Kam, sah und siegte - Klasse ist lernbar. Christine Daborn
angewiesen waren, hat noch manch einer eine abgekriegt – und Macht ist ja bekanntlich sexy –, ohne dass er sich je um die Frau als eigenständige Person hat kümmern müssen. Heute und in Zukunft bleiben jedoch nur noch die Männer in guter Gesellschaft, die sich von ihren Klischees emanzipieren. Die Frauen wollen nicht die Macht aus den Händen der Männer bekommen, sie wollen auch nicht die Macht der Männer, und schon gar nicht wollen sie die Macht über die Männer. Sie wollen den freien Zugang zur freien Macht. Wenn das die Männer nur wüssten!
Eine Pose ist eine fixe Idee, die man mit täglicher Schauspielerei zementiert. Spielen Sie nicht mit und spielen Sie niemandem etwas vor, auch nicht sich selber. Sie werden erfahren, wie viel einfacher das Leben ist, wenn Sie einfach nur sind.
Grundsatz 2: Keine Künstlichkeit
Der so genannte Zeitgeist ist vor allem von einem geprägt, von der gnaden- und grenzenlosen Sucht nach Selbstdarstellung gemäß dem Motto: «Wenn du die Leute schon nicht durch deine Fähigkeiten und deine Persönlichkeit beeindrucken kannst, dann verblüffe sie wenigstens mit einem besonders originellen Blödsinn.»6 Wie eine Epidemie hat sich zum Beispiel ein ganz besonders haariger Unsinn der Männerwelt bemächtigt. Ich bin gespannt, wie lange er sich hält. Sollte er aber im Moment, in dem Sie dieses Buch lesen, bereits von einem neuen Gag abgelöst worden sein, so ist er (und wahrscheinlich auch sein Ersatz) trotzdem ein ausgezeichnetes Beispiel für die Illustration dieses zweiten Grundsatzes.
Wovon ich rede, nennt man den Shower-Look, und ich würde ihn nicht zum Beispiel nehmen, wenn er nur bei den Youngsters vorkommen würde und nicht tatsächlich in der Geschäftswelt an der Tagesordnung wäre. Nun, er verleitet einige Herren der Schöpfung dazu, ihre Haare mittels viel Kleinarbeit und Gel im rechten Winkel vom Kopf weg aufzustellen. Dass sie damit am Arbeitplatz aussehen, als wenn sie gerade aus der Dusche kämen – deshalb heißt der Look ja so, wie sinnig! –, scheint die schwer nachvollziehbare Absicht zu sein. Wie sehr müssen diese Herren an ihrem Esprit zweifeln, dass sie sich bemüßigt fühlen, mit einer solch mühsam fabrizierten Originalität Fun herbeizukünsteln: «Hallo, ich bin spaßig!» Wohl eher lächerlich, vom Standpunkt der professionellen Kompetenz aus betrachtet, denn die meiste Zeit verbringen diese Duschmäuser mit ihrer Frisur, wenn nicht gerade vor dem Spiegel, ja trotz allem bei der Arbeit.
Auch ein Zweitagebart schlägt in die gleiche Kerbe. Mann lässt extra Stoppeln stehen, um verwegen – und leider ungepflegt schmuddelig – zu wirken. Wenn das nicht unnatürlich ist!
Auch die Damenwelt schadet sich mit Haarartistik. Der allerneueste Unfug des Herbstes 2000 heißt Concept-Look. Das «Konzept» besteht darin, dass die Haare auf Ohrhöhe verschieden lang ausgefranst sind und einen struppigen Eindruck machen. Ein anderes Unheil, das sich schon seit Jahrzehnten hält, ist unter anderen die Dauerwelle. Sie hat sich übrigens seit einiger Zeit auch Männerhäuptern bemächtigt. Ihre Künstlichkeit macht sich gleich dreifach bemerkbar:
Wenn eine Frau (oder ein Mann) glattes Haar hat, dann ist das das Haar, das zu der Person passt. Die Natur irrt sich nicht. Wenn Sie nun hingehen und der Natur ins Handwerk pfuschen, dann ist das verlorene Liebesmüh. Es sieht immer nach nichts aus, die Wellen und Locken gehören nicht zu Ihrem Gesicht.
Dauerwellen zerstören das Haar, auch wenn die Methode noch so ausgereift sein soll und als schonend angepriesen wird. Verlassen Sie sich nicht darauf! Ich habe noch nie eine Frau mit einer gesunden, vollen Lockenpracht gesehen, die dauergewellt erreicht worden wäre. Diese chemische Tortur macht jedes Haar stumpf, glanzlos, brüchig und schütter.
Dauerwellen bescheren Ihnen nicht die erträumten Wellen, sondern einen wuscheligen Krauskopf. Das merken Sie schon nach dem ersten Waschen. Sie anders hinzukriegen, verlangt überdurchschnittlichen Aufwand, aber gerade diesem wollten Sie wahrscheinlich mit dem Kunstgriff entgehen. Dauerwellen sind alles andere als pflegeleicht, wenn sie nach etwas aussehen sollen. Übrigens sind sie bei Männern neben dem Haarefärben so ziemlich das Dringendste, wovor man sie bewahren sollte.
