Goldstück-Variationen. Michael Klonovsky
(Campe)
schlechtgehirnt (Hofmannswaldau)
kartätschensicher (Seume)
In substantivierter Form:
Glossenglauben (Luther; nicht zu verwechseln mit dem Genossenglauben, auf den sein Werk letztlich hinausgelaufen ist) Zwingburgbrecher (Rückert)
Frühlingsduftgestiebe (derselbe)
Ehrsuchtskitzel (Goeckingk)
Ehekitt (Jean Paul)
Igelseele (derselbe)
Und natürlich die Gurgelfreude (»die epicureischen bauchknechte, suchen nur die elende gurgelfreude«; L. Pollio 1583)
Egal, welche Seite man aufschlägt, überall springen einem unbekannte Begriffe ins Auge. Die Schlampodien zum Beispiel, »bei allen tafeln, hochzeiten, gastereien, kirchtägen und schlampodien« (Albertinus, »Narrenhatz«, 1617), wenn das schlubbische Bierluder ins Schwampeln (Straucheln) kommt und alles schwabbetzt (verschüttet). Man ist Bierheld oder Weinritter (Luther), Hauptsache schönbeweibt (Bürger), schönheitsfroh (Treitschke) und kummerverlächelnd (nochmals Bürger).
Viele Worte sind aus der mundartlichen Lautmalerei entstanden, sie haben keine namentlich bekannten Schöpfer, und das ist die andere Hälfte der Kollektion, man muss nur einen beliebigen Anlaut nehmen, und auf geht’s: knaupeln (anfressen), knoppern (hörbar nagen), knötern (verstricken), köckern (keckern), kolzen (schnattern), kolpern (rülpsen), kolollen (prassen) und kötern (wie ein Hund herumlaufen). Oder kaudern (mäkeln). Oder eben, einige Seiten weiter: lickern, liedeln, lippeln, lotteln und ludeln. Kribbeskrabbes ist seit 1573 bezeugt; wenig später schrieb Prätorius: »Es dirdirdirliret die Lerche«.
Den aktuellen Bezug stellen Wortschöpfungen wie Deutschverderber (Helfrich Peter Sturz), Karsumpel (statt Gesindel) oder klemmärschig her. Den dickhirnschaligen (Goethe) Pressbengeln gewährt das Lügenglück (Körner) eine Lumpenbeschäftigung (Goethe). Letzterer steuerte auch den schönen Begriff Quälodram bei (»Man martert sich nun mit einem neuen Quälodram«; an Zelter). In einer Zwielichtstimmung (Hebbel) betrat ich den Buchladen, Mutterherzensfülle (Jacobi) stellte sich unverhofft ein, und es wäre unedelherzig (Campe), empföhle ich das Werklein nicht weiter. Dalderaldei!
6. März
Nichts hassen die Kommissare der Buntheit mehr als individuelle Farben. Eines der auffälligsten Gewächse der hiesigen Publizistik soll nun sein Abendsonnenplätzchen am äußersten Rande der Plantage verlieren. Via Twitter teilt FAZ.net mit: »Die Blogs von Don Alphonso laufen seit vielen Jahren. Jetzt wird es Zeit für Neues. Wir wollen die Blogplattform wieder stärker als Experimentierfeld für neue journalistische Formate nutzen, d.h. kreativen Ansätzen größeren Raum geben, auch häufiger neue Themen ausprobieren.« Es seien keine neuen Formate des wahrscheinlich mit Abstand am häufigsten geklickten FAZ-Schreibers geplant, denn der war leider thematisch und mit seiner bajuwarisch-besitzbürgerlichen, bildungsstolzen Attitüde ein Pfahl im Fleische eines unter falscher Flagge segelnden merkelfromm-grünsozialistischen, jeder Art Diversity entgegenseufzenden, antisexistischen Tendenzmediums. (Das gefinkelte Marketing-Deutsch kenne ich übrigens gut von den überzähligen Hochbegabten, die sich in den Wasserkopfetagen des Burda-Verlags gegenseitig Tortengrafiken und Flipcharts zeigen.)
Die FAZ entledigt sich eines elitären Störenfrieds und verkauft diesen Niveausturz als Renovierung. All das kennt man zur Genüge. Worauf die «Zeitung für Deutschland» mit ihren fortwährenden Kniefällen vor Merkel und den Systemparteien hinauswill, habe ich mehrfach thematisiert: Wenn diese Gazetten pleite sind, was in absehbarer Zeit der Fall sein wird, wollen sie wie die Öffentlich-Rechtlichen auch staatlich alimentiert werden dürfen. Außer dem üblichen Schwarmverhalten dieses charakterlich schnell seine Grenzen touchierenden Berufsstandes kenne ich zumindest kein belastbareres Motiv. Allzu «kreative» Autoren stören dabei eher. Gehen wir davon aus, dass es sich um ein weiteres Symptom eines Verfallsprozesses handelt, der von einem Leser dieses Diariums mit den Worten «Mediensterben von seiner schönsten Seite» diagnostisch zufriedenstellend fixiert wurde.
Mehrere Leser haben mich darauf hingewiesen, dass Peter Graf, der Herausgeber des Buches Ungemein eigensinnige Auswahl unbekannter Wortschönheiten aus dem Grimmschen Wörterbuch (Acta diurna vom 4. März), zu denjenigen zählt, die sich tapfer und unter Inkaufnahme hoher persönlicher Risiken »gegen rechts« zu Wort melden. Das verdient eine Erwähnung.
Zunächst einmal bleibt die Qualität des Buches davon unberührt. Bereits in dessen Vorwort moniert Graf freilich, dass er im Grimmschen Wörterbuch nur neutrale oder abwertende, aber keinerlei positive Begriffe über die Juden und das Judentum gefunden habe. Es habe ihn »beschämt«, dort »über solch infame Wortschöpfungen zu stolpern, die den über Jahrhunderte gewachsenen Antisemitismus deutscher Prägung vor Augen führen«, sagte er in einem Interview. Derer drei führt Graf als Beispiele seines Beschämtseins an, nämlich: »Judenlümmel«, »Judenmauschel« und »Schacherjudenpack«. Was an den beiden ersten Beispielen erschütternd sein soll, erschließt sich wahrscheinlich nur einem bis zum bitteren Ende aufgeklärten Deutschenlümmel; das dritte Wort, eine – vom konkreten Gegenstand gelöst und ins Zeitgenössische gewendet – rhetorische Mischung aus Poggenburg und Gabriel, verdient scharfe Kritik, fürwahr.
Ich unterstelle allerdings, dass in nahezu jeder Sprache die abwertenden Bezeichnungen über andere Völker, Volksgruppen und Religionsgemeinschaften die preisenden stark überwiegen. »Alle Völker verachten einander, und alle haben recht«, notierte Karl Kraus mit der thematisch gebotenen Zartheit. Nahezu sämtliche Völker haben Leichen in ihren Kellern, viele von ihnen haben Minderheiten oder Nachbarvölker drangsaliert, verfolgt, ermordet, aber nur ein Volk hat den Mord so gründlich organisiert und danach ebenso gründlich »bewältigt«, dass einzelne exponierte Sichgebesserthabende bis heute beifallheischend nach noch nicht entdeckten Spuren der schlimmen Zeit fahnden. Es ist weniger eine Frage des Rechthabens (ein sehr deutsches Bedürfnis) als vielmehr eine des guten Geschmacks, ob man dabei mittut.
Außerdem moniert Graf, dass sich im »Grimm« die Lingua Tertii Imperii (Victor Klemperer) niedergeschlagen habe. »Fassungslos machte mich, dass ich in den Bänden, die im Nationalsozialismus erarbeitet wurden, immer wieder auch auf Einträge aus Adolf Hitlers Mein Kampf, aus dem Völkischen Beobachter oder Zitate von Hermann Göring stieß.«
Auch hier hat er, vom Interviewer aufgefordert, rasch Exempel zur Hand: »Zum Eintrag ›Tropenglut‹ heißt es etwa, ›die nun kommende zeit lag wie ein schwerer albdruck auf den Menschen, brütend wie fiebrige tropenglut‹. Die dazugehörige Quelle lautet ›Hitler, mein kampf (1933)‹. Oder bei ›Glücksritter‹: ›dieser jeder anständigen soldatischen gesinnung bare glücksritter (Churchill)‹. Quelle: ›völkischer beobachter. 31. mai 1941‹. Und so geht das fort.«
»Was hätte man an einem fotomechanischen Nachdruck ändern können?«, hakt der Interviewer nach. »Und wie wollen Sie jetzt mit diesem Fund umgehen?«
Antwort: »Im Duktus der Sprachverderber könnte man fordern, man müsse alle zwischen 1933 und 1945 bearbeiteten sechs Bände durchsehen und die entsprechenden Stellen ›ausmerzen‹. Und es ist fraglos skandalös, dass sie nach wie vor völlig unkommentiert Bestandteil des Deutschen Wörterbuches sind, sowohl im digitalen Grimm als auch in den derzeit nur antiquarisch verfügbaren Printausgaben. Und zumindest diese erklärende Einordnung müsste umgehend geschehen.«
Er plädiert also für eine Art Apotheken-Beipackzettel, weil das Grimmsche Wörterbuch ja zunehmend von Menschen genutzt wird, die der Rechtleitung bedürftig sind.
»Ich glaube, man muss einfach darauf hinweisen, was das