Goldstück-Variationen. Michael Klonovsky

Goldstück-Variationen - Michael Klonovsky


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ein solches gesellschaftliches Klima ausbildet, aber auch Ressourcen dieser Art können verbraucht werden und kehren nicht wieder.

       9. Februar

      »Es gibt kein Grundrecht auf innere Sicherheit«, tat unser führender Jurist Heiko Maas, er lebe hoch! Hoch! Hoch!, bereits vor zwei Sündenjährchen schenkelklopfend kund und zu wissen. Heute sendet mir ein Leser einen Artikel aus einem Provinzblatt, welchem zufolge Rita Haverkamp, »Stiftungsprofessorin für Kriminalprävention und Risikomanagement an der staatlichen Eberhard-Karls-Universität Tübingen«, auf irgendeiner Veranstaltung der baden-württembergischen Grünen im Dezember geechot hat: »Es gibt kein Grundrecht auf Sicherheit.«

      Da sind die rechtspopulistischen Grundgesetzfundamentalisten natürlich baff. Weil sie zwar knallrechts, aber eben rechtshermeneutisch total ungeschult sind. Artikel 2 Abs. 2 GG lautet nämlich: »Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.«

      Das Recht auf körperliche Unversehrtheit steht im Grundgesetz. Also befinden sich sowohl der Genosse Maas als auch seine Rechtspflegerin vollkommen im Bilde. Kein Wort von »Sicherheit« – und von einem »Grundrecht« ebensowenig. Die Kryptonazis können nicht mal Grundrechte vom Grundgesetz unterscheiden! (Nun gut, Artikel 1 bis 19 GG werden gemeinhin als die Grundrechte bezeichnet, in jedem juristischen Kommentar und jedem Lexikon, aber auch dort steht nichts von Sicherheit; wer sein Recht auf körperliche Unversehrtheit wahrnehmen will, muss sich zuvor eben in Sicherheit bringen.)

      Ungefähr zwei Fragen bleiben dennoch offen. Die erste: Woher leitet der Genosse Maas, Heil und Segen seien auf ihm, sein eigenes, zu Lasten des Steuerzahlers erschnorrtes Recht auf Sicherheit ab? Wenn es kein Grundrecht auf Sicherheit gibt, müsste er da seine gepanzerten Limousinen und Personenbzw. Persönchenschützer nicht selber bezahlen? Die zweite: Unsere beiden Spitzenjuristen haben gewiss da und dort einem Proseminar Naturrecht und/oder einer Vorlesung über die Hobbes’sche Staatstheorie beigewohnt; sie sollten genau wissen, dass aus ihrer Aussage zwingend eine Folgerung resultiert: Wenn es kein (Grund-)Recht auf Sicherheit gibt, dann besitzt jeder Bürger das Recht auf Selbstschutz, selbstverständlich mit einer seiner Situation angemessenen Bewaffnung.

      Nachtrag: Leser *** weist darauf hin, dass Artikel 3 der »Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte« der Vereinten Nationen von 1948 lautet: »Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.« Diese Erklärung ist zwar keine verbindliche Rechtsquelle, doch als Quelle feiler Rhetorik sei sie hier zitiert.

      Lauschen wir noch etwas unserer »Stiftungsprofessorin« – dieser höchste akademische Rang entspricht etwa dem einer Generalissima – für Kriminalprävention. Welche Methoden derselben sie wohl präferiert? Dem Artikel zufolge nur eine: »Früherziehung«. (Deswegen ist ja auch der Familiennachzug so wichtig, damit man endlich die Jüngsten erreicht!) Praktisch null Effekte gegen die Kriminalität, führte die Rechtsmaid aus, erziele der Staat dagegen mit Gefängnissen, Polizeipräsenz, Videoüberwachung. Denn Sicherheit sei letztlich bloß ein Gefühl. Bei den Grünen-Wählern fühlten sich 92 Prozent »sicher« oder »eher sicher«, bei den Linken sogar 94 Prozent. Bei den Schlingeln, die der AfD ihre Stimme geben, seien es aber nur 34 Prozent. (Deshalb wählen sie ja AfD.) Aber: Bei der Angst vor Kriminalität handele es sich häufig um »Projektionen«. (Anders als bei der Angst vor Kohlendioxid, Atomkraftwerken, sterbenden Wäldern, Pegida, grapschenden Vorgesetzten, marodierenden Neonazis und Glyphosat, um nur ein kleines Potpourri begründeter Sorgen auszubreiten.) –

      Ich gestatte mir, den folgenden Passus zu zitieren, damit Sie nicht meinen, ich sei schon bei der Aschermittwochsrede:

      »Um das Gefühl der Sicherheit unter den Bürgern zu erhöhen, empfahl sie eine gebremste Kommunikation über Kriminalität. Wenn man nicht wisse, so Haverkamp, dass in der Nachbarschaft eingebrochen worden sei, fühle man sich auch nicht verunsichert.«

