Kam, sah und siegte - Klasse ist lernbar. Christine Daborn

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Sie es umgekehrt. Kredenzen Sie einen Chateau Palmer aus einem Tetrapak. Niemand wird diesem Wein den herausragenden Trinkgenuss zutrauen, außer er schließt von Anfang an die Augen. Weshalb ist eine Boulevardzeitung in Typografie, Bildern, Layout ganz anders aufgemacht als ein Qualitätsblatt? Sie präsentiert sich so, weil sie einen anderen Inhalt hat, und den soll man schon der schreienden Titelseite ansehen können.

      «Na ja, bei Waren und Zeitungen ist das so», mögen Sie jetzt einwenden, «aber doch nicht bei Menschen! Da hat sich in den letzten Jahrzehnten zum Glück einiges gewandelt. Heute ist man viel freier, das sieht man alles nicht mehr so eng, wir sind Individualisten, jeder kommt eben so daher, wie es ihm passt, das ist doch jedem seine Sache, Kleidervorschriften sind out und Dresscodes passé, jeder soll nach seiner Façon selig werden!» Ich kenne alle Strophen dieses Liedes, denn ich höre sie pausenlos, aber sie werden leider nicht wahrer, je mehr sie gesungen werden. Schon der Ton ist grundfalsch …

      Zugegeben, heute zieht sich jeder an, wie er will. Nur ist es nicht etwa so, dass sich demzufolge alle verschieden anziehen würden. Nein, in Wirklichkeit ziehen sich alle genau gleich an. Es herrscht die absolute Uniformität. Keine Spur von Individualität. Doch nicht nur das. Man zieht sich überhaupt immer gleich an, egal ob man in die Oper, ins Gourmet-Restaurant, zur Geburtstagsfeier, zum Shopping, zum Arbeiten oder zum Wandern geht, und leider immer so, wie wenn man zum Wandern ginge, man macht überhaupt keinen Unterschied mehr. Wissen Sie wieso? Auch die Antwort ist mir bestens bekannt, denn auch sie begegnet mir auf Schritt und Tritt: Es ist einem wohl so, es ist bequem, man muss dabei nichts überlegen, es braucht keinen Aufwand. Es ist Minimalismus, nicht Individualismus.

      Sage mir, wie du dich gibst …

      … und ich sage dir, wer du bist. Das Erscheinungsbild ist das, was im ersten Augenblick für oder gegen eine Person spricht. Für oder gegen ein Produkt, eine Zeitung, ein Geschäft, eine Marke, ein Unternehmen – die Liste ist endlos, denn dieser Grundsatz trifft auf alles zu. Sogar auf den Flirt. Untersuchungen haben ergeben, dass 55 Prozent sich aufgrund der Erscheinung für jemanden interessieren, 38 Prozent urteilen danach, wie jemand spricht, und nur gerade sieben Prozent – die ganz Intellektuellen – achten darauf, was jemand sagt. Wenn Sie also für sich beschlossen haben: Ich erkläre das Äußere für unwichtig, ich kümmere mich nicht um solche Oberflächlichkeiten, mir kommt es auf die Tiefgründigkeit an – ob Sweatshirt, Jeans und Turnschuhe, Latzhosen und Sandalen, Rucksack hinten und Vollbart vorne, all das spielt für mich keine Rolle, auch im Büro nicht –, dann ist das Ihr gutes Recht, aber nicht sehr klug. Formverweigerung ist wie Leistungsverweigerung, sie dient niemandem, am allerwenigsten einem selbst. Selbstverwirklichung kann doch niemals heißen, sich selbst zu vernachlässigen.

      Das Äußere ist der Spiegel des Inneren. Was soll also eine fragwürdige Erscheinung? Was will man damit beweisen? Will man damit jedem seine innere Disharmonie auf die Nase binden? Wofür sollte das gut sein? Wem sollte das nützen? Wie ich bereits festgestellt habe, legen gerade diejenigen, die von sich behaupten, sie gäben nichts auf Ihr Äußeres, sehr viel Wert darauf, nur halt mit negativen – und unbewusst kontraproduktiven – Vorzeichen. Die Antisignale werden nämlich minutiös gewählt und gezielt gesetzt, manchmal unter beachtlichem Aufwand.

      Können Sie mir sagen, was der Zweck vom Alternativlook ist? Zurück zur Natur? Lieber ein roher Klotz statt ein geschliffener Diamant? Mir tut die Natur dabei Leid. Auch die Punks werden als «natürlich» bezeichnet, weil sie sich in ihrer rebellischen Phase gegenüber der Gesellschaft absetzen und deshalb provozieren müssen. Was haben wir nur für ein grenzenloses Verständnis. Ist dieses vielleicht auch einfach bloß bequemer, als wenn wir Einhalt gebieten müssten? Natur ist nie plump, schlecht proportioniert, grob oder unfein. Es gibt kaum etwas zarter Abgestimmteres als die Nuancen der Natur. Sie ist das Ästhetischste und Subtilste überhaupt.

