Knallhart durchgezogen. Rudolf Szabo

Knallhart durchgezogen - Rudolf Szabo


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heißt. Das sind Hähnchenteile, die in Ei und Semmelbröseln gewälzt und anschließend in einer Pfanne mit viel Öl goldbraun gebacken werden. Meine Omama konnte sie besonders schmackhaft zubereiten. Ob Bein oder Brust, ich bekam immer die besten Stücke.

      Meine Mutter war eine bildhübsche Frau. Schlank, zarte Haut, dunkelbraune lange Locken, die Männer lagen ihr zu Füßen. Umgekehrt galt das auch für meinen Vater. »Rotschopf« nannte meine Mutter ihn. Er war Rock-’n’-Roll-Fan, sang die Hits von Bill Haley und Elvis Presley und ließ sich eine Tolle wachsen, die er mit reichlich Pomade zu stabilisieren wusste. Ich selbst war die Folge eines Unfalls. Es war wohl der Sturm der Leidenschaften zweier Liebender, der dafür sorgte, dass ich am 12. Juli 1959 auf die Welt kam. Meine Eltern waren beide erst 19 Jahre alt und auf unterschiedliche Weise mit der Situation überfordert. Meine Mutter musste ihre Ausbildung zur Krankenschwester wegen der Schwangerschaft abbrechen. Mein Vater war eigentlich Mechaniker für Motorräder und Autos. Doch in Österreich waren die Nachkriegsjahre wirtschaftlich schwierige Zeiten, mit Gelegenheitsjobs und branchenfremder Arbeit konnte er sich knapp über Wasser halten. Deshalb nahm meine Großmutter die beiden bei sich in der Castellezgasse auf.

      Dass wir zu dritt bei meiner Omama wohnen durften, könnte man für eine liebevolle Geste halten, und das war es wahrscheinlich zum Teil auch. Gleichzeitig wollte Omama einen Keil zwischen meine Eltern treiben, was ihr auch gelang. Mich verwöhnte sie nach Strich und Faden, im Hintergrund strickte sie jedoch ständig Intrigen gegen meine Mutter. Sie wollte erreichen, dass mein Vater sich von ihr trennte. Omama beschuldigte sie, sie habe ihren geliebten Sohn, meinen Vater, mit Absicht verführt, um schwanger zu werden. Außerdem gebe meine Mutter mir zu wenig Essen, deshalb sei ich auch so ein »Sprenzel«, also ein schmächtiger Junge. Immer wieder stritten sie sich. Meinen Vater belasteten die Intrigen und Zänkereien sehr. Er liebte meine Mutter über alles, und gerade deshalb war er mit seinen noch nicht einmal 20 Jahren hoffnungslos überfordert: Zu wem sollte er halten? Zu seiner geliebten Frau oder zu seiner Mutter? Mein Vater entschied sich für eine dritte, noch schlechtere Möglichkeit: Er verließ uns.

      Als ich zehn Monate alt war, eskalierte ein Streit zwischen meiner Mutter und Omama dermaßen, dass mein Vater in einer Kurzschlussreaktion die Koffer packte und durchbrannte. War meine Mama vorher schon überlastet gewesen, so wuchs der Druck nun noch mehr. Jetzt musste sie sich alleine mit ihrer giftigen Schwiegermutter auseinandersetzen und zusehen, wie sie das nötige Geld für den Lebensunterhalt bekommen konnte. Sie fand eine Stelle bei einem jüdischen Anwalt, für den sie Büroarbeiten und Botengänge erledigte, und gab mich zu »Pflegetanten«, die sich tagsüber um mich kümmerten und dafür von meiner Mutter Hütegeld erhielten.

      Bei meinem Vater siegte irgendwann die Liebe zu meiner Mutter. Andere Frauen interessierten ihn nicht. Deshalb entschloss er sich, nach Hause zurückzukehren. Er vermisste seine Frau, die er ja nicht im Streit, sondern in verzweifelter Liebe verlassen hatte.

      Als mein Vater mich so verwahrlost fand, stieg ein unglaublicher Zorn in ihm auf. Er war kurz davor, die Pflegetanten zu verprügeln. Als er mich aus der prekären Situation gerettet hatte, brachte er mich zu meiner Omama, damit sie sich um mich kümmerte. Diese war durchtrieben genug, die Situation in ihrem Sinne zu deuten – gegen meine Mutter: »Sieh, so schlecht behandelt deine Frau deinen Sohn!« Meine Mama erwiderte, sie habe keine andere Wahl gehabt, als mich abzugeben, sonst hätte sie nicht das Geld verdienen können, um mich zu ernähren.

      Was dann folgte, war ein beispielloser Wutausbruch meiner Großmutter, eine Salve von Anschuldigungen und Beleidigungen, die endgültig zur Eskalation führten. Wieder traf mein Vater aus dem Affekt eine Entscheidung, diesmal aber eine bessere: »Wir ziehen in eine eigene Wohnung, auch wenn wir uns nur ein Mäuseloch leisten können!« Das taten sie und das war gut so, denn meine Mutter hätte die ständigen Konflikte wohl nicht länger ausgehalten.

      Die Wochenenden verbrachte ich oft bei meiner Urgroßmutter in Obersiebenbrunn. Das Bauerndörfchen hatte einst historische Bekanntheit erlangt, weil Napoleon dort sein Heer sammelte, um in den Russland-Feldzug zu ziehen.