      Davon einmal abgesehen, dass die ganze »Kommunikation« über Harvey Weinstein, Dieter Wedel et al. dann ja wohl ziemlich kontraproduktiv sein muss, weil seither gerade junge Miminnen verunsichert sind, befällt den zunächst beglückten grünen Hörer dieser Argumentation am Ende das flaue Gefühl, es gebe hier einen »verfluchten Bruch in der Logik« (so bekanntlich mehrfach Peter Jackopp in E. Henscheids Roman Die Vollidioten): Sollten nicht gerade Claudia und Anton Mustergrün ganz besonders sensibel, ja empathisch auf sogar allerfernstes Elend reagieren? Und nun, wenn die Nachbarstochter zwecks Willkommensdankabstattung beim Joggen ins Gebüsch gezerrt und dortselbst grün und blau gemauselt worden ist, mit »gebremster Kommunikation« reagieren? Die ganze Messerei, Treterei, Grapscherei, die vielen neuen Gruppenaktivitäten auf Bahnhöfen und in Schwimmbädern komplett ignorieren, bis man selber an der Reihe ist – und dann der geschulte Nachbar ein Gleiches tut? – Na was denn sonst! Und was den »Bruch in der Logik« angeht: Hat die Frau Hochstiftsprofessorin nicht empfohlen, die Videoaufzeichnungen zu reduzieren? Ist das nicht logisch genug?

       22. Februar

      Es wird nicht mehr lange dauern, bis sich die Leute zu wundern anfangen, dass früher fotografiert wurde, während das Objektiv vom einem wegzeigte.

      Heute das erste Mal den sanft hysterischen Harpyiensang von Frau Katrin Göring-Eckardt live im Bundestag gehört. Dass eine Person von solch monströser Schlichtheit in diesem Land eine politische Karriere hinlegen kann, indem sie jahrein jahraus die immergleichen anklagenden Worthülsen möglichst lauthals in jedes verfügbare Mikrophon schalmeit, mag einen Scherzbold mit dem deprimierenden Mangel an Humor im sogenannten Hohen Haus versöhnen. (Ich läse gar zu gern eine Studie über die Korrelation von IQ und Lautstärke bei öffentlich Redenden; ich bin sicher, dass es sie, also die Korrelation, gibt.) Es ging heute um Europa, angeblich; tatsächlich drehte sich die Debatte wie stets bloß um die EU. Das semantische Schurkenstück unserer Tage besteht ja darin, dass die Eurokraten und Zentralisten es geschafft haben, EU und Europa in eins zu setzen und die Verteidiger der europäischen Vielfalt zu Europafeinden zu erklären.

      Nun wäre natürlich die große Frage, wie viele Bundestagsabgeordnete überhaupt noch über ein Sensorium für diese Vielfaltverfügen, die ja aus geistigen, kulturellen, lebensartlichen, ästhetischen, kulinarischen und, warum nicht, spirituellen Unterschieden besteht, aus unterschiedlichen Landschaften, Sprachen, Mentalitäten, Architekturen, Musiken, Traditionen, Küchen, aus einem Kosmos von Konkurrenz, Konvergenz und Kontrapunkt. Doch bei der grünen Spitzentörin fallen als Attribute Europas zuerst Begriffe wie »solidarisch« und »sozial«, auch »Freiheit«, wobei man nicht recht weiß, was Grüne darunter verstehen, wie sie ja auch ihre Solidarität möglichst auf die gesamte Menschengattung ausdehnen wollen, solange sie für diese Forderung angemessen honoriert und beklatscht werden und nicht gerade alte weiße Männer davon profitieren. Der Begriff »Recht« kommt dem späten Mädel (bei einem Bento-Komsomolzen las ich, dass man Nazis daran erkenne, dass sie »Mädel« sagen) nicht in den Sinn. Den Grünen oder Roten den Gedanken zu vermitteln, dass das, was sie Rassismus und Abschottung nennen, womöglich der einzige Weg ist, die europäische Freiheit und Vielfalt – und meinetwegen auch den Sozialstaat – zu erhalten, dürfte dem Versuch gleichkommen, einem Ameisenhaufen das Evangelium zu predigen.

      Wiederholte Lektüre von Emmanuel Macrons Rede zur »Neubegründung Europas« an der Sorbonne. Neben den hinreichend thematisierten Vorschlägen des französischen Präsidenten zur weiteren Vergemeinschaftung und Zentralisierung europäischer Institutionen fallen mir ein paar Dinge auf, die bislang weniger Aufmerksamkeit fanden.

      Erstens: Macron hat nicht ein Mal die Begriffe »Christentum« oder »christlich« erwähnt.

      Zweitens: Er verbreitete passagenweise im Göring-EckardtStil Hass, Spaltung und Abschottung, etwa: »Ich überlasse nichts denen, die Hass, Spaltung oder nationale Abschottung versprechen. Ich überlasse ihnen keinen einzigen Vorschlag.« Ross und Reiter nannte


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