So wie Sie sind, sind Sie Natur. Das heißt natürlich nicht, dass Sie Ihre Eigenständigkeit als rohes Naturprodukt auf die Spitze treiben und sich «unbehandelt» als Tarzan und Jane durch Ihre Geschäftsbeziehungen hangeln sollten. Ganz im Gegenteil, kultivieren Sie Ihre Natur, verfeinern Sie sie, aber machen Sie daraus nichts Künstliches. Bleiben Sie bei Ihrer Art, alles andere wird zur Abart.
Grundsatz 3: Keine Kompensation
Auch wenn nicht alles an Ihnen genau so ist, wie Sie es gerne hätten, lassen Sie es gut sein. Lassen Sie fixe Ideen los. Versuchen Sie nicht, echte oder eingebildete Defizite zu kompensieren. Damit verstärken Sie diese nur. Wenn ein Mann seine Glatze mit den noch vorhandenen Haaren überdeckt, weist er nicht nur deutlich sichtbar darauf hin, dass sein Haarwuchs zu wünschen übrig lässt, sondern auch noch darauf, dass er darunter leidet. Nichts von alledem interessiert das Gegenüber. Dichtes Haar ist völlig nebensächlich für Ihren Erfolg, es sei denn, Sie sind Vertreter für Haarwuchsmittel.
Das weibliche Pendant zur Glatze sind unter anderem Figurprobleme. Selbstverständlich ist das Ideal schlank, und wir alle wären gern ideal. Aber wer ist schon perfekt? Sie haben es leichter, wenn Sie sich akzeptieren, so wie Sie sind (was aber nicht heißt, dass Sie nicht daran arbeiten sollen, sich zu verbessern und sich wenn möglich den Gefallen zu tun abzunehmen). Sie können auch mit ein paar Rundungen fantastisch sein. Entscheidend ist nur, wie gut Sie mit ihnen leben, und vor allem, wie Sie sie behandeln, solange Sie sie nicht loswerden.
Sobald Sie versuchen, Ihre Kilos mit viel Stoff zu vertuschen, erscheinen Sie erst recht als türfüllende Gestalt. Achten Sie stattdessen darauf, der Situation möglichst gerecht zu werden. Treten Sie zum Beispiel nicht in Hosen auf, Hosen sind nun mal nur an langbeinigen schlanken Damen ästhetisch. Röcke haben durchaus ihren Sinn.
Und trotzdem: auch wenn Sie nicht schmal und zierlich sind, haben Sie dennoch eine Figur, halt eine etwas breitere, aber das ist kein Grund, sie mit Tüchern zu verhängen. Madelaine Albright, die frühere Außenministerin der USA, machte es vor, wie man damit richtig umgeht. Sie trägt ihre Körperfülle mit Grandezza. Ihre Kostüme sind trotzdem tailliert. Ihr Auftreten ist tadellos und überzeugt, und weder ihre Gesprächspartner noch die Milliarden Fernsehzuschauer machten sich je Gedanken über ihre Statur, sondern allein über ihre professionelle Wirkung und ihre Politik.
Grundsatz 4: Identität statt Individualität
Alle wollen Individualisten sein. Fast nichts wird heute so groß geschrieben und so vehement verteidigt wie der Individualismus. Schauen wir uns dieses Phänomen darum einmal genauer an. Was verstehen wir heute unter Individualität? Machen können, was wir wollen! Aber was tun die meisten, wenn sie das tun, was sie wollen? Freiwillig und ständig? Sie machen das, was alle machen. Sie sind nicht individuell. Sie fliegen wie all die anderen Tausenden in der Hochsaison in den Urlaub, sie wählen mit all den anderen Tausenden die populärsten und somit ausgebuchten Destinationen, sie begeben sich in den Stau, gehen an die massenhaft stattfindenden Massenveranstaltungen – ad absurdum Streetparade –, sie stehen Schlange wegen Fastfood (Massenabfertigung) und sorgen für die hohen Quoten der Reality-Soaps (Massenverdummung).
Und selbstverständlich unterscheiden sie sich auch in ihrem Outfit durch nichts, aber auch durch rein gar nichts von all den übrigen Individualisten (Massenlook).
«Aber ja doch», sagen Sie jetzt vielleicht, «ein Mann zum Beispiel, der einen Ohrring trägt, der ist doch speziell, der hebt sich doch ab von den anderen, der hat Mut.» Nein. Ein solcher Gag ist ausschließlich Show, kein Zeichen von Individualität und hat ganz bestimmt nichts mit Identität zu tun. Oder kennen Sie ein erstrebenswertes Persönlichkeitsmerkmal, das durch einen Ring im Ohr zur Geltung kommt?
Menschen mit Identität sind eigenständig, glaubwürdig und beständig7, sie denken und handeln selbstständig. «Agir, c’est le fait d’un seul!»
Haben Sie sich schon einmal überlegt, wer uns diese «Individualisierung der Gesellschaft» eigentlich weismachen will, uns