Mombasa. Jürgen Jesinghaus

Mombasa - Jürgen Jesinghaus


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Radebusch mit zwei Arbeitern in dem Dreirad, dem T2, durch das Dorf. Der T2 war beladen mit Kies, Sand und Bitumen, einigen Hacken, Steingabeln und Reiserbesen. Auf der Ladung saßen die Arbeiter und verzehrten ihr Frühstücksbrot. Sie tranken aus Feldflaschen, die noch aus dem ersten Krieg stammten. Eine Weile hielt sich Radebusch auf der Hauptstraße. An der alten Kiesgrube sah er starr nach vorn, um kein misszuverstehendes Interesse an diesem Ort zu bekunden, obwohl die Vorsicht überflüssig war, denn erstens saß außer ihm niemand in der Fahrerkabine und zweitens hatte die Presse diesen Ort niemals erwähnt, weil Masrat so dämlich gewesen war, den Tatort zu verlassen und dann doch abzukratzen. Radebusch grinste bei dem Gedanken und schüttelte den Kopf. Am Heiligenhäuschen bog er nach links auf die „Pass-Straße“, wie er die schmale Straße nannte, die in sanfter Steigung am rechten Ufer des Mühlenbachs auf das Plateau führte, zur Ruine der alten Ziegelei. Der Vorberg begrenzt im Westen die Ebene, wo der Rhein Unmengen Kies und Schluff angeschwemmt hatte. Einen winzigen Teil davon, ein Staubkörnchen, schleppte das ächzende, tuckernde Tempo-Dreirad hinauf. Der Zweitakter verlor den Faden, „die Nähmaschine steppte nicht mehr“. Radebusch hielt und befahl den Männern abzusteigen und zu Fuß weiterzugehen. Fritz fuhr nun im Schritt-Tempo. Der T2 begann zu schlingern wie nur ein Dreirad auf einem mit Schlaglöchern übersäten Sträßchen. Die Arbeiter und der T2 erreichten fast gleichzeitig die Abzweigung zum Kloster. Fritz stoppte und stieg aus. Von dieser Stelle konnte man das Kloster gut überblicken. Es lag am Ende des Mühlenbachs. Die Mauern umschlossen das Quellgebiet, „heiligen Boden“, der seit Jahrhunderten den Dominikanern gehörte. Radebusch sah prüfend hinüber und rief den Männern zu:

      „Hier ist es. Fangt an. Repariert den Klosterweg. Lasst euch Zeit. Macht es gründlich!“

      Er zerstreute die Bedenken seiner Arbeiter, das bisschen Sand auf dem T2 reiche höchstens für fünf Meter, und begann, an einigen Stellen Asphaltreste zu beseitigen, mit übertriebenen Verrenkungen, als wollte er die Spitzhacke mit aller Kraft in den Weg schlagen, dass keiner außer einem Gottberufenen sie je wieder herausziehen könnte.

      „Du spinnst, Fritze, machst mehr kaputt, als wir in einem Jahr reparieren können.“

      Nach einer viertel Stunde wurde Radebusch ungeduldig. Er stellte seine Arbeit ein und vertiefte sich in den Anblick des Klosterkomplexes. Seine Männer arbeiteten langsam, in einer wiederkäuenden Weise. Es wurde ihnen heiß, sie lehnten sich an den Ladeverschlag. Sie hatten gar nicht bemerkt, dass aus der Pforte jemand herausgekommen war – erst, als er über die Hälfte der Strecke zu ihnen zurückgelegt hatte.

      Der Mönch näherte sich. Er ging nicht, er lief nicht, er schlurfte nicht, sein Gang versteckte sich unter der Kutte, die fast über den Boden schleifte, aber nur fast, darum sah es so aus, als bewegte er sich auf Schienen. Der Mann blieb vor den Arbeitern stehen und machte zwei wortlose Verbeugungen wie ein Mandarin. Dann sagte er:

      „Guten Tag, meine lieben Herren.“

      Radebusch erwiderte:

      „Guten Tag, lieber Herr.“ Er meinte es nicht ironisch, er fand die Anrede passend für einen Mönch, den er sonst nicht anzureden gewusst hätte.

      „Ihr lieben Herren, wir verfolgen Ihre Aktivitäten seit geraumer Weile und können doch nicht glauben, dass Sie uns von Gott geschickt worden seien, um die Zufahrt zu reparieren, obwohl es fast den Anschein haben möchte, wenn ich in Augenschein nehme, was Sie bisher vollbracht haben.“

      Er nickte dreimal. Die Männer sahen sich an (der redet vielleicht komisch). Radebusch behauptete nun:

      „Wir haben vom Kloster den Auftrag.“

      „Einen Auftrag durch das hiesige Kloster? Ja, ich bin wohl nicht informiert, meine Herren. Ich weiß davon ja gar nichts.“

      „Ich kann es erklären und würde mich freuen, mit Ihrem Chef darüber zu sprechen.“

      „Der Prior delegiert solche Aufträge an die Brüder, die dazu auserkoren sind.“

      „Aber das Missverständnis ließe sich bald beheben, wenn ich mit dem Prior persönlich spreche, falls Sie nichts dagegen haben.“

      Radebusch fixierte den Mann in der Kutte und machte dabei so beredte Augen, dass der in den ungewöhnlichen Vorschlag einwilligte. Radebusch verließ seine beiden Helfer und ging in Begleitung des Bruders Pförtner zum Kloster hinauf.

      Der Gastpater ließ ihn in einer getünchten Kammer zurück. Ein schwarzes Holzkreuz ritzte die Wand neben der Tür. Die Hauptperson, bereits vom Leiden erlöst, hing nicht mehr am Kreuz, daher erschien es wie ein Symbol der Auferstehung. Es stach Radebusch in die Augen. Er wandte sich zum vergitterten Fenster. Auch lauter Kreuze: Ein Querbalken langte zum nächsten, ein Stamm stand auf dem