Idole sind weiblich. Christine Dobretsberger

Idole sind weiblich - Christine Dobretsberger


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über die Aufhebung von Regelungen betreffend die sogenannte Vorratsdatenspeicherung oder an jener über die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare.

      Wenn ich zurückblicke, war es beruflich ein lebenslanges Lernen. Das ist auch einer der Gründe, weshalb ich den juristischen Beruf bis heute so spannend finde. Sei es am Verfassungsgerichtshof oder im Justizressort: Jede Aufgabenstellung war eine neue, anspruchsvolle, zugleich ungemein reizvolle und bereichernde Tätigkeit. Durch die unterschiedlichen Themen konnte ich mich mit einer breiten Palette des Lebens befassen.

      GRÖSSTER SPRUNG INS KALTE WASSERAn jenem Abend, als das berüchtigte Video erstmals veröffentlicht wurde, saß ich gerade in einem Gastgarten und erhielt von einer Bekannten eine Nachricht per SMS. Mir war sofort klar, das ist eine Zäsur! Dass in der Folge der gesamten Bundesregierung das Misstrauen ausgesprochen würde, war zum damaligen Zeitpunkt nicht abzusehen. Ich hätte jedenfalls nicht im Traum daran gedacht, dass ich auch nur im Geringsten tangiert sein könnte.

      Als ich einige Tage später von Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu einem Vieraugengespräch in die Hofburg gebeten wurde, machte ich mir selbstverständlich Gedanken. Am ehesten vorstellen konnte ich mir, dass ich für die Übergangsregierung aufgrund meines beruflichen Lebensweges allenfalls als Justizministerin im Gespräch wäre. Als der Herr Bundespräsident mir eröffnete, dass es die Kanzlerschaft betreffe, war ich perplex. Meine erste Reaktion war: Das kann ich nicht! Woher sollte ich auch die Erfahrung haben? Ich war nie politisch tätig, habe nie einer politischen Partei angehört. Der Herr Bundespräsident meinte dann sinngemäß, diese Reaktion sei typisch für eine Frau, ich möge es mir zumindest überlegen. Das tat ich.

      Als Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes war es mein größtes Anliegen, eine rasche Übernahme der Leitung dieser für unsere Demokratie so bedeutenden Institution zu klären. Der damalige, von mir hochgeschätzte Vizepräsident unterstützte mich uneingeschränkt und erklärte sich sofort bereit, den Gerichtshof, wie gesetzlich vorgesehen, interimistisch zu leiten. Die Entscheidung lag somit nur noch bei mir. Obwohl ich, wie schon erwähnt, grundsätzlich entschlussfreudig bin, fiel mir diese Entscheidung nicht leicht. Aber letztlich dachte ich mir: Österreich befindet sich in einer außergewöhnlichen Lage, und wann wird eine Frau wieder die Möglichkeit erhalten, einen solchen Beitrag im Sinne der Verfassung für unsere Republik zu leisten? Dieser Aspekt, unserem Land in dieser schwierigen Situation dienen zu dürfen, war letztlich für mich der entscheidende Impuls, es doch zu wagen, und zugleich der größte Sprung ins kalte Wasser. Diese Regierungsaufgabe lag mir viel ferner als alle Positionen, die ich davor innehaben durfte. Ich legte also meine Funktion als Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes mit einer gewissen Wehmut zurück und wurde vom Herrn Bundespräsidenten als Bundeskanzlerin designiert sowie mit der Bildung einer Regierung betraut.

      »DIE GRÖSSTE EHRE MEINES LEBENS«Die Stimmung war in diesen Tagen sehr aufgeheizt. Es war dem Herrn Bundespräsidenten ein nachvollziehbares staatspolitisches Anliegen, möglichst rasch eine verfassungskonforme funktionsfähige Regierung zusammengestellt zu wissen. Bei der Bestellung meines Kabinetts war mir wichtig, dass Geschlechterparität herrscht und die jeweiligen Ministerien mit exzellenten Expertinnen und Experten besetzt werden. Die Ministerinnen und Minister sollten vor allem sachlich und professionell agieren und der Republik, den Menschen in unserem Land, bestmöglich dienen.

