Das Zeichen der Erzkönigin. Serena J. Harper

Das Zeichen der Erzkönigin - Serena J. Harper


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nicht zornig, Liebes«, sagte er spöttisch, während die Wachen ihn packten und ihm die Füße unter den Beinen wegtraten.

      Lamia näherte sich ihm, bis sie ihm so nahe war, dass er sich in ihren hellen Augen spiegeln konnte. »Ich bin nicht zornig, Rodric«, sagte sie, als ihre Hand sich tief in sein nachtschwarzes Haar grub. »Ich bin dir dankbar, dass du mich daran erinnert hast, dass du dich von Zeit zu Zeit nach Schmerzen sehnst.« Ihre Hand wanderte zu ihrem Hals, und ihre Finger fanden die lange Kette mit feinen Silbergliedern, die sie unter ihrem Kleid trug.

      Rodric atmete ein, versuchte, sich auf das gefasst zu machen, was sie tun würde, doch nichts konnte ihn auf den Schmerz vorbereiten, der beinahe sein Trommelfell zum Platzen brachte, als Königin Lamia die Scherbe benutzte.

      Das Letzte, was er im Spiegel ihrer kalten Augen bewusst sah, war er selbst, wie er schrie, wie er sich gegen die Wachen auflehnte.

      8

      Das letzte Mal, dass Tyran so viele Sturmalben an einem Ort versammelt gesehen hatte, war er noch in Stormwood Hold in Askyan gewesen, als er unter Königin Aswang aufgewachsen war. Später hatte er andere seiner Art nur noch vereinzelt an den Höfen in Shayla getroffen – oder, schlimmer noch, als Feinde auf den Himmelsschlachtfeldern, für die sie ihn eingesetzt hatten. Aber als Tyran sich mit angelegten Flügeln aus dem Wagen bewegte, langsam, um die Wächter, die ihn mit Argwohn beobachteten, nicht zu provozieren, sah er fast überall Askyaner, obwohl sie noch immer in Shayla waren.

      Die Gerüchte, dass Elnesta eine ausgeprägte Vorliebe für geflügelte Männer hatte, bewahrheiteten sich damit.

      Einer der Herolde ihres Hofes trat aus dem Haupthaus in den Innenhof des Anwesens; es war ein Nachtalb, deutlich älter, mit kurzem, grauem Haar. Die Festung Oakwrath machte ihrem Namen alle Ehre: Holz, viel davon, eine gemauerte Burg, die einmal von Erdalben erbaut worden war, stellte Tyran fest. Das Haupthaus war groß und unbeeindruckend schnörkellos und stützte sich wie alles andere auf hölzernes Gebälk. Der Gedanke, wie ein Funke seiner Mahr reichen würde, um alles, was seine Augen sahen, in wenigen Minuten mit Flammen dem Erdboden gleichzumachen, ließ ein Grinsen auf seine Züge wandern.

      Ihn traf der Schlagstock eines Wärters in den Magen. Der Hieb war genug, um ihn zucken zu lassen, aber bei Weitem nicht ausreichend, um dafür zu sorgen, dass er sich krümmen würde.

      Tyran wandte den Kopf zu dem Wärter und schüttelte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Er zwinkerte dem Wärter zu, der drohend erneut den Knüppel hob.

      Es hatte seine Vorteile, weit weg von Rodric zu sein. Keiner von ihnen musste sich bei diesen Kleinigkeiten schuldig fühlen, wenn sie durch ein wenig Provokation Missfallen erzeugten.

      Dass man sie beide mit dem anderen kontrollieren konnte, war Königin Lamia viel zu schnell aufgefallen, und seitdem hatte sie diese Waffe skrupellos gegen sie beide verwendet.

      Mit deutlich gespielter Beschwichtigung hob Tyran die aneinander geketteten Hände. Es waren Schellen aus Mahrillium, aber Tyran wusste, dass ein roter Krieger wie er auch von magisch behandeltem Eisen nicht lange aufgehalten werden konnte. Er hatte Rodric gesehen, wie dieser mit seiner Geistes- und Körperkraft Ketten aus Mahrillium in Sekunden gesprengt hatte – und jenen, der sie ihm angelegt hatte, noch mit dazu. Solche Schellen hatten genügt, als er noch ein Junge gewesen war – heute sollten sie lediglich den Wärtern, die in der Gegenwart von Kriegern wie ihm nervös von einem Fuß auf den anderen traten, ein Gefühl von Sicherheit vermitteln.

      »Ist er das?«

      Tyran blieb keine Zeit, auf die Stimme zu reagieren. Die Wärter, die ihn an den Armen gepackt hielten – als wären seine Flügel nicht stark genug, ihn in die Lüfte zu heben, mit ihren schwerfälligen Leibern als Ballast! –, zerrten ihn nach vorn zu dem Herold, der die Ankunft überwacht hatte, und der Frau, die keine andere als Elnesta sein konnte. Die grüne Königin musterte ihn mit begierigen Augen.

      »Ohh, er gefällt mir«, sie legte vertrauensvoll die Hand auf den Arm ihres Herolds. »Er gefällt mir!«

      Tyran hob die Augenbrauen.

      Er wusste nicht, ob er enttäuscht oder erleichtert sein sollte. Diese Frau, wenngleich sie eine Lichtalbin war, hatte nichts von der Raffinesse, mit der Königin Lamia Angst in jedes Herz pflanzen konnte. Selbst ihrem Gesicht fehlte die Feinheit, die den meisten Lichtalben zu eigen war. Er hatte mit einer furchteinflößenden Kopie von Lamia gerechnet, aber diese Frau – diese Königin – war nicht anders als die wollüstigen Hofschranzen, die sich im Kristallpalast scharten.

      Tyran hörte nicht auf, sich umzusehen, während die Königin ihn ihrerseits musterte. Er war diese Begutachtung zu sehr gewöhnt, um sich davon erniedrigt zu fühlen.

      Der Zustand der Sklaven, die er sehen konnte, reichte von annehmbar bis kurz vor dem sicheren Tode stehend. Am meisten erschreckte es ihn, dass man bei einigen das dichte Gefieder der Flügel ausgedünnt und gestutzt hatte. Instinktiv zog Tyran seine Flügel näher an seinen Körper heran, nur um im nächsten Moment zu spüren, wie die Finger der Königin sich um seinen Flügelbogen schlossen. Sie fuhr bewundernd über die ebenmäßigen dunkelgrauen Federn.

      »Sie sagen, an dir kann man sich die Finger verbrennen«, erklärte sie ihm. »Dass dein Temperament so rot brennt wie deine Rún.« Sie streckte die Hand nach seinem Schopf aus. »Und wie dein Haar.«

      »Wer sagt das denn?«, fragte Tyran mit ruhiger Stimme.

      Seine blauen Augen verengten sich zu Schlitzen, als er beobachtete, wie die Königin von einem Fuß auf den anderen trat. Eine Ungeduld lag in ihrem Wesen, die sie wohl nur selten zu zügeln versuchte.

      Sie ignorierte seine Frage, während sie ihn genauer in Augenschein nahm.

      »Ich will ihn ganz sehen. Er soll sich ausziehen.«

      Tyran hatte mit dieser Aufforderung gerechnet. Er fragte sich, wie viele es eine oder beide Hände gekostet hatte in den letzten Jahrhunderten, die es gewagt hatten, ihm die Kleidung herunterzureißen. Aber im Moment hemmten die Ketten seine Macht noch erheblich. Wollte er die Mahr einsetzen, musste er diese erst sprengen und sie dann verwenden. Er konnte es schaffen. Die Königin stand unvorbereitet vor ihm. Wenn er sich geschickt anstellte, konnte er ihr das Genick brechen, bevor sie auch nur einen weiteren Satz aussprach. Tyran konnte gerade noch ein Grinsen unterdrücken. Er hatte schließlich einen Ruf zu verlieren.

      Er sammelte die Kräfte seiner Rún, doch bevor er dazu kam, sie zu bündeln, bahnte sich ein heftiger, stechender Schmerz seinen Weg von einer Schläfe zur anderen und ließ Tyran nach Luft schnappen.

      Nur eine Warnung. Es war nur eine kleine Erinnerung gewesen. Die Erinnerung an das eine Werkzeug, mit dem sich keine Schellen aus Mahrillium und keine Peitsche in Norfaega messen konnte.

      Mit leise brodelnder Wut sah Tyran mit an, wie einer der Männer, der ihn begleitet hatte, drei kleine Kristallanhänger abstreifte und sie Elnesta aushändigte. Ohne Umschweife reichte sie zwei davon an ihren Herold weiter. Die Königin zog eine lange Kette aus den Falten ihres Kleides. Andere hätten daran einen Schlüsselbund vermutet – Tyran wusste es besser. Sie schob die kleine Öse, mit der der Anhänger gefasst worden war, über die Kette. Tyran spürte, wie ihr Geist nach der neuen Verbindung suchte. Übelkeit stieg in ihm auf, als er ihre mentale Signatur über sein Innerstes streichen spürte.

      Die Scherbe.

      Er kannte keinen einzigen Mann, der sie trug, den sie nicht in Schrecken versetzte.

      Tyran hob die aneinandergeketteten Hände, langsam genug, dass die Wachen ihn gewähren ließen, und begann, den Halsverschluss seiner asykanischen Tunika zu öffnen. Wer ein Paar Flügel auf dem Rücken trug, war auf Kleidung angewiesen, die man nicht über den Kopf ziehen musste. In seinem Fall war es eine äußert simple Jagdtunika aus weichem Wildleder, die nur im Nacken und am Rücken unter den Flügel zugeknotet wurde.

      »Eine Schürze mit Ärmeln«, bemerkte einer der Männer verächtlich, während er die unteren Knoten löste, die Tyran unmöglich erreichen konnte.

      Nur


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