Mombasa. Jürgen Jesinghaus
der Welt hingibt, weitergeben mochte.
„Was ich dir jetzt sage, ist lebenswichtig. Lebenswichtig! Ich habe nämlich auch so eine Pistole wie in dem Bericht über Masrat. Die muss irgendwie verschwinden.“
Die bequemste Art, sie verschwinden zu lassen, hatte er versäumt und es nicht über sich bringen können, dem Andenken seines Vaters geschuldet, sie auch in den Waldsee zu werfen, obwohl es vermutlich das Klügste gewesen wäre. Aber weiß man es? Würde die Polizei nicht glauben, dass keiner so dumm ist, die Tatwaffe mit nach Hause zu nehmen, und sich deshalb erst recht in der Gegend umsehen? Wäre ein Weiher nicht das klassische Depot für eine Mordwaffe? Läge das nicht auf der Hand? Die Polizei würde Magneten durchs Wasser ziehen oder den See trockenlegen. Hülsen würden sie auch dann in dem Schlamm nicht finden, wenn schon, aber eine komplette Parabellum, mit drei Schuss im Magazin und einen im Lauf, mit vier Patronen, die wie eine Kopie der verschossenen wären, ein schicksalhafter Fingerzeig (vielleicht war Fritz Radebusch doch klüger als er selber meinte).
„Wie kommst du denn an eine solche Pistole!“
„Vielleicht kannst du noch lauter schreien!“
„Wie kommst du denn an eine solche Pistole? Die müssen glauben, du hättest …! Wär ja kein Wunder.“
„Die muss weg!“
„Wo hast du sie denn?“
„Wieder im Werkzeugkasten.“
„Wieso ´wieder´?“
„Ich hab sie da gefunden, nach Vaters Tod, beim Aufräumen seiner Sachen, und mal draufgeguckt und wieder zurückgelegt. Darum ‚wieder´.“
„Kannst du sie nicht draußen wegwerfen?“
Radebusch hielt es für keine gute Lösung, jetzt mit einer Pistole herumzulaufen.
8.
An diesem Montag kam Radebusch zu spät in die Hartkopfsche Firma. Er bewegte sich wie unter einem äußeren mechanischen Zwang, als er das Polizeiauto sah, das vor Hartkopfs Büro parkte. Was machen die schon hier? Er dachte überstürzt, wollte alles auf einmal wissen und alles richtig machen und konnte daher keinen klaren Gedanken fassen. Welchen Fehler hast du begangen, dass sogar die örtlichen Bullen schon dahinter gekommen sind? Ist deine Frau durchgedreht? Haben sie deine Frau mit der Pistole erwischt? So blöd ist die nicht. So blöd nicht. Die nicht. Andere ja, die nicht. Ihm wurde wohler, als er merkte, dass der Fahrer, der im Wagen sitzen geblieben war, keine Notiz von ihm nahm. Fritz ging an ihm vorüber und grüßte. Der Fahrer nickte und schloss die Augen, als wäre ihm alles zu viel, dieses ganze Theater. Fritz bedauerte, nicht danach gefragt zu haben, was die Polizei hier wolle, ob sie vielleicht in dem Mordfall ermittle, den ja jeder schon aus der Zeitung kennt. ‚War wohl ein Bolschewistenschwein‘, etwas in der Preisklasse hätte er sagen müssen. Aber gesagt ist gesagt, besser man hält die Schnauze. Gerade du solltest die Schnauze halten! Du wirfst sonst Dinge durcheinander, solche, die in der Zeitung stehen, mit denen, die du selbst erlebt hast. Nur nicht umschauen. Er grüßte einen Kies-Fahrer. Der schrie von Weitem: „Spät dran heute?“ Irgendetwas wie „tscha-ha“ brachte Fritz hervor und beschloss, diesem Idioten eins auszuwischen, wenn die Affäre bereinigt wäre und wenn er, Fritz Radebusch, dann noch leben sollte. Immerhin fing er an, darüber nachzudenken, was er sagen würde, wenn man ihn früge, warum er später als gewöhnlich kommt. Ausreden müssen nahe an der Wahrheit liegen. Aber zu nah darf es auch wieder nicht sein! Er würde sagen, dass ihn die „schreckliche Meldung“ heute Morgen aus der Bahn geworfen habe, Herr Masrat sei doch ein angesehener Bürger des Ortes, den kenne jeder (so tun, als lebte er noch, als wäre sein Tod nicht sicher). Hoffentlich erzählt meine Frau keine Märchen: ‚Mein Mann ist später von zu Hause weg, weil er fiebert, er hat sich vorgestern einen Schnupfen geholt.‘ Aber das macht die nicht. Die nicht. Radebusch beschloss, sich eine Zeitung geben zu lassen, möglichst eine andere als seine Hauspostille, und sich alle Einzelheiten einzuprägen, damit er wirklich nur das sagen würde, was er gelesen hatte, und nicht das, was er wusste. Du musst dich konzentrieren, reiß dich zusammen! Sie dürfen Daniel heute nicht sehen. Der darf ihnen nicht über den Weg laufen. Für den Fall, dass er in seiner Löwengrube hockt, muss ich ihn warnen. Radebusch wollte ins Büro hineingehen, als ihn zwei Beamte gegen die Türfüllung quetschten. Sie machten drei Sprünge auf den Hof, stiegen in das Auto, schreckten den Fahrer aus seiner Schläfrigkeit und spornten zur Eile.
