Sein und Wohnen. Florian Rötzer
Schweiß absondern, der auch für den individuellen Geruch verantwortlich ist. Tritt Schweiß aus, wird das Fell nass und verhindert dadurch möglicherweise sogar die Kühlung. Kein Fell haben auch sehr große Säugetiere wie Elefanten, Nashörner oder Flusspferde, die in warmen Gebieten leben. Mit ihrer großen Masse verfügen sie über weniger Oberfläche zum Kühlen als kleinere Tiere. Warum an manchen Körperstellen bei den Menschen eine Behaarung verblieben ist, lässt sich nur vermuten. Das Kopfhaar könnte dem Schutz vor der Sonne gedient, die Haare unter der Achsel und auf der Scham könnten vor Reibung durch Bewegung geschützt haben. Ebenfalls im Raum steht ihre mögliche Rolle für das Halten und Verbreiten von Pheromonen zur Übermittlung von Informationen und zur Beeinflussung anderer Menschen.
Auffällig sind auch genetische Veränderungen, die mit dem Fellverlust einhergingen und zumindest neben den Talgdrüsen einen etwas besseren Schutz der nackten Haut etwa vor Wasser und Schürfungen, aber auch vor Bakterien oder Viren boten. Entscheidend war hier die Ausbildung einer Art Schutzwand im äußersten Teil der Oberhaut (Epidermis), dem aus mehreren verhornten Schichten abgestorbener Zellen bestehenden Stratum corneum, dessen Stärke bei den Säugetieren mitunter stark variiert. Allgemein schwankt die Dicke der Epidermis mit der Behaarung: Je dichter das Fell, desto dünner die Haut. Beim Menschen liegen 10–20 Schichten übereinander: Mit etwa 0,3 Millimeter ist sie auf dem Kopf am dünnsten, mit bis zu einem Millimeter an der Fußsohle am dicksten. Es handelt sich mithin um eine Mauer aus toten Zellen, die aus mehreren Schichten von »Ziegeln« besteht, und Lipiden. Man spricht beim Stratum corneum auch von einer »Backsteinmauer«, wobei die aus Keratin bestehenden abgestorbenen Hornzellen vom »Mörtel« der Lipide verfugt werden. Diese halten die »Ziegel« zusammen und dichten die »Mauer« ab. Die Keratinschuppen lösen sich oder werden abgeschürft und müssen permanent nachgebildet werden. Alle zwei Wochen ist die gesamte Hornschicht völlig neu, pro Minute fallen etwa 40 000 Hautzellen ab, die in Wohnungen dann als Nahrung für etwaige »Gäste« dienen.
Die Haut lässt sich ganz allgemein als das größte Organ des Menschen mit bis zu zwei Quadratmetern Oberfläche und einem Gewicht von bis zu 20 Kilogramm bezeichnen, sie ist gewissermaßen auch die erste Wohnung des vielzelligen Körpers und stellt eine semipermeable Barriere dar, die ihn vor Austrocknung und dem Verlust von Nährstoffen und Flüssigkeiten sowie vor äußeren Einwirkungen schützt. Sie übt also die Grundfunktion aus, die auch Behausungen für den verkörperten Menschen zu eigen ist. Dazu speichert sie Energie in Form von Fett, scheidet neben Schweiß und Talg auch andere Stoffwechselprodukte ab und kann von außen Fett oder Wirkstoffe aufnehmen. Nicht zuletzt ist die Haut ein großes Sinnesorgan mit Millionen von Schmerz-, Tast-, Wärme- und Kälterezeptoren, um den Körper zu schützen und auf Betriebsgröße zu halten. Ähnlich sollen die Sensoren, mit denen die Smart Homes ausgestattet werden, den Betriebszustand der Häuser und ihrer Bewohner regulieren. Über die Haut werden aber etwa auch psychische oder emotionale Befindlichkeiten ausgedrückt, etwa durch Schwitzen, Erröten, Erblassen oder Gänsehaut. Wohnungen könnte man allein aufgrund der Thermo- und Feuchtigkeitsregulierung nach der Kleidung als zweite beziehungsweise dritte Haut oder die Haut eben als eine Vorform der Wohnung beschreiben.
Die Haut schützt nicht nur den »nackten Affen«, der sie bewohnt, und reguliert seinen Körper, sie dient auch selbst wiederum als Unterkunft und Lebensraum für Mitbewohner, ebenso wie Häuser und Wohnungen, in denen Menschen trotz größter Sauberkeit auch niemals alleine sind, sondern immer inmitten zahlreicher Gäste, Parasiten und Eindringlinge leben. Kolonien unterschiedlicher Bakterien nutzen die Oberfläche der Haut als permanente Wohnung, auch wenn sie nicht sehr tief in das Stratum corneum eindringen können, das sich ja immer wieder erneuert, wodurch auch die Besiedler abgestoßen werden. Viele der Mitbewohner leben in den Haarfollikeln, die eine Art Höhle bilden, in den feuchten, tropischen Gegenden (Achseln, Leistenbeugen, Analfalte, Finger- oder Zehenzwischenräume) oder in den Bereichen, in denen es viele Talgdrüsen gibt, während große Gebiete der trockenen Haut gleich Wüsten nur dünn besiedelt sind. Die Hautflora, bestehend aus den permanenten Mitbewohnern des Körpers, die ihrerseits wiederum Teil seines Mikrobioms oder Standortflora sind, ist letztlich auch eine zweite Schutzschicht vor unerwünschten Mikroorganismen. Diese müssen erst die Mitbewohner verdrängen, um an die Haut zu gelangen und sich dort anzusiedeln beziehungsweise diese als Kolonisatoren zu verdrängen. Deren Zahl ist jedenfalls auf den ersten Blick stattlich: Man geht von zehn Milliarden Bakterien aus. Vergleicht man die Zahl der gesamten Mitbewohner des Körpers, die auf 40 Billionen, mitunter auch auf mehr als 100 Billionen mit einer Vielfalt von mehreren Tausenden Bakterienarten geschätzt wird, dann tritt klar hervor, dass die Haut relativ wenig bewohnt ist, während es sich beim Darm um eine bakterielle Megacity handelt, in welcher der Großteil der Bakterien lebt. Im feuchten Stuhl sollen pro Gramm etwa so viele Bakterien leben wie auf der gesamten Haut.
