Knallhart durchgezogen. Rudolf Szabo

Knallhart durchgezogen - Rudolf Szabo


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Familie kommt aus Wien, wo ich auch geboren wurde. Meine Omama und mein Opapa konnten nach dem Zweiten Weltkrieg nicht heiraten, weil er als Ungar dazumal staatenlos war. Trotzdem hatten die beiden acht gemeinsame Kinder und vier aus vorhergehenden Beziehungen. Sie lebten jedoch nicht zusammen. Meine Omama wohnte in der Wiener Innenstadt und fuhr manchmal zum Opapa aufs Land, um bei der Ernte zu helfen.

      Meine frühe Kindheit verbrachte ich vor allem an drei Orten: in Wien in der Castellezgasse, auf dem Hof meiner Urgroßmutter in Obersiebenbrunn und bei meinem Großvater väterlicherseits.

      Die Castellezgasse liegt in einem jüdisch geprägten Viertel. In direkter Nachbarschaft probten die weltbekannten Wiener Sängerknaben. Doch das war weit weg von meiner Welt. Ich wusste nicht einmal, dass es sie gab. Die Häuser in unserem Viertel waren ursprünglich von Juden erbaut worden. Im Dritten Reich wurden die Besitzer enteignet, nach dem Krieg erhielten sie einen Teil der Siedlungen zurück. Zu Fuß waren es 200 Meter bis zu der sehr bekannten jüdischen »Zwi-Perez-Chajes-Schule«. Mit den jüdischen Jungs spielte ich gerne Fußball, was alles andere als selbstverständlich war. Eigentlich hätten sie sich gar nicht mit einem »Goj«, also einem Heiden wie mir, abgeben dürfen. Aber Kinder sind eben Kinder und denken nicht in diesen Kategorien.

      Eine meiner schönsten Kindheitserinnerungen stammt aus dem »Opapa-Garten«. Das war das Gebiet rund um den Hof, den mein Großvater bewirtschaftete. Er hielt sich Hühner, außerdem hatte er viele Obstbäume, an denen köstliche Früchte reiften: Aprikosen, Kirschen, Marillen und Zwetschgen. Die Früchte, die Eier und das Hühnerfleisch verkaufte er, aus den Zwetschgen brannte er »Sliwowitz«.

      Der Opapa-Garten lag etwa dreißig Autominuten von Wien entfernt in Niederösterreich, in der Nähe von Schwechat. Das Gebiet war schon immer die Kornkammer des Landes gewesen. Unzählige Getreidefelder prägen die relativ flache Landschaft bis heute und versprechen reiche Erträge. Die Bauern brachten damals ihre Ernte zu drei großen Silos an der Donau, um sie den Zwischenhändlern zu verkaufen. Neben den Silos war ein Rangierbahnhof, etwa 80 Meter breit, mit sieben Gleisen, auf denen die Eisenbahn die Ernten von den weiter entlegenen Höfen brachte. Von dort wurden die Erzeugnisse auf Donauschiffen weitertransportiert. Manchmal, wenn die Verladearbeiten abgeschlossen waren, ging Opapa mit mir von dem nur 200 Meter entfernten Opapa-Garten zu den Silos und wischte die Körner auf, die beim Umheben heruntergefallen waren. Später verfütterte er diese an die Hühner. Ich durfte mit meinen fünf Jahren den Futtersack aufhalten, Opapa füllte ihn und ich war mächtig stolz, in dieser Erwachsenenwelt eine wichtige Aufgabe zu haben.

      Am schönsten fand ich es aber, den schweren Maschinen bei der Arbeit zuzuschauen. Oft kraxelte ich den etwa fünf Meter hohen Damm hoch, der das Land vor dem gelegentlich auftretenden Donauhochwasser schützen sollte. Von dort oben hatte ich einen hervorragenden Ausblick: hinter mir der Hof meines Opapas, vor mir die Donau und das geschäftige Treiben der Verladearbeiter. Ich konnte stundenlang dort sitzen und beobachten. Vor allem faszinierten mich die Eisenbahnen. Damals, im Jahr 1964, waren es noch dampfbetriebene Lokomotiven, die die Güterwaggons mit der wertvollen Fracht über die Gleise an die Donau schleppten. Weißer Dampf schoss aus den Druckkesseln der schwarzen Stahlkolosse und ich konnte den Rauch der verbrannten Kohle riechen. Nach Feierabend, wenn keiner mehr dort war, schlich ich zu den Silos und turnte todesmutig auf den hohen Verladekränen herum.

      Eines Tages, als ich mal wieder auf dem Donaudamm saß und die Aussicht genoss, schaute ein Lokführer aus dem Führerstand heraus und rief mir zu: »Wie heißt du?«

      » Ruedi.«

      » Ruedi«, fragte der Lokführer, »willst du mal eine Runde mitfahren?«

      Mein Herz pumperte vor Freude, ich konnte kaum fassen, dass ein erwachsener Mann, noch dazu im Dienst, einen Knirps wie mich überhaupt wahrgenommen hatte. Natürlich wollte ich mitfahren! Voll Ehrfurcht näherte ich mich dem eisernen Ungetüm, das gefühlt zehnmal so hoch war wie ich, zog mich die Leiter hinauf und schon war ich drin.

