Das Zeichen der Erzkönigin. Serena J. Harper

Das Zeichen der Erzkönigin - Serena J. Harper


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das ihn so verändert hatte, praktisch nie mehr aufgehört zu zittern. Sobald er morgens die Augen aufschlug, sagten die anderen Sklaven, bebten seine Muskeln.

      »Hier.« Elmas streckte seine Hand aus. Die rechte hatte deutlich schwerere Verbrennungsnarben als die linke. Rodric tat es ihm gleich, und der Sklave ließ etwas in seine geöffnete Handfläche fallen. Rodric konnte sich nicht dagegen wehren, dass ein Lächeln über seine Züge wanderte.

      »Die brauchst du mir nicht schenken«, sagte er, die kandierten Früchte betrachtend. »Die hast du doch sicher von deiner Tante aus der Küche?«

      Die Küche des Kristallpalastes war einer der wenigen Orte, an denen Elmas, soweit Rodric wusste, vor dem Hohn, dem Spott, und der merkwürdigen Mischung von Angst und Verachtung sicher war, die ihm selbst die anderen Männer entgegenbrachten, die Königin Lamia dienten.

      Pergament, dachte Rodric, als Elmas’ Hand sich um seine schloss, als wolle er ihm nachdrücklich befehlen, die kandierten Früchte gut festzuhalten, seine Haut ist wie Pergament.

      Rodric selbst hatte eine Vielzahl von Narben, mehr, als er je hätte zählen können. Da war die markanteste eine tiefe Wunde, die jetzt als Narbe seine rechte Augenbraue teilte. Sein Rücken war in den ersten dreihundert Jahren seines Lebens so häufig von der Peitsche aufgerissen worden, dass die Struktur der Haut unwiderruflich zerstört worden war. Als Lamia gemerkt hatte, dass die Schäden zu groß wurden, hatte das für eine Zeit eine gewisse Mäßigung in den Maßnahmen bewirkt. Sie hatte auch ihre Heilerinnen beauftragt, sich seiner anzunehmen.

      Elmas hatte ein derartiges Glück nicht gehabt.

      Rodric bemerkte, dass Elmas ihn immer noch erwartungsvoll ansah. Elmas wies auf die Früchte.

      »Also gut, mein Freund. Ich danke dir«, sagte Rodric. Vermutlich würde er nicht darum herumkommen, vor den Augen des Alben eine zu probieren. Rodric wählte ein kleines Stück und kostete es.

      »Gegen … Kummer«, erklärte Elmas ernsthaft. Die Worte sorgten dafür, dass sich in Rodric für einen Moment alles zusammenzog. Welchen Kummer, den jemand wie er oder Elmas hatte, hätte schon ein Stück gezuckerte Süßigkeit heilen können? Und dennoch – Elmas lächeln zu sehen, als bereite es ihm wirklich Freude, Rodric diese Art von Medizin vorbeigebracht zu haben, löste in Rodric beinahe den Wunsch aus, sich vorzustellen, die Sorgen könnten durch eine solche kleine Geste vergehen.

      Aber nichts konnte in Ordnung bringen, was in Norfaega geschah. Nichts konnte rückgängig machen, was Königin Lamia ihnen allen angetan hatte.

      Es war beinahe vierhundert Jahre her. Rodric selbst war auch in Val Thalas gewesen, aber nicht im Palast – es war ein Sommertag, erinnerte er sich, und er und Tyran hatten es irgendwie vollbracht, einige Wochen lang nicht in Ungnade zu fallen. Sie waren trinken gewesen, irgendwo in den Kaschemmen am Weißen Fluss, wo sie sich vor niemandem verneigen oder rechtfertigen mussten, und wo die Wahrscheinlichkeit gering war, auf jemanden zu treffen, den sie kannten.

      Als sie zurückgekommen waren, hatten sie beide mit den Sinnen des Kriegers gewittert, dass etwas nicht stimmte. Wut, lodernde, brennende Wut erfüllte die Korridore. Angezogen von den Emotionen rannten sie beide in den Thronsaal, nur um mitten in eine Bestrafung zu stolpern.

      Rodric erinnerte sich, wie er seine schwarze Rún hatte einsetzen müssen, um Tyran, impulsiv wie immer, davon abzuhalten, nach vorn zu stürzen, als Vetis siedendes Öl auf Elmas’ Unterarme und Hände goss.

      Manchmal glaubte Rodric, noch nie jemanden so laut schreien gehört zu haben. Doch es war nicht nur der Schrei gewesen, der in seinen Ohren widerhallte – sondern auch das Summen der Scherbe, die spürte, dass eine andere ihrer Art ganz in der Nähe aktiviert worden war und benutzt wurde.

      Lamia hörte nicht auf. Nicht, als das Blut aus Elmas’ Nase schoss. Nicht, als er bewusstlos wurde. Und als ein Rinnsal dunkler Flüssigkeit aus seinen Ohren tropfte, spürte Rodric das Bersten des Verstandes seines Kameraden.