Die ersten Wohnungen
Ob die frühen Menschen zuerst Kleidung oder Unterkünfte erfanden, lässt sich heute kaum feststellen. Es steht aber zu vermuten, dass Behausung der Kleidung voranging, da auch die nächsten Verwandten des Menschen Behausungen in Form von Nestern auf Bäumen oder – im Fall von Gorillas – auf dem Boden erbaut hatten. Das war noch ohne den Einsatz von Werkzeugen möglich, während die Herstellung von Kleidung, die vermutlich zuerst aus Tierfellen bestand, Werkzeuge zum Töten von Tieren, zur Auslösung des Fells und zum Zusammennähen voraussetzt. Es gibt außerdem einen konkreten Hinweis darauf, dass Kleidung erst relativ spät entstanden ist. Das kann man wiederum von einem Mitbewohner des menschlichen Körpers ableiten, nämlich von Läusen. Diese Parasiten mussten sich mit dem Nacktwerden des Körpers vornehmlich in die Kopfhaare zurückziehen. Aber dann kam eine Zeit, in der die »Kopfläuse« wieder auswandern konnten, nämlich als ihnen neues, künstliches Fell in Form von Kleidung Schutz bot. Genetisch trennte sich die menschliche Kopf- von der Kleider- oder Körperlaus (Pediculus humanus humanus respektive Pediculus humanus corporis), wie Wissenschaftler schätzen, frühestens vor 100 000 Jahren. Schon die Vorfahren der Schimpansen und der Menschen waren von Läusen besiedelt. Das Auftreten der Kleiderläuse könnte darauf hinweisen, dass die Menschen lange »nackt« lebten, bis sie in kältere Gefilde auswanderten, wo sie mit ihren Steinwerkzeugen, über die sie schon lange verfügten, Kleidung aus Fellen herstellten.
Vermutlich ging dem aber eine andere Revolution voran, die sich vor der Auswanderung der Hominiden aus Afrika ereignet haben dürfte und ein wesentliches, vielleicht sogar das entscheidende Movens für die Evolution des Menschen und seines Wohnens darstellt. Auffällig ist nämlich noch heute, dass sich die Primaten mit Ausnahme der wirklich mächtigen Gorillamännchen nicht trauen, ihr Nachtlager auf dem Boden einzurichten. Vermutlich war es auch für die Vorfahren des Menschen dort einfach zu gefährlich. Was könnte die frühen Menschen vor zwei Millionen Jahren verleitet haben, die Bäume zu verlassen und ihre Nächte auf dem Boden zu verbringen?
Der aufrechte Gang könnte zum Verlassen der Wälder geführt haben, um stattdessen auf den Savannen nährstoffreiches Aas auszuweiden oder auch Tiere zu jagen. Das könnte wiederum für den Verlust des Fells, zwecks schnellerer und weiter reichender Fortbewegung verantwortlich gewesen sein. Aber noch immer wäre Homo erectus, der gegenüber seinen Vorfahren deutlich allgemein an Muskelmasse und speziell Ausprägung der Kaumuskeln und Zähne zugunsten seines Gehirns eingebüßt hat, stark gefährdet. Homo erectus war offensichtlicher schwächer, wenn auch größer als seine Vorfahren, konnte aber aus Afrika auswandern und andere Gebiete besiedeln. Auffällig ist schon, dass Homo erectus spätestens mit seinem aufrechten Gang und den dafür geeigneten flachen Füßen die Fähigkeit verloren hat, so zu klettern, wie dies die Primaten vermochten. Nester auf Bäumen zu bauen, war damit kaum mehr möglich. Was könnte also den Erfolg des Migranten verursacht haben, der sich nicht nur im Leben außerhalb des Waldes, sondern auch in vielen Gebieten mit unterschiedlichen klimatischen Bedingungen bewähren sollte?
Plausibel ist die These, dass die Beherrschung des Feuers zusammen mit der Möglichkeit, Essen zu kochen oder zu garen, ein entscheidender Schritt war, der es womöglich schon vor zwei Millionen Jahren den frühen Menschen ermöglichte, sich vollends aufzurichten, aus den Wäldern zu gehen und sich durch die neue Kultur des Kochens als Jäger und Aasfresser mehr Energie zuzuführen. Kochen lässt Gifte zerfallen, tötet gefährliche Bakterien und andere Lebewesen, macht Fleisch und pflanzliche Nahrung leichter kau- und