Sein und Wohnen. Florian Rötzer
in der wirklichen Welt unvollkommen nachzuahmen versucht. Wahrscheinlich ist es auch deswegen in jedem Haus und in jeder Wohnung wichtig, einen »Garten« zu integrieren, sei es auch nur in Form einer einzigen, widerstandsfähigen Pflanze wie einem Kaktus. Eine Villa umgeben von einem Park, ein Park in der Stadt, ein begrünter Balkon, eine direkte Verbindung ins Grüne durch große Fenster oder auch nur Pflanzen im Zimmer: gezähmte Natur, die Wohnung als Lebensraum, als Ahnung des Paradieses, einer Welt, der nichts fehlt, die aber immer innen ist, die Welt noch einmal, nur vom Bewohner kontrolliert und diesen nicht bedrohend.
Im Garten lebt der Mensch im Einklang mit der Natur. Wahrscheinlich ist der Garten zum Phantasma der Menschen geworden, die sich vom nomadischen Dasein als Jäger und Sammler abgelöst und für die sesshafte Existenz und die Landwirtschaft, die Zähmung der Tiere und das Bebauen des Ackers entschieden haben und seitdem schwanken zwischen dem idyllischen Garten, der harmonischen und sicheren Verschmelzung von Natur und Kultur, und der nach den sündigen künstlichen Welten wie Sodom und Gomorra versprochenen Stadt, dem neuen oder himmlischen Jerusalem, als ganz und gar künstlicher und quadratischer Welt. Aber auch sie wird weiterhin umgeben von hohen Mauern gedacht, obgleich die Stadttore offen stehen können. Schon im Hebräerbrief, also ganz früh in der Erzählung von Abraham, ist die Rede vom himmlischen Jerusalem als der »Stadt des lebendigen Gottes« und von der Stadt, die Gott für die Gläubigen schuf – als Ersatz für das Paradies und als neues, humanisiertes Paradies, das die Natur als Lebenswelt hinter sich gelassen hat.
Seit den ersten niedergeschriebenen Erzählungen, die mit diesem Übergang entstanden sind und selbst als Gärten der Worte verstanden werden können, verfolgt die Menschen das Bild vom Garten, etwa im Gilgamesch-Epos. In den griechischen Gärten des Elysium »wandeln die Menschen leicht durch das Leben«, schreibt Homer in der Odyssee. Der Garten ist ein Ort, in dem nicht unter Mühen und mit Schweiß gearbeitet, die Natur unterworfen wird, sondern in dem der Mensch als Gärtner auftritt, der hütet, pflegt und kultiviert. Er kämpft nicht um das Überleben, ist kein Arbeiter, sondern ein Künstler, der im Einvernehmen mit der Natur eine Welt baut, in der er sich als Wesen der Kultur und der Natur niederlassen und heimisch fühlen kann. Der Garten ist die Genesis des Menschen als zweitem Gott. Aber bevor die Natur als Garten gestaltet und der Mensch ganz zum Gärtner werden kann, müssen geschützte Inseln geschaffen, einerseits die Gärten abgegrenzt werden von der wilden, aber auch von der bearbeiteten und unterworfenen Natur. Und andererseits sind die Häuser und Siedlungen, die Kultur, die künstlichen Gehäuse für das Innenleben der Menschen, in denen auch wieder Gärten einziehen können, zu entwerfen und zu errichten.
Im biblischen Paradies, einer Imagination der Landwirtschaft betreibenden Sesshaften, die vom vergangenen nomadischen Leben der veganen Sammler – offenbar nicht der Jäger und Aasfresser! – träumten, mussten sich die Menschen nicht vor der Natur fürchten, mit der sie in Einheit lebten. Sie waren weder Hunger oder Durst noch gefährlichen Tieren oder Naturkatastrophen ausgesetzt. In der paradiesischen Welt ohne Risiko bestand keine Notwendigkeit für eine Trennung von außen und innen, und die Menschen mussten sich nicht zurückziehen, sondern konnten in aller Öffentlichkeit auch ohne Kleidung das Leben genießen. Die Mühen der Arbeit, des Planens und Organisierens, von Anstrengung und Erholung, Plage und Feier unterteilten den kontinuierlichen – man möchte sagen bewusstlosen – Lebensfluss noch nicht. Es drohte auch keine Heimtücke von anderen Menschen, der Kampf zwischen den Geschlechtern fand noch nicht statt, womöglich war auch Sexualität als Lust und Reproduktion außen vor oder auch nur selbstverständlich. Im öffentlichen Dasein unter freiem Himmel musste nichts verborgen werden, es gab keine Heimlichkeiten und damit war auch alles »Un-Heim-liche« den Menschen und ihrem unbeschwerten Leben in Muße fern, das wohl glücklich genannt werden sollte.
Es hing bekanntlich aber ein Fluch mindestens seit dem Einzug der Menschen über dem idyllischen Garten, den man sich nach der Geschichte und auch etymologisch als abgeschlossenen Ort vom Rest der Welt vorstellen muss. Das griechische Wort »Paradies« kommt vom altiranischen pairidaeza und bezeichnete das Umzäunte beziehungsweise einen von einer Steinmauer, einem Zaun, dichten Hecken oder Gestrüpp umgebenen Garten oder Wald. In der Genesis ist die Rede nicht vom Paradies, sondern vom Garten Eden. Das hebräische Wort für »Garten« gan oder gannah stammt von »beschützen« oder »hegen« ab. Das Paradies als Garten ist also bereits als ein Ort gedacht, den eine Umfriedung vom Außen trennt, als eine räumliche Insel, die geschaffen, der wilden Natur abgetrotzt und gestaltet wird. Die Umgrenzung schützt das Innere vor dem feindlichen Außen und ermöglicht erst eine Kultivierung. Ein Garten ist die vom Menschen umgestaltete Natur, eine zweite Natur, eine Gegenwelt, eine Wohnung.