      Die Schmerzen durch das Öl waren eine Tortur gewesen, die er niemandem wünschte – aber die Folter durch die Scherbe hatte irgendetwas … mit Elmas gemacht. Rodric hatte zuvor schon Hinrichtungen mithilfe der Scherbe erlebt – schreckliche Momente, in denen er die Adern der Augen reißen sah, bevor die Iris sich in die Innenseite des Kopfes drehte, und der Delinquent zu Boden fiel – aber Elmas war nicht gestorben. Sie hatte nur irgendetwas in ihm … zerbrochen.

      Jetzt taugte er nicht einmal mehr für die Blutgärten, in denen sich im Sommer die Gesellschaft Shaylas versammelte, um den Kämpfen zuzusehen.

      Die Süße des Zuckers in seinem Mund erinnerte ihn schlagartig an das verbrühte Fleisch. Rodric schloss die Hände zu Fäusten.

      »Nicht gut?«, fragte Elmas besorgt.

      »Doch«, erwiderte Rodric. »Mir ist nur gerade etwas klar geworden.«

      Ein Lächeln legte sich auf Elmas’ Züge.

      Rodric erwiderte es.

      Nämlich, dass ich alle Königinnen eines Tages töten werde.

      12

      Sklavenbaracken sahen überall gleich aus.

      Diese Tatsache stand für Tyran nicht in Zweifel. Viel schlimmer jedoch: Sie rochen auch immer gleich; nach Schweiß und getrocknetem Blut und der sich ausbreitenden Resignation. Er hatte im Laufe seines Lebens so viele bewohnt, dass die Erinnerungen an die einzelnen Höfe manchmal zu verschwimmen drohten. Zugegebenermaßen war in einigen Anwesen die Unterbringung akzeptabler als anderswo gewesen, aber hier, in Oakwrath, befanden sich die Sklavenunterkünfte in holzverkleideten, doch gemauerten Häusern am rechten Rand der Festung. Zwischen den einzelnen Hütten gab es eine weitere Wasserpumpe und eine Kochstelle, die von den Sklaven eigenständig benutzt werden konnte. Für Tyran hatte es bisher noch nichts gegeben – er hatte, wie man ihm eindringlich erklärt hatte, für seinen Anteil des Essens noch nicht gearbeitet.

      Das würde er vermutlich noch früh genug.

      Tyran ignorierte seinen knurrenden Magen, während er nach einem passenden Versteck für den wenigen persönlichen Besitz suchte, den er mit sich führte. Es war üblich, dass man Sklaven vieles abnahm, aber einige kleine Gegenstände schaffte er fast immer zu verbergen. Im Kristallpalast, wo der Jäger die Oberaufsicht über die Sklaven hatte, ließ man ihm zudem auch ein wenig privaten Besitz, weil der Jäger schon seit der ersten Generation an jungen Kriegern, die er ausbildete, festgestellt hatte, wie weit manche von ihnen bereit waren zu gehen, um etwas zu behalten, was für sie einen ideellen Wert besaß.

      Fast jeder von ihnen hatte so etwas, worauf er besonders achtete. Bei manchen war es ein Kleidungsstück oder ein Brief, eine Waffe, die sie von jemandem geerbt hatten. Tyran selbst waren nicht viele Erinnerungsstücke aus seiner Kindheit geblieben und danach hatte er kaum neue erworben.

      Trotzdem machte er sich daran, eine der schmalen Pritschen beiseitezurücken. Feuchtigkeit war durch das Mauerwerk und die Holzverkleidung gedrungen, sodass eines der Bretter sich lösen ließ. Die Stelle war nicht gerade unauffällig – vermutlich war sie schon früher von jemandem benutzt worden. Tyran griff nach dem eng geschnürten Bündel, in dem sich unter anderem der Faustkeil befand, den Rodric ihm mitgegeben hatte. Vielleicht wäre dieser im Kristallpalast besser aufgehoben gewesen. Rodric hatte dort zumindest sein eigenes Zimmer. Hier, da brauchte Tyran sich keine Illusionen machen, würden sie die Gegenstände finden, wenn sie sich die Mühe machten, danach zu suchen. Sorgfältig verschloss Tyran das Loch und schob mit dem Schienbein die Pritsche wieder zurück an ihre vorherige Stelle.

      Darauf lag seine Tunika. Einer der Sklaven, die für grobe Arbeiten in der Burg wie das Ausbessern des bröckelnden Mauerwerkes und für die Verarbeitungen des Eichenholzes ganz in der Nähe zuständig waren, hatte ihm eine Bürste gegeben, mit der er die Tunika von dem Schlamm der Straße hatte befreien können. Tyran verzog das Gesicht, als er sie hochhob. Sie hatte wirklich schon bessere Tage gesehen. Aber da Elnesta diese bekannte Vorliebe für Askyaner hatte, würde sie ihn wohl auch in seiner traditionellen Kleidung sehen wollen.

      »Du


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