Mombasa. Jürgen Jesinghaus

Mombasa - Jürgen Jesinghaus


Скачать книгу
Er hatte sein Anliegen so dringend vorgetragen, dass er sich schon für nächste Woche mit einem Funktionär der Sonderpolizei in Bonn verabreden konnte. Er war darauf aufmerksam gemacht worden, dass dieses Treffen rein außerdienstlich sei und er deshalb mit einem Mann zu rechnen habe, der nicht in Uniform, sondern im Straßenanzug erscheinen würde.

      „Wenn ich Ihnen helfen kann, jederzeit gerne, nur stellen Sie bitte meine Loyalität nicht in Frage.“

      „Mein Angestellter befindet sich in Ihrem Gewahrsam.“

      Der Herr im Straßenanzug, am Revers ein rundes Abzeichen, das ihn als Angehörigen der herrschenden Kaste auswies, steckte sich eine Zigarette an.

      „Ja wissen Sie, ‚befinden´ ist gut gesagt. Ich weiß zwar nicht, was im einzelnen mit ihm geschehen wird, aber ich möchte es so ausdrücken: Die Chancen, dass er wieder bei Ihnen arbeitet, sind ungefähr gleich Null.“

      Hartkopf schwieg betreten. Zu gehen wäre ratsam, denn die Frage lag in der Luft: Haben Sie nicht gewusst, dass er beschnitten ist? Und wenn Sie es gewusst haben, warum setzen Sie sich dann für ihn ein?

      „Zigarette?“ Das Gespräch sollte fortgeführt werden.

      „Danke, gerne. Russische?“

      „Der Führer wird keine Gegenoffensive wegen russischer Zigaretten machen.“

      „Nein? Nein. Ihre Bemühungen sind natürlich nicht umsonst. Ich weiß, dass Sie persönlich keine Vergünstigungen annehmen, aber Ihrer Organisation könnte vielleicht an einem fairen Geschäft gelegen sein.“

      Das Wort ‚fair‘ brachte Hartkopf widerwillig über die Lippen. Er ärgerte sich über seinen gestelzten Stil. Während er ihm nachhing, verlor er den Faden und schwieg. Nach einer Pause, in der er eine Zigarette entgegennahm und anzündete, sprach er weiter:

      „Sie wissen vielleicht, dass ich einen kriegswichtigen Betrieb zu laufen habe: Sand, Zement, Beton, Pisten, Bunker. Der Betreffende könnte im Dienst Ihrer Organisation in meinem Betrieb weiterarbeiten. Ich brauche jede Hand für den Endsieg.“

      „So haben Sie sich das also vorgestellt. Sind Sie in der Partei?“

      „Nein, obwohl auch ich im Dienst der Sache stehe. Meine Produkte sind, wie ich schon sagte, kriegswichtig.“

      „Es kann ja nicht jeder in der Partei sein. Was ich jetzt sage, bleibt hübsch unter uns: Der Krieg läuft nicht so, wie wir uns das gedacht haben. Und nochmals unter uns: Mir ist nichts daran gelegen, überhaupt nichts, dass diese Menschen über den Jordan gehen. Ich bin sogar bereit, dem einen oder anderen aus der Patsche zu helfen. Ich hätte da meine Risiken und einige Spesen. Wie sollen wir uns näherkommen?“

      „Ich bin bereit, Ihre Spesen zu übernehmen. Und was das andere angeht, so habe ich mir vorgestellt, dass ich den Lohn des Betreffenden bis auf eine Courtage an Ihre Organisation abführe.“

      „Sagen wir mal so: Die Courtage beträgt 50% und dient zur Deckung meines Risikos, mit dem ich leben muss, eines Risikos, das sobald nicht aufhört.“

      „Bei Kriegsende.“

      „Was kann ich mir denn nach einem verlorenen Krieg dafür kaufen?“

      „Einen Persilschein.“

      „Es bleibt dabei. Sie haben mich verstanden! Was die Zahlungsmodalitäten angeht, setzt sich meine Organisation schon bald mit Ihnen in Verbindung. In Sachen Provision komme ich noch auf Sie zu. Und Persilschein, mein lieber, mein sehr lieber Herr Hartkopf, dazu würde ich Ihnen gerne noch einige Takte sagen!“

      5.

      Es hieß, sie führen nach Osten, um bei der Abschaffung der polnischen Wirtschaft und beim Aufbau des Generalgouvernements zu helfen, in Steinbrüchen und beim Straßenbau. Es hieß auch, sie sollten mal richtig arbeiten lernen. Daniel erinnerte sich, dass die Partei, die seine Inhaftierung betrieben hatte, einer nationalistischen, vulgär-sozialistischen Ideologie anhing und diese im Dunst missbrauchter Festsäle verkünden ließ. Also die Juden und Sozialdemokraten und besonders die jüdischen Sozialdemokraten sollen arbeiten lernen! Als hätte er nie gearbeitet, als hätten seine Eltern nicht gerackert! Wenn er schon arbeiten musste, warum wurde er dann so behandelt? Wer arbeitet, soll essen, darf nicht frieren. Daniel rechnete mit vielem, sogar mit einer besonderen Strafe für das fehlende J im Pass. Aber dass sein Leben auf dem Spiel stand (es gab Gerüchte), glaubte er nicht. Leute umbringen, weil sie keine Vorhaut haben, weil sie das Laubhüttenfest feiern? Absurd. Er war noch jung und glaubte an die Erklärbarkeit der Welt, dass sie im Prinzip verständlich sei, wenigstens bei einem tieferen Verständnis, als ihm jetzt gegeben war. Und wie zur Bestätigung seiner Theorie kam er aus dem Übergangslager, der alten Fabrik, in ein überheiztes Büro, wo er von zwei Ledermänteln empfangen wurde, die ihn zurück in die Stadt fuhren, aber nicht in seine Wohnung, sondern in das Polizeipräsidium.

      „Ich erklär dir alles später, jetzt verschwinden wir, bevor die es sich anders überlegen.“

      Hartkopf hatte ihn kurz begrüßt, ihm auf den Rücken geklopft. Er drängte zum Gehen und zerrte ihn fort, so dass Daniel beinahe gefallen wäre.

      „Ich möchte wenigstens meine Sachen wiederhaben!“

      „Bloß kein Aufsehen! Lass die Klamotten.“

      Hartkopf zog ihn über das Laminat des Präsidiums. Sie stiegen rasch die Freitreppe hinab, nachdem sie das rechteckige Portal, ein Tor wie zu einer Grabkammer, verlassen hatten. Sie hasteten entlang einer Reihe Polizeiautos und bogen in die Seitenstraße. Dort stand der dreiräderige Lieferwagen, der T2, mit dem Hartkopf gekommen war, und davor ein Polizist, der sich die Nummer notierte. Es hatte keinen Zweck, weiterzugehen und so zu tun, als gehörte einem der Wagen nicht.

      „Stimmt was nicht, Meister?“

      „Ihre Papiere.“

      „Für Dreiräder braucht man keinen Führerschein.“

      „Die Personalien.“

      Der Wachtmeister blickte streng unter seinem Tschako hervor. Hartkopf zeigte die Papiere, die er im Krieg immer bei sich trug.

      „Sie stehen im Halteverbot.“

      „Entschuldigung. Wir hatten dienstlich in Ihrer Behörde zu tun, eine Angelegenheit betreffend, die keinen Aufschub duldet.“

      „Das nächste Mal denken Sie daran.“

      Der Wachmann tippte an den Tschako und schritt davon.

      „Freundlicher Kerl, war nur eine harmlose Sache, Dan, wirklich.“

      Jetzt erst fiel Hartkopf auf, dass mit Spielstein etwas nicht stimmte.

      „Was ist denn?“

      Daniel las von Hartkopfs Gesicht und sagte in das Rauschen:

      „Ich kann nicht hören, sie haben mir die Ohren kaputt geschlagen.“

      Hartkopf schickte den Betriebselektriker Fritz Radebusch in die Pfarrer-Gyssel-Straße, um die Sachen von Daniel zu holen, so unauffällig wie möglich. Dans Zimmer war möbliert, so dass alles, was ihm gehörte, auf das Tempo-Dreirad passte. Zwei Hausbewohner, Zeugen der Verhaftung, drückten sich an Radebusch vorbei, im Glauben, er sei eine Art Gerichtsvollzieher der Gestapo. Nachdem Fritz alle Sachen herausgeholt und untergebracht hatte, verschloss er die Wohnung und lieferte den Schlüssel bei dem Hausmeister ab, der hinter seiner Tür die Räumung verfolgt hatte und bei der Entgegennahme des Schlüssels keine Fragen stellte, als wäre es selbstverständlich, dass Menschen in dieser Zeit plötzlich verschwinden und Fremde ihr Hab und Gut davontragen. Jeder hielt sich an die Regel: Wo die Geheimpolizei war, da stellt man keine Fragen mehr.

      Radebusch, der selbst allen Grund hatte, unauffällig zu leben und wenig zu reden, war rechtzeitig fertig geworden, einen Raum, kaum vier mal vier Quadratmeter, neben der Schlosserei des Kieswerkes einzurichten. Dorthin stellte er die mitgebrachten Sachen. Ab diesem Tag lebte Daniel Spielstein in dem Raum, der


Скачать книгу