Das Zeichen der Erzkönigin. Serena J. Harper

Das Zeichen der Erzkönigin - Serena J. Harper


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welcher Königin sprechen wir? Ich habe hier bisher eine einzige Frau gesehen, und das war eine läufige Hündin. Dem Geruch nach zu urteilen – und dem Blähen deiner Nasenflügel – da, schon wieder – eine, die du auch schon hattest.«

      Ein scharfer, wilder Impuls von Schmerz schoss durch Tyrans Kopf, sodass er sich am Türrahmen festhalten musste. Er schüttelte sich, als könnte er so das betäubende Klingeln aus seinen Ohren herausbekommen.

      Der Herold ließ die Kette, an der er das Gegenstück zu Tyrans Scherbe trug, klimpern.

      »Wirst du mir tatsächlich Schwierigkeiten machen? Ich kann dich auch fesseln und mitschleifen lassen. Aber vielleicht bevorzugst du es, aufrecht zu deiner neuen Königin zu gehen.«

      Sie ist nicht meine Königin!

      Es brachte nichts, jeden Funken Protest hier zu verschwenden. Wenn er sich jetzt geschickt anstellte, würde diese Schlampe Elnesta nur ein einziges Mal versuchen, ihn in ihr Bett zu holen. Mit einer spöttischen Verneigung bedeutete er dem Herold, voranzugehen, doch jener ließ ihn schnell zu sich aufschließen. Vermutlich war es ihm genauso unangenehm wie jedem anderen Alben, eine unberechenbare Gefahrenquelle direkt hinter sich zu haben, wo selbst die feinen Sinne einen nicht immer vor Schaden bewahren konnten.

      »Du wirst sie mit ›Majestät‹ ansprechen«, informierte der Herold ihn. Das war nichts Ungewöhnliches. Nicht hier. Im Kristallpalast hingegen verzichteten viele der Königinnen auf den höchsten Ehrentitel in der Gegenwart von Lamia. Das Umgewöhnen, wann welcher Titel benutzt werden sollte, war lästig, aber glücklicherweise erwarteten sie selten eine elaborierte Konversation von ihm.

      Oakwrath war weitaus weniger fortschrittlich als der Kristallpalast, was die Aufarbeitung der Architektur betraf, stellte Tyran fest. Nicht dass es ihn sonderlich gestört hätte. Aber die Festung wirkte so, als hätte sie schon einige Jahrhunderte unter den Gezeiten gelitten. Der Innenhof stellte eindeutig das Zentrum des hier ansässigen Hoflebens der Herolde und Höflinge dar – anders als in der Hauptstadt Shaylas mit dem imposanten Thronsaal, den mit Spiegeln ausgekleideten Hallen voller Gold und Silber und den Separees, die mit kostbarem Samt ausgekleidet waren und in denen sich die Elite von Königin Lamias Hof zu ein paar vergnüglichen Stunden traf.

      Ein paar Männer trainierten an Übungspuppen, andere standen zusammen und tranken. Die Festung war trotz der offeneren Bauweise so viel kleiner als der Kristallpalast, dass es Tyran merkwürdig vorkam, wie schnell sie die Gemächer der Königin erreichten. Die Tür wurde von zwei Kriegern flankiert, die ihn zusammen mit dem Herold hineinbegleiteten.

      Eine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme? Oder schätzt Elnesta einfach Zuschauer?

      Es war unerheblich. Er hatte vor langer Zeit aufgehört, Scham zu empfinden. Das zu schaffen war vielleicht das Schwerste gewesen. Aber irgendwie war es ihm doch gelungen, etwas in sich zu bewahren, das unangetastet blieb von Blicken und Worten.

      Die Königin hatte sich herausgeputzt, das konnte er mit einem Blick erkennen. Oakwrath war nicht die Kristallstadt. Das hier war die Provinz, und sie hatte sich jedes Schmuckstück umgehängt, das sie besaß. Wie würde sich wohl ihr Gesichtsausdruck verändern, der jetzt die gleiche freudige und oberflächliche Überraschung wie schon zuvor im Hof zeigte, wenn er die goldenen Ketten um seine Hand wickelte und zuzog, bis sie erstickte?

      »Da bist du ja«, begrüßte sie ihn, als hätte er eine Wahl gehabt.

      Tyran starrte sie schweigend an.

      Sie seufzte dramatisch.

      »Tyran, richtig? Natürlich weiß ich, dass die askyanische Form deines Namens Tyranar lauten müsste. Ich hätte nichts dagegen, dich so zu nennen, wenn du das möchtest.« Sie leckte sich über ihre bemalten Lippen. »Ich möchte nämlich, dass wir beide gute Freunde werden.«

      Tyran lachte verächtlich auf.

