Handbuch Fahrrad und E-Bike. Michael Link W.

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       E-Bikes: Am Anfang stand ein Schweizer Tüftler

      Während Anfang der 1990er-Jahre konventionelle Mountainbikes mit immer größeren Übersetzungen die Wald- und Wiesenwege Europas eroberten, dachte ein Schweizer Tüftler weiter voraus. Philippe Kohlbrenner war als technischer Kaufmann Mitarbeiter eines Energieunternehmens in Oberburg im Kanton Bern. Er wohnte im Emmental auf dem Berg Lueg, einem bekannten Aussichtspunkt der Gemeinde Affoltern. Um sich fit zu halten, fuhr er den Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad. Ins Büro ging es bergab, doch der Nachhauseweg war hart – 300 Höhenmeter musste Kohlbrenner überwinden. Nach einigen Monaten hatte er von seinem Fitnessprogramm genug – und was Kohlbrenner dann ersann, wurde zur Urform eines neues Fahrradtyps: Er hängte einen Waschmaschinenmotor und eine Autobatterie an sein konventionelles Sportrad – das erste E-Bike war erfunden.

      Zwei Jahre später gründete er mit Reto Böhlen und Christian Häuselmann die Firma BKTec und stellte seine in Kleinserien gebauten verbesserten Modelle auf Messen vor. Allein, dem Elektro-Erstling war kein Erfolg beschieden. Zu schwer die Batterie, zu gering die Reichweite, zu klobig das Styling, Investoren sprangen ab. Im Jahr 2000 dann erkannte der Unternehmer Kurt Schär das in der Erfindung Kohlbrenners schlummernde Potenzial und stieg als Geschäftsführer bei BKTec ein. 2001 wurde das Unternehmen in Flyer umbenannt.

      Mit seinem Geschäftspartner und Produktentwickler Hans Furrer stellte Schär 2003 einen Tiefeinsteiger mit Elektrounterstützung vor: Die „Flyer C-Serie“ war das erste Elektrofahrrad Europas mit der Lithium-Ionen-Technologie. Es hatte einen tiefen Schwanenhalsrahmen, der dicke Akkupack saß hinterm Sitzrohr – der Durchbruch auf dem E-Bike-Markt.

      Dieser Flyer war massentauglich: Er war komfortabel, das Design klassisch an bekannte Formen angelehnt. Mit Verbesserungen wurde das Modell bis Ende 2018 gebaut. Es war zunächst einzigartig auf dem Markt, und mit persönlichen Promotiontouren machten die E-Biker aus der Schweiz ihre Modelle bekannt. Die Verkaufszahlen wuchsen, aus der Firma, die man heute als Start-up bezeichnen würde, wurde ein Großhersteller. Falträder, Tandems und ab 2006 auch Mountainbikes wurden elektrifiziert, S-Pedelecs kamen hinzu. Flyer hatte sich zu einer treibenden Kraft auf dem E-Bike-Markt entwickelt. Heute arbeiten im Werk in Huttwil 300 Mitarbeiter. Rund 60 000 E-Bikes werden im Jahr verkauft. Die Firma hat Tochtergesellschaften in Deutschland, Österreich und den Niederlanden.

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      E-Bike-Pionier Philippe Kohlbrenner …

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      … und sein erstes E-Bike

       DAS CITYRAD – DER TIEFEINSTEIGER

      Dieses Segment war lange Zeit das etwas brav anmutende Fahrrad mit tief heruntergezogenem Wave-Rahmen, breiten Reifen, Kettenschaltung und dem obligatorischen Einkaufskorb auf dem Gepäckträger. Doch heute haben sich stylische Stadträder in schicken Farben mit Mixte-Rahmen, Gepäckträger vorn und Scheibenbremsen hinzugesellt. Die verbindenden Elemente: Auf diese Fahrräder kann man bequem aufsteigen, sie sind praktisch, alltagstauglich und wartungsarm. Mit ihnen erledigt man den täglichen Einkauf oder die Fahrt um die Ecke, fährt vielleicht noch am Abend zum Theater. Man sitzt aufrecht – das ganze Rad ist eindeutig auf komfortables Dahinrollen in urbanem Terrain ausgerichtet. Manchmal hilft dabei auch eine gefederte Sattelstütze. Wochenendtouren sind nicht das Metier eines Citybikes. Gewichtsersparnis ist kein Thema: Um die Tiefeinsteigerrahmen stabil zu halten, sind die Rohre üppig dimensioniert. Ein großer Radstand verhilft zu einem strikten Geradeauslauf.