      Mein und unser oberstes Ziel war es, das Land in ruhige Fahrwasser zu bringen und das Vertrauen in unsere staatlichen Institutionen wieder zu stärken. Die Verantwortung war spürbar groß, und es war die mutigste Entscheidung meines Lebens. Gleichzeitig wusste ich, dass die Zeit dieser Übergangsregierung überschaubar sein würde. Und meine bisherige Berufserfahrung, auch in Leitungsfunktionen, war eine gute Basis. Zudem habe ich den Dialog in den Mittelpunkt meines Amtsverständnisses gestellt. Der Austausch mit Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Justiz, mit Vertreterinnen und Vertretern der Religionsgemeinschaften, der NGOs, der Kunstszene, der Bildungseinrichtungen und der Interessensvertretungen sowie mit Menschen, die ihr oft schweres Schicksal meistern, gab wichtige Impulse. Dabei lag mir das Bewusstsein für die Leistungen und Anliegen von Frauen besonders am Herzen.

      Ich fände es das größte Kompliment für unsere Regierung, wenn es einigermaßen gelungen ist, dass die Menschen nach den vorangegangenen Turbulenzen wieder mehr Vertrauen in die Politik und unseren demokratischen Rechtsstaat fassen konnten. Das hatte für mich oberste Priorität. Ich wollte den Menschen zeigen, dass Österreich eine funktionsfähige Regierung hat, die in dieser einmaligen Ausnahmesituation unaufgeregt, sachbezogen und sparsam im Interesse der Republik agiert. Eine Regierung, die unser Land im Sinne der Bürgerinnen und Bürger und aller Menschen, die hier leben, bestmöglich verwaltet, die dem Parlament nur jene gesetzlichen Maßnahmen vorschlägt, die notwendig sind, um den politischen Entscheidungen der nächsten – gewählten – Bundesregierung nicht vorzugreifen.

      Österreich als Regierungschefin auch international vertreten zu dürfen, war für mich besonders prägend: so etwa die Mitwirkung an der Nominierung von Ursula von der Leyen als (erste) Kommissionspräsidentin im Europäischen Rat in Brüssel oder die Teilnahme an der UNO-Generalversammlung in New York. Der Austausch mit Persönlichkeiten wie Angela Merkel, Jean-Claude Juncker oder António Guterres, um nur einige zu nennen, bedeutet eine unschätzbare Bereicherung.

      Unserem Land als Bundeskanzlerin dienen zu dürfen, war und ist die größte Ehre meines Lebens.

      NEUER LEBENSABSCHNITTIch hatte ein ungemein erfülltes Berufsleben, mehr kann man sich nicht wünschen. Es ist jetzt eine Umstellung, zurückzuschalten. Ich genieße es aber, meinen Interessen, vor allem im kulturellen Bereich, nachgehen und Freundschaften wieder besser pflegen zu können. Das Privatleben ist in den letzten Jahren zu oft zu kurz gekommen. Überdies engagiere ich mich seit Langem ehrenamtlich in juristischen und karitativen Vereinen, in künstlerischen Institutionen sowie in Opferschutzeinrichtungen.

      Wenn ich gefragt werde, worauf ich am meisten stolz bin, muss ich gestehen, dass Stolz keine Eigenschaft ist, die ich für mich in Anspruch nehmen möchte. Jeder Mensch ist fehlbar, so auch ich.

      Das, was bleibt, sind vor allem große Dankbarkeit und Zuversicht. Ich bin mehr als zufrieden und glücklich mit dem, was ich in meinem Leben erreichen durfte.

      Spontan gefragt

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      Ich werde schwach bei … Schokoladenmousse.

      Ich tanke Kraft bei … Kunst und Kultur.

      Ich habe Angst vor … eigentlich kaum etwas.

      Ich werde ungeduldig, … wenn etwas (zu) langsam geht.

      Ich glaube fest daran, dass … unsere Jugend die Zukunft gut bewältigen wird.

      Ich würde mir wünschen, dass … die Menschen im übertragenen Sinn näher zusammenrücken.

      Lebensmotto

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      »Optimismus ist Pflicht.«

      Lebensstationen

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      Brigitte Bierlein wurde am 25. Juni 1949 in Wien geboren, absolvierte an der Universität Wien das Studium der Rechtswissenschaften und promovierte 1971. Nach der Richteramtsprüfung im Jahr 1975 war sie zunächst als Richterin am Bezirksgericht Innere Stadt und anschließend am damaligen Strafbezirksgericht Wien tätig. 1977 wurde sie in Wien Staatsanwältin für allgemeine und politische Strafsachen. Im Jahr 1986 wechselte Bierlein zur Oberstaatsanwaltschaft Wien. 1987 war sie in der Strafrechtssektion des Bundesministeriums für Justiz tätig und kehrte anschließend als Oberstaatsanwältin zur Oberstaatsanwaltschaft Wien zurück. 1990 wurde sie die erste Frau im Amt der Generalanwältin


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