      Ich genoss die Landidylle und die Fürsorge meiner Urgroßmutter, die mich zu verwöhnen wusste: mit Schokoladenkuchen, allerhand Süßem und anderen Köstlichkeiten. Bei ihrem Haus stand eine große Scheune, in der sie das Stroh lagerte. Für mich aber war diese vor allem ein toller Spielplatz. Ich kletterte auf das bestimmt zehn Meter hohe Gebälk hinauf und ließ mich todesmutig ins Heu fallen. Null Angst! Wenn ich heute dort hinaufschaue, wird mir schummerig. Was hätte mir mit meinen fünf, sechs Jahren alles passieren können! Doch der Nervenkitzel war damals einfach zu aufregend. Außerdem konnte ich so meinen Mut beweisen und meine inneren Ängste überwinden. Der Wunsch, innere Schwachheit durch äußere Stärke zu besiegen, zieht sich durch meine gesamte Kindheit.

      In Obersiebenbrunn nahm mich meine Urgroßmutter immer mit in die katholische Kirche. Ich fand das furchtbar langweilig, diese schnöde Liturgie, die langatmigen Predigten! An den Osterfesttagen mussten wir sogar jeden Tag die Messe besuchen!

      Überhaupt wehte in dieser Zeit ein unguter, ja, unbarmherziger Wind durch die Kirche, anders als heute. Rechthaberei, Moralismus und der erhobene Zeigefinger dominierten mancherorts. Zumindest hatte meine Mutter das so erfahren. Als mein Vater uns damals verließ, suchte sie Hilfe bei einem katholischen Priester. Dem fiel nichts Besseres ein, als ihr ihre Sünden vorzuwerfen: »Warum gebärst du überhaupt uneheliche Kinder?« Wo war da die Botschaft Jesu von Güte und Gnade, Verständnis und Barmherzigkeit? Echte Hilfe fand meine Mutter erst bei dem jüdischen Anwalt, der ihr einen Job gab.

      Es fällt mir nicht leicht, meine Beziehung zu meiner Mutter zu beschreiben. Ich habe sie nicht als zärtlich kennengelernt. Sie hatte mich wohl gerne, aber sie war so überfordert und alleine, dass sie kaum Nähe zuließ. Als Ältester musste ich vor meinem prügelnden Vater für meine Geschwister geradestehen. Meine drei Jahre jüngere Schwester war Vaters Liebling, mein kleiner Bruder kam als Jüngster nie so unter die Räder wie ich. Wenn mein Vater mich verprügelte, nahm meine Omama mich manchmal in Schutz, meine Mutter nicht. Sie sah zu, wie ich litt. Ich fühlte mich von ihr nicht geliebt und daher auch minderwertig. Mit Mutproben wie den kühnen Sprüngen ins Heu versuchte ich, mich selbst zu bestätigen, weil mir die Bestätigung von außen fehlte.

      Manchmal gingen wir in Wien spazieren. An einem Tag palaverten und diskutieren die Erwachsenen, ich schlenderte verträumt hinterher. Was war das hinter dem Schaufenster? Eine Modelleisenbahn! Sofort zog mich diese in ihren Bann. Die Besitzer hatten mehrere Züge aufgebaut, die geduldig über die kleinen Schienen ratterten, durch Tunnel, vorbei an Bahnhöfen, Bahnübergängen, winzigen Bäumchen und Wiesen aus Miniaturmoos, auf denen Schafe grasten. Mit offenem Mund stand ich am Schaufenster und tauchte ganz in die Miniaturwunderwelt ein. Minutenlang muss ich dort gestanden haben, bis ich mich nach meinen Eltern umdrehte. Ein Schreck durchzuckte mich. Ich konnte sie nicht mehr sehen. Sie hatten mich verloren. Ich lief ziellos auf der Straße umher, vor Verzweiflung fing ich an zu weinen. Vermutlich spielte da auch das Trauma aus meiner Kleinkindzeit eine Rolle.

      Irgendwann erbarmte sich ein Passant und nahm mit auf die Polizeiwache. Die Beamten trösteten mich und gaben mir Schokolade. »Mama und Papa kommen bestimmt bald, Bub«, sagten sie. Ich war noch zu jung, um den Polizisten meine Adresse in der Castellezgasse zu nennen, doch die Beamten behielten Recht. Nach einiger Zeit erschienen tatsächlich meine Eltern. Erleichtert klammerte ich mich ganz fest an sie.

      Die Geldsorgen meiner Eltern wuchsen, denn mein Vater fand nur schlecht bezahlte Jobs, die uns als Familie gerade ernähren konnten. Sowohl meine Mutter als auch mein Vater hatten wunderbare Kindheitserinnerungen an ein Land, das von den Schrecken des Zweiten Weltkriegs weitgehend verschont geblieben war: die Schweiz. Nur wenige Städte waren hier durch amerikanische oder britische Bomber zerstört worden. Alle mussten zwar wegen der fehlenden Auslandsaufträge den Gürtel enger schnallen, doch in den umliegenden Staaten litten die Menschen ungleich mehr. Die Eidgenossen, die für ihre diplomatische Neutralität bekannt sind, hatten nach dem Krieg viele österreichische Kinder aufgenommen, um sie aufzupeppeln. Unabhängig voneinander waren meine Eltern beide einige Monate als Kinder dort untergebracht. Es muss für sie wie ein Schlaraffenland gewesen sein. Immer gab es genug – und leckeres! – Essen, die Schweizer empfingen sie herzlich und gastfreundlich. Außerdem gab es natürlich


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