Das Zeichen der Erzkönigin. Serena J. Harper

Das Zeichen der Erzkönigin - Serena J. Harper


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dass du ihr die Unterhaltung für den Abend verdorben hast.«

      Sein Gegenüber presste wütend die Zähne aufeinander, bis Tyran es knirschen hören konnte. Er versetzte ihm einen weiteren Stoß, bevor er zurücktrat und mit dem Dolch auf ihn deutete.

      »Das nächste Mal bist du fällig, Askyaner, und dann wirst du dir wünschen, mit den anderen Sturmalben abgeschlachtet worden zu sein.«

      9

      Varcas ging geschmeidiger, als er es selbst für möglich gehalten hatte, auf ein Knie herunter, um den Boden zu begutachten. Die Blicke der Männer, die ihn begleiteten, brannten in seinem Rücken. Er war sich ihrer Unsicherheit schmerzlich bewusst, während er versuchte, aus den zarten Spuren, die die Königinnentochter bei ihrem Weg durch die Wälder hinterlassen hatte, und ihrer Beschreibung schlau zu werden. Mit einem Seufzen gab er schließlich auf und erhob sich.

      Das Ganze wäre um ein Vielfaches leichter gewesen, wenn sie einen Angehörigen der Kriegerkaste in dem Dorf gehabt hätten. Doch die Männer trugen alle nur den Kreis und konnten keine Fähigkeiten vorweisen, die nützlich hätten sein können.

      »M’lord?«

      Selbst diese einfache Anrede war reich des Wunsches der Männer, zurück in ihr Dorf zu gehen.

      »Ich muss nachdenken«, sagte er mit einem Anflug von Gereiztheit.

      Er wusste, Geduld stand einem Seher weitaus besser an als die unruhige Spannung, die ihn die Inkompetenz seiner Begleiter verfluchen ließ.

      Sie konnten nichts dafür, mahnte er sich selbst. Es waren Bauern und kleine Händler. Niemand von ihnen war mit den Talenten eines Kriegers gesegnet.

      Wie die weiblichen Kasten waren auch die männlichen mit außergewöhnlichen Eigenschaften ausgestattet. Dass ein Krieger ein Talent für Waffen besaß, war dabei nur die Krönung seiner Veranlagungen. Es war viel mehr. So besaßen sie üblicherweise unter allen Alben die feinsten Sinne und Instinkte, was sie auch zu exzellenten Spurenlesern machte.

      Sein alter Freund Hjalvar Stormblood hatte dies in ihrer gemeinsamen Zeit in Stormwood Hold in Askyan beeindruckend und auf vielfältige Weise bewiesen. Varcas hatte sich als Seher noch nie so blind gefühlt wie auf den Streifzügen mit Hjalvar, der in jedem Grashalm auf den kargen Küstenzügen die Geschichte der vergangenen Tage abzulesen vermochte. Sie hatten ein gutes Gespann abgegeben, damals.

      »Wir gehen weiter«, entschied Varcas. Niemand widersprach ihm. Zustimmung fand er dennoch keine in den Blicken, die die Dorfbewohner untereinander austauschten. Trotzdem folgten sie ihm, als er mit der Mahr eine Kugel Albenlicht neben sich erschienen ließ und sie mit einer Bewegung von Zeiger- und Mittelfinger an die Spitze seines Zepters hängte, wo sie verblieb.

      Die Wälder im Süden Shaylas bestanden aus dichtem Unterholz und Laubbäumen mit schweren Kronen, anders als in den nördlicheren Regionen Norfaegas, in denen hauptsächlich Nadelhölzer zu finden waren. Das Dach, das die Ulmen und Gleditschien bildeten, versperrte beinahe vollständig die Sicht auf den farbdurchtanzten Himmel. Irgendwo tiefer in den Gedärmen des Waldes heulten Wölfe.

      Als seine Albensinne die Spur einer Aura auffingen, hielt Varcas inne. Nein, korrigierte er sich selbst, es war nicht eine Aura, es waren mehrere. Viele. Varcas tastete sich geistig vorwärts und ließ seine Schritte nahezu ohne Verzögerung folgen.

      Das Erste, das Varcas sah, als er den Rand der Bäume erreichte und auf eine Lichtung trat, war das sachte Schwingen verbrannter Füße im Wind.

      Erst danach vervollständigte sich das Bild um die Stricke, die ein Dutzend Hälse mit dem starken Astwerk eines Erlenbaumes verbanden.

      »Himmelslichter«, stieß einer seiner Begleiter atemlos hervor, bevor er sich abwandte.

      Varcas hob sein Zepter ein wenig höher, um mehr erkennen zu können.