Hartkopf stand in seinem Büro, kreidebleich. Er wartete keinen Gruß ab und sagte fast tonlos:
„Der Urbanski.“
„Was ist mit ihm?“
„Sie suchen ihn wegen vorgestern. Die haben doch den Masrat umgelegt.“
„Was heißt ‚die´?“
„Irgend jemand. Sie glauben, der Urbanski war´s, weil Masrat vor drei Monaten öffentlich die Frage gestellt hatte, ob wir sicher sein dürften, dass unter den Pollacken kein Untergrundkämpfer sei, zum Beispiel der Urbanski, der so abgefeimt glotze – nur weil er die Augendeckel nicht zugeklappt hatte, als der Herr Obergeschissrat an ihm vorbeizugehen geruhte.“
„Sie haben Urbanski aber nicht mitgenommen.“
„Er war nicht hier. Er ist auf der Baustelle.“
„Haben Sie das gesagt?“
„Ich habe gesagt, dass ich nicht weiß, wo er ist.“
„Ich muss ihn warnen.“
„Aber machen Sie das sehr vorsichtig. Sie nehmen den T2 und ich gebe Ihnen einen Auftrag für die Baustelle. Reparieren Sie den Mischer.“
„Ist er kaputt?“
„Herr Radebusch, dann machen Sie ihn eben kaputt! Beeilung. Ich habe in der Nase, dass sie wiederkommen.“
„Was sag ich denn dem armen Kerl? Ich kann ihn doch nicht hierher bringen?“
„Zu Ihnen?“
Der guckt mich an, als wüsste er alles. Wenn sie bei mir den Urbanski finden, dann auch die Parabellum. Radebusch kratzte sich die Hand und sah ratlos aus.
„Bringen Sie ihn vorsichtig hierher, wir stecken ihn in die Löwengrube.“
Radebusch nickte erleichtert, obwohl er keinen Grund hatte, erleichtert zu sein. Nicht nur Spielstein und Urbanski waren in Gefahr – er auch und seine Frau und Philipp, sein Söhnchen, und wer sonst noch.
Sie kamen wieder, in einem grünen Mannschaftswagen. Acht Mann sprangen hintereinander heraus, Gewehre in der Rechten. Sie stellten sich in Reih und Glied, hier geruckt und da gezuckt. Sie redeten leise und hielten ihre Karabiner wie andere Leute eine Brechstange. Ein Offizier verschwand im Bürogebäude. Er war kaum eine Minute drin gewesen, als er zusammen mit Hartkopf vor seine Polizisten trat und die Hausdurchsuchung des Kieswerks anordnete. Hartkopf verzichtete darauf, falsche Spuren zu legen. Er sagte gar nichts und trug ein ausdrucksloses Gesicht vor sich her. Der Polizeioffizier versuchte nicht, Hartkopf in ein Gespräch zu ziehen, und befahl ihn zurück ins Büro. Der befolgte freiwillig den Befehl, denn einen anderen Ort als sein Büro aufzusuchen, erschien ihm zu gefährlich, weil er glaubte, beobachtet zu werden. Wie leicht hätte er eine Spur legen können, indem er zu nah an das Versteck heranging oder zu weit in die entgegengesetzte Richtung!
Vor seinem Büro versammelten sich einige Arbeiter. Sie hofften, neue Informationen zu erhalten, und fragten ihn, was die Leute von der Polizei hier zu suchen hätten.
„Wegen vorgestern“, sagte Hartkopf.
Er blieb bei den Arbeitern stehen, versenkte seine Hände in den Hosentaschen, zog die Schultern hoch und streckte seine Arme steif.
„Was haben wir denn damit zu tun?“
„Nichts. Die suchen halt, glauben vermutlich, die Fremdarbeiter …“
„Die Pollacken, könnte doch sein!“
„Die Pollacken haben