      Was glauben Sie, wer von zwei gleich gut Qualifizierten befördert wird oder nach einer Fusion auf dem sonst doppelt besetzten Posten bleibt? Doch die Person, die besser präsentiert und deshalb problemlos Kontakte knüpft, rascher akzeptiert wird und zu den verschiedensten, auch den anspruchsvollsten Ansprechpartnern den richtigen Draht findet. Das bedeutet, dass sie neben den fachlichen Fähigkeiten auch das Know-how besitzt, so aufzutreten, dass das Gegenüber ihr ansehen kann, wie gut sie ist.

      Mut zu Eigenständigkeit

      Sie sind einzigartig und Sie wollen jetzt, dass man es Ihnen auch ansieht. Was können Sie dafür tun? Gibt es ein allgemeines Erfolgsrezept? Ja, Identität. Bringen Sie Innen und Außen in Einklang, und lassen Sie sich durch nichts und niemanden dazu verführen, etwas darzustellen, das Sie nicht sind, aber gerne wären oder irrtümlich meinen, sein zu müssen. «Werde, der du bist», hat Nietzsche gesagt.

      Grundsatz 1: Keine Performance

      Haben Sie sich auch schon über Leute gewundert, die ständig eine Sonnenbrille im Haar tragen, auch nachts? Die mit der Zigarette im Mundwinkel sprechen? Oder über Frauen, die ihre Fingernägel schwarz lackieren und die Lippen violett schminken? Über Männer, die nur in der Mitte des Kinns ein kleines rundes Bärtchen wachsen lassen oder an einem Ohr ein Ringlein tragen? Oder die beim Sprechen dauernd die Stirn runzeln, um möglichst intelligent zu wirken?

      Alles reine Performance.

      Machen Sie sich nicht zur Attitüde. Es heißt zwar, das Leben sei eine Bühne, aber spielen Sie darauf nur die Rolle, die zu Ihnen gehört. Auch wenn heute alles cool sein muss, lässig, crazy, mega, hip und hop – Sie müssen nicht. Auch wenn Sie noch so jung sind und gerade erst den Fuß auf die unterste Sprosse der Karriereleiter gesetzt haben. Vernünftig betrachtet ist doch überhaupt niemand lässig, crazy, mega, hip und hop. Man tut nur so, weil man den anderen so vorkommen will. Für sich allein genügt normal, vorausgesetzt, dass man sich nicht auch selber etwas vormacht. Um allerdings als cool, lässig, crazy, mega, hip und hop zu gelten, kommt man nicht darum herum, pausenlos eine Schau abzuziehen. Und zwar nach Vorschrift! Man kämmt sich wie verlangt, man kleidet sich wie verlangt, man benimmt sich wie verlangt. Man ist der Darsteller eines Phantoms, das irgendwer als Zeitgeist in die Welt gesetzt hat.

      Haben Sie den Mut, nicht mit dem Zeitgeist zu gehen, seien Sie der Zeit lieber ein Stück weit voraus, vor allem im Denken. Haben Sie den Mut, sich Ihren eigenen Geist zu bewahren. Seien Sie eigenständig. Identität entsteht aus Eigenständigkeit, Glaubwürdigkeit und Beständigkeit.5

      Es könnte natürlich auch sein, dass Sie irgendwelchen selbst gebastelten Phantomen nacheifern. Vielleicht haben Sie gelernt, dass man als Mann möglichst männlich wirken muss, knallhart und durchsetzungsstark. Es lebe der Macho! Auch als Künstlertyp sieht sich mancher gern oder als Abenteurer à la Marlboro-Cowboy. Nur eignen sich die Prärie des Büros und die Herde der Kunden für diesen Traum so schlecht. Dass Frauen (auch) im Business unbedingt verführerisch und sexy sein müssen, wenn nötig auch noch dienstbeflissen, sanftmütig und zurückhaltend – so genannt weiblich! –, geistert immer noch als Erfolg verheißendes Rollenspiel in den Köpfen herum. Vielleicht noch, solange die Männer die Macht haben und die Führungspositionen vergeben. Wer nicht spurt, wird gestoppt, und wer der eigenen Karriere gefährlich wird, erst recht. Wo kämen wir denn da hin! Frau ist Frau.

      Ein Direktor einer Werbeagentur meinte einmal zu mir: «Wenn die Frauen nur wüssten, wie sie mit den Männern umgehen müssen, sie könnten alles von ihnen haben.» Ja eben, von ihnen! Die Frauen müssen immer noch den Umweg über die Männer machen, wenn sie es zu etwas bringen wollen. Erst wenn diese Macht auf neutralen Boden gestellt und für alle gleichermaßen zugänglich ist, wird sich das ändern. Die Fähigen, ob Frauen oder Männer, haben dann die gleichen Chancen, im Wettbewerb einen Teil dieser Macht zu erobern. Das hätte den großen Vorteil, dass die Macht endlich in den Besitz der Besten käme! Macht gibt aber niemand freiwillig aus der Hand, da müsste schon etwas Grundsätzliches das gängige Männer(selbst) bild erschüttern. Ein Machtkampf führt jedenfalls nicht zum Ziel.

      Aber vielleicht der Leidensdruck. Immer häufiger laufen die guten Frauen den Machos aus dem Privatleben davon und werden


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