      Nun sah ich ganz aus der Nähe, wie die Männer die Kohlen in den Bauch der Güterlok schaufelten, die vom Feuer eifrig verzehrt wurden. Dann setzte sich die schwere Lok in Bewegung. Von außen hatte ich sie schon hundertmal beobachtet, doch hier drin wirkte alles so fremd und faszinierend, dass ich mich wie in einer anderen Welt fühlte. Wir fuhren zwei Kilometer weit, es zischte und es fauchte, es war warm und einfach wunderschön. Alles, was geschah, sog ich regelrecht in mich auf, so kostbar empfand ich diese kurze Fahrt. Ein gigantisches Erlebnis für mich kleinen Kerl!

      Ich hatte Opapa viel zu berichten. Und auch er erzählte mir viel aus einem Leben, manchmal aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, in der er als Soldat gedient hatte. Ursprünglich stammte er aus der Nähe von Budapest. Zu dieser Zeit gab es noch die kaiserliche und königliche Monarchie Österreich-Ungarn. Opapa wurde gegen Ende des Krieges als 17-Jähriger eingezogen. Mit seiner Einheit wurde er nach Südtirol in den Alpenkrieg gegen Italien geschickt. Dort erlitt er einen Bauchschuss, von dem er sich nur schwer erholte. Die Kriegsverletzung machte ihm auch später immer wieder zu schaffen.

      Damals schwor er sich, nie wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen. Nach dem Krieg kam er nach Wien und begann, regelmäßig in der Bibel zu lesen. Dennoch war er ein gefürchteter Mann, denn er hatte ein cholerisches Temperament, war jähzornig und verprügelte seine zahlreichen Kinder oft, wenn sie nicht spurten.

      Ich selbst hatte noch keine Schläge von ihm bekommen. Umso eindrücklicher war es für mich, als ich das erste Mal seine Wut am eigenen Leib erlebte.

      Jeden Freitag nahm mein Opapa alles, was sich im Laufe der Woche an Abfall auf dem Hof angesammelt hatte, schichtete es auf einen großen Haufen und verbrannte es. Natürlich gab es für einen kleinen Bub wie mich kaum etwas Faszinierenderes, als ein prasselndes Feuer zu beobachten. Ich freute mich jede Woche auf die lodernden Flammen, die nach und nach die Zweige, die Blätter und den sonstigen Unrat Stück für Stück verzehrten, bis am Ende nur noch Asche übrig blieb. Diese verstreute der Opapa unter den Obstbäumen, denn sie war ein hervorragender Dünger.

      An einem Freitag machte Opapa kein Feuer. Als ich ihn enttäuscht nach dem Grund fragte, antwortete er barsch: »Nächste Woche.«

      Ich wollte aber unbedingt das Feuer sehen, daher kümmerte ich mich selbst darum. Irgendwo stahl ich Streichhölzer, schichtete vor dem Heuschober allerhand Brennbares zusammen und zündete es an. Ich muss nicht erwähnen, dass ein Feuer in der Nähe eines Heuschobers keine besonders gute Idee ist, aber als Fünfjähriger macht man sich solche Gedanken nicht. Im Gegensatz zu meinem Opapa. Als er die Flammen sah, eilte er herbei und löschte sie auf der Stelle, bevor sie Unheil anrichten konnten.

      Dann kümmerte er sich um mich. In seiner Rage griff er sich einen Stecken und prügelte mich damit windelweich. Er schlug mich auf den Hintern, auf die Beine, den Rücken, auf meinen ganzen Körper. Er wütete und wütete. »Der zündet mir noch das Haus an, das darf noch nicht wahr sein!«, brüllte er.

      Omama war gerade zur Ernte auf dem Hof. Als sie sah, wie heftig er mich schlug, mischte sie sich ein und Opapa ließ von mir ab. Ich weinte, wie ich selten geweint hatte, und war völlig verstört. Opapa war kein zärtlicher Mensch, aber eigentlich hatte ich großes Vertrauen zu ihm gehabt. So hatte ich ihn noch nie erlebt und es war eine traumatische Erfahrung für mich.

      Trotzdem war ich weiterhin sehr gerne im Opapa-Garten. Bei den Silos gab es eine Fischerhütte mit einem Restaurant, und wenn Opapa guter Laune war, aßen wir dort gemeinsam. Es gab duftenden Fisch und knuspriges Brathendl, sogar Almdudler durfte ich trinken.Mein Großvater hieß mit Nachnamen Szabo, die Großmutter Schmid. Er arbeitete draußen auf dem Hof, sie in der Stadt. Während der Ernte half Omama im Opapa-Garten oder auf dem Hof bei ihrer Mutter in Obersiebenbrunn. Manchmal fuhr Opapa mit dem Bus nach Wien in die Castellezgasse, blieb über Nacht und fuhr am nächsten Morgen wieder aufs Land. Damals war mir nicht bewusst, wie seltsam diese Beziehung war.

      Ich war der Lieblingsenkel meiner Omama und sie verwöhnte mich mit allerlei Köstlichkeiten. Noch heute staune ich darüber, was sie auf ihrem schon für damalige Verhältnisse altmodischen Holzherd zubereiten konnte. Mit ihrer Buttercremetorte habe ich mich regelmäßig vollgefressen. Bat ich um eine Buttersemmel, gab sie mir eine, verlangte


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