feld vertraut zu machen, das für mich zwar schon immer hochinteressant, aber doch neu war. Teil dieses Gerichtshofes sein und diesen später als Präsidentin leiten zu dürfen, war für mich als Juristin eine Auszeichnung allerhöchsten Grades: Der Verfassungsgerichtshof, dem die Kontrolle der Einhaltung der Verfassung und der Grundrechte obliegt, ist eine der Säulen unseres


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