      Es gibt keine Freundschaft zwischen Falken und Ratten.

      Eine Faust traf ihn ohne Vorbereitung in den Magen und die Wucht sorgte dafür, dass er sich krümmte, nur für einen Augenblick.

      »Du wirst antworten, wenn Königin Elnesta dich adressiert«, sagte Waylan.

      »Mäßige dich«, ermahnte die Herrin von Oakwrath ihren Herold und wandte sich erneut an Tyran: »Du musst seine Übereifrigkeit entschuldigen. Waylan ist es nicht gewöhnt, dass ein Sklave eine mächtigere Rún als er selbst trägt. Was mich angeht … finde ich den Gedanken ausgesprochen anregend.« Sie klatschte in die Hände. »Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, ich erinnere mich. Gute Freunde.«

      Mit wenigen Schritten trat sie zu einem Tischchen, auf dem mehrere Krüge standen.

      »Ich hatte ja eigentlich vor, dir Wein anzubieten. Aber natürlich weiß ich über euch Sturmalben besser Bescheid. Ihr bevorzugt Bier, richtig?«

      So durchschaubar. So vorhersehbar. Tyran fühlte, wie die Wut wieder in ihm zu brodeln begann – dabei hatte sie ihn noch nicht einmal angefasst. Wie oft hatte er diese Art von Gespräch erlebt? Den Versuch einer Bestechung? Wie oft hatte er erlebt, wie Königinnen mit gezuckerten Worten versuchten, die Illusion von Vertrauen zu erschaffen, von der sie sich versprachen, sie würde ihn auch nur im Geringsten davon abhalten, ihr die Kehle herauszureißen, sobald er die Gelegenheit hatte?

      Er beobachtete, wie sie einen Becher mit dunklem Bier füllte. Sie hatte nicht unrecht, nicht, was das Getränk betraf. Der Wein, den sie im Kristallpalast zu ziemlich jeder Gelegenheit tranken, war nicht schlecht – leicht und süß und fein – aber askyanisches Bier schmeckte nach Bergen und Wäldern und nach Heimat.

      Die Königin hielt ihm den Becher hin.

      »Du darfst trinken«, ermutigte sie ihn lächelnd.

      Es war kein gutes Lächeln.

      Tyran nahm das Bier an und ertastete die Flüssigkeit routiniert mit seinem Geist, um eine mögliche Droge zu erkennen, die Elnesta hineingetan haben könnte. Sie erkannte sein Zögern und deutete es richtig.

      »Ah«, machte sie, als sie sich auf ihren Schreibtisch setzte und lasziv ein Bein über das andere schlug, »ich sehe, du bist geübt darin, Getränke zu überprüfen. Wer hat dir das beigebracht?«

      Das Getränk war sauber. Hätte sie etwas hineingetan, hätte sein Rot die Spuren des schwächeren Grüns erkannt. Tyran hob den Becher an seine Lippen und trank.

      »Der Blutritter«, antwortete Tyran schlicht und genoss den Moment der Erkenntnis in Königin Elnestas Augen. Er würde Rodric definitiv nicht erzählen, dass er mit seinem Namen derartige Reaktionen auslösen konnte.

      Der Bastard ist schon arrogant genug, auch ohne das.

      »Ich habe viel von eurer … Freundschaft gehört«, sagte Elnesta. »Was hat er dir denn noch … beigebracht?«

      Die Wut verdichtete sich in seinen Adern. Etwas daran, wie sie dort saß – selbstgefällig, als hätte sie einen großen Sieg damit verzeichnet, dass er das Getränk angenommen hatte –, ließ sein Blut heiß werden. Vielleicht sollte er unauffällig bleiben – ihr Interesse nicht durch zu große Provokation anheizen. Geduldig sein, wie Rodric es ihm immer wieder riet.

      Elnesta zog den Stoff, der eben noch ihre Beine bedeckt hatte, nach oben, als würde ihn der Anblick ihrer nackten Haut um den Verstand bringen.

      Ach, scheiß drauf!

      Tyran trank das Bier aus und mit einer einzelnen Bewegung warf er den Becher in die Flammen des flackernden Kaminfeuers. Die Wachen reagierten alarmiert und griffen nach ihren Schwertern – aber Königin Elnesta mit gespannter Erwartung, als er sich ihr näherte. Sie hob ihre Hand, was die Krieger innehalten ließ.

      Seine linke Hand legte Tyran auf den entblößten Oberschenkel, mit der rechten stützte er sich auf dem Tisch ab. Er war ihr nun so nah, dass er beinahe ihren Atem schmecken konnte.

      »Ich habe eine Menge von ihm gelernt«, raunte Tyran direkt an ihren Lippen.

      Sie kicherte und hielt ihn nicht auf, als er seine Hand nach oben wandern ließ,


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