Nach der Bibel scheint es so, als habe Gott den Menschen den ersten Garten eingerichtet und ihn, so heißt, es im Osten »gepflanzt«. Dieser bestand offenbar neben dem im Zentrum befindlichen Weltenbaum, später auch Baum der Erkenntnis genannt, vor allem aus vielen Obstbäumen, die Nahrung in Hülle und Fülle boten. Nach dem Bild waren der dort hineingesetzte Mensch, der Mann, hier noch kein Gärtner, sondern nur Bewohner des bereits kultivierten Gartens. Er wurde durch einen Fluss bewässert, der sich außerhalb in vier Flüsse aufteilte. Allerdings ist die Geschichte, weil zusammengesetzt aus verschiedenen Überlieferungen, nicht konsistent, denn es wird auch erzählt, dass der Mensch den Garten nicht nur bewohnen, sondern auch »bebauen und bewahren« sollte.
Der Garten Eden hat Ähnlichkeiten mit der griechischen, von Hesiod geschilderten Erzählung vom ersten, goldenen Geschlecht der Menschen, das frei von jedem Übel und im Überfluss in einer für eine Agrargesellschaft geformten Gartenwelt mit selbst wachsenden Früchten und großen Herden lebte. Sie mussten nicht arbeiten, sie sammelten nur vom Überfluss ein und tranken die Milch der Schafe und Ziegen, waren also womöglich Vegetarier. Sie wurden nicht alt, mussten nicht gegen den Tod kämpfen, sondern schliefen ein und überlebten als gute Geister. Aber dann kamen weitere, weniger gesegnete Geschlechter. Bevor das sogenannte eiserne Geschlecht nach den üblichen Szenarien des Kulturverfalls sein Ende fand, ist noch vom Geschlecht der Heroen die Rede, welche immerhin Aussicht hatten, nach dem Tod auf Elysion, die Inseln der Seligen, zu gelangen, einem Abbild des Paradieses, das zwar noch von dieser Welt war, aber weit entfernt im Westen, nicht im Osten lag. Die Quelle der Lethe ließ sie ihre Leiden vergessen.
Nicht konsistent ist die biblische Erzählung überdies durch die zweimalige, aber unterschiedliche Erzählung von der Erschaffung des Menschen. Sie ist schon einmal in Genesis 1 geschehen, als Gott Mann und Frau noch gleichwertig und als Ebenbilder formte. Die Menschen sind damit keine Nachkommen Gottes, sondern dessen Produkte. Die Erzählung vom Garten Eden in Genesis 2 gibt sich zwar als Erweiterung, da es dort heißt, dass Gott den Menschen zur gleichen Zeit wie Himmel und Erde aus der befeuchteten Erde des Ackers schuf. Aber bekanntlich kam hier zuerst der Mann, den Gott nicht einsam lassen wollte und ihm daher aus einer seiner Rippen eine »Gehilfin« baute. Diese soll den Mann aus dem Heim von Mutter und Vater zu locken vermögen, weil sie »ein Fleisch« seien. Hier also ist neben der Einsetzung auch schon vom Verlassen der heimischen Wohnung die Rede, was schließlich zur dramatischen Wende der Genesis-Erzählung führt: der Verführung von Eva durch die Schlange, welche die Lüge Gottes aufdeckt.
Das Essen der Frucht vom Baum der Erkenntnis bringt so nicht den Tod, wie Gott drohte, sondern führt in das Leben eine neue Unterscheidung ein, zwischen Gut und Böse. Gott verstößt nach der Bibel auch nur deswegen die Menschen aus dem Paradies, um sie nicht in Versuchung zu bringen, vom Baum des Lebens, dem Weltenbaum, zu essen oder diesen zu berühren und unsterblich wie er selbst zu werden. Aber die Angst Gottes, sein Bestreben, die Trennung zwischen den Menschen und dem Göttlichen aufrechtzuerhalten, ist hier nur insofern von Interesse, als die Sterblichen besorgt sind, sich vor tödlichen Gefahren schützen zu müssen.
Klar ist jedoch, dass die Ausweisung der Menschen aus dem Paradies, der ersten Heimat, die Not ins Leben bringt: das Begehren nach Sexualität oder die Abhängigkeit vom Anderen, die Schmerzen des Gebärens, wenn das neue Leben aus der Wohnung im Uterus gedrängt und in das unwirtliche Leben geworfen wird, die Mühen der Arbeit und eben die Sterblichkeit, der Eingang des Menschen in die letzte Wohnung, in die Auflösung und Vermischung mit der Erde: Staub zu Staub. Gott aber trieb den Menschen nicht nur hinaus in die neue Obdachlosigkeit, sondern gab ihm noch aufgrund seines ungeschützten Körpers als nacktem Affen »Röcke von Fellen«. Diese sollten nicht nur die Scham bedecken, sondern