      »Das sind Herolde. Von Amber Hall.« Der weiße Lichtschein ließ das Wappen des Hauses Moonfall an den von Ruß und Blut beschmutzten Schärpen glitzern. »Zumindest einige von ihnen«, fügte Varcas leiser hinzu. Nicht alle waren Männer. Es waren zwei Frauen dabei. Zwei Jungen, zu klein, als dass er sie zu den Männern hätte zählen können. Raben saßen auf ihren Schultern und pflückten das weiche Fleisch von den Wangenknochen.

      »Wieso hat man sie hier gehängt?«, fragte der Mann, der sich Varcas als Joran vorgestellt hatte.

      Varcas rieb sich über das Kinn.

      »Nicht alle starben durch den Strick«, stellte er nüchtern fest. »Die anderen waren schon tot, als man sie mit den Seilen in den Baum hochgezogen hat.«

      »Aber warum? Warum dieser … Aufwand?«

      Unter all den schwindenden Signaturen der Getöteten und derjenigen, die der Zerstörung von Amber Hall hier im Wald ein grausiges Monument gesetzt hatten, war eine, deren Macht Varcas für einen Moment schaudern ließ.

      Varcas’ drittes Auge erfasste den Baum und mit ihm den pulsierenden Glanz einer silbernen Rún.

      »Es ist eine Botschaft«, antwortete Varcas schlicht. Eine Botschaft für jeden, der sich auf die Suche nach möglichen Überlebenden machen würde. Varcas sprach nicht weiter.

      Er sagte den Männern nicht, dass es die Kinder waren, die erst an diesem Baum gestorben waren.

      Er verschwieg, dass es geschehen sein musste, als alle anderen bereits aufgeknüpft gewesen waren. Es war kein Wissen, das irgendjemandem von ihnen etwas genützt hätte.

      »M’lord, was sind das für Spuren unten am Baumstamm?« Joran wagte sich näher heran und berührte die Rinde des Baumes, die, wie Varcas nun auch sehen konnte, von tiefen Furchen durchzogen war.

      Varcas stieß einen leisen Fluch aus.

      »Das ist genau der Grund, wieso der Eldermann dringend bestattet werden muss«, knurrte er. »Das sind Kratzspuren von Nekrophagen. Grimwölfe, wenn ich das richtig sehe. Und davon nicht wenige.«

      Bewegung kam in Varcas. Er hatte nicht unbedingt erwartet, im Süden Shaylas auf Grimwölfe zu treffen. Andererseits wagten sie sich, besonders wenn sie sich zu größeren Rudeln zusammenschlossen, häufig aus den höher gelegenen und gebirgigen Gegenden, ganz besonders, wenn die Nahrung knapper wurde.

      Als er das erste Mal mit Hjalvar auf Grimwolfjagd gegangen war, hatte er noch geglaubt, dass sie als Aasfresser im Gefüge des Lebenskreislaufs eine gute und wichtige Aufgabe erfüllten. Das war gewesen, bevor Hjalvar ihm sehr eindrücklich gezeigt hatte, dass die Nahrung einzelner und kleinerer Grimwolfrudel zwar hauptsächlich aus toten Tieren bestand und sie meist nicht mehr Schaden anrichteten, als Wild aus von Askyanern aufgestellten Fallen zu stehlen – aber dass sie, sobald sich die Chance ergab und ihre Stärke groß genug war, auch lebende Beute rissen.

      Und die bedeutend größer war als sie.

      Hier hatten die Grimwölfe eindeutig versucht, an die hängenden Leichen heranzukommen. Ihre Krallen hatten den Baum bei den Bemühungen, ihn zu erklimmen, zerkratzt.

      »Die Spuren führen vom Baum weg.« Varcas richtete seinen Blick auf die Stelle zwischen den Bäumen.

      Die Grimwölfe mussten nach einer Weile aufgegeben und den Raben das Festmahl überlassen haben. Etwas anderes hatte ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen – oder jemand anderes.

      Varcas stieß einen Fluch aus, der ihm einige entsetzte Blicke einbrachte, und setzte sich wieder in Bewegung. Wenn die Grimwölfe den Alb vor ihnen entdeckt hatten, war er so gut wie tot. Der Seher wartete nicht länger auf seine Begleiter, sondern setzte sich in Bewegung, um der Fährte zu folgen. Hjalvar hätte ihm sagen können, wie viele Tiere es gewesen waren. So blieb ihm nur übrig, es selbst herauszufinden.

      Es dauerte nur wenige Minuten, in denen er versuchte, die Geräusche der anderen Alben auszublenden, bis seine spitzen Ohren endlich etwas anderes wahrnahmen – das heisere Grollen aus Grimwolfkehlen.

      Es war eine Gruppe aus sieben oder acht Tieren,


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