      Die besseren Cityräder haben Nabenschaltungen mit drei bis acht Gängen. Die stufenlose Enviolo-Schaltung ist eine gute Ausstattungsvariante, aber eher selten zu finden. Cityräder sind komplett ausgestattet mit Lichtanlage, Schutzblechen und Gepäckträgern – wovon gern auch einer über dem Vorderrad angebracht sein kann. Felgenbremsen dominieren, aber auch hier kommen immer mehr Scheibenbremsen auf. Es gibt Modelle mit Nabenschaltung und Nabenbremse, was der gewohnten Bedienungspraxis älterer Radler oft entgegenkommt. Viele Modelle sind schick gestaltet mit Weißwandreifen, Ledersätteln oder Lenkergriffen aus Leder. Manche lehnen sich an französische Räder der 1950er-Jahre mit Berceau- oder Anglaise-Rahmen (siehe Seite 87) an – und verfügen doch über moderne Scheibenbremsen.

      Die E-Bike-Variante eines Citybikes besitzt all diese Eigenschaften auch. Die Motoren haben üblicherweise 250 Watt mit 40 Nm. Das reicht in der Stadt völlig aus. Scheibenbremsen sind bei E-Bikes Standard und zu empfehlen – ihre Wirkung ist einfach besser als die der Felgenbremsen. Bei den Akkus geht der Trend hin zur formschöneren Integration in den Rahmen.

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      Tiefeinsteiger ohne E-Motor

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      Citybike mit Tiefeinstieg

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      Tiefeinsteiger als E-Bike

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       image Tiefeinsteiger-E-Bikes im Test

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      Die Kategorie der Tiefeinsteiger ist bei den E-Bikes sehr beliebt. Wegen des tiefgeschwungenen Rahmens kann man gut aufsteigen, die Modelle gelten als komfortabel. Im test-Heft 6/2020 wurden die Ergebnisse für zwölf Modelle veröffentlicht. Im Praxistest überzeugten zehn Räder die Tester – aber nur vier waren so robust und sicher, dass sie mit Gut bewertet wurden, und zwar die Modelle Stevens „E-Courier PT 5“, Pegasus „Premio Evo 10“, Raleigh „Kent 9“ und der Sieger KTM „Macina Tour 510“. Beim KTM-Rad lobten die Tester die sehr guten Fahreigenschaften und den schnell aufgeladenen Akku; gemessene Reichweite: 55 Kilometer.

       Tiefeinsteiger-Pedelecs

      Im Jahr 2020 hat die Stiftung Warentest Tiefeinsteiger verglichen (test 6/2020). Siehe auch test.de, Stichwort „Tiefeinsteiger“.

      Das Stevens-Modell empfanden die Tester bergauf wegen der Nabenschaltung als etwas schwächer, dafür fuhr es sehr leise. Reichweite unter Testbedingungen: 51 Kilometer. Das E-Bike von Pegasus überzeugte mit einem kraftvollen Motor, der den Testern aber etwas zu laut war. Reichweite: 55 Kilometer. Das Raleigh bot einen gut abgestuften Boschmotor, wirkte aber mit viel Gepäck etwas instabil. Reichweite: 52 Kilometer.

      Die Akkukapazitäten lagen zwischen 500 und 540 Watt. Zwei Räder gar waren nicht brandsicher: das Kalkhoff „Endeavour 5.S Move“ und das Kettler „Paramount 10G“. Die Steckergehäuse ihrer Akkus entzündeten sich unter starker Hitzeeinwirkung, zudem gab es Materialprobleme: Das Kalkhoff hatte einen Riss an der Sattelstütze, das Fischer „Cita 6.0i“ wies einen Riss an der Bohrung der Sattelstützenklemmung auf, beim teuren Flyer „Gotour 6““ war eine Schweißnaht angerissen. Das Qwic „Premium i MN7+“ schlingerte mit viel Gepäck und zeigte einen Riss im Steuerrohr, die Modelle Falter „E 9.8 KS Wave“, Kreidler „Vitality Eco 7“ und Winora „Sinus i 9“ enthielten kritische Mengen von Weichmachern. Die Preisspanne lag bei den getesteten Modellen zwischen 2 150 und 3 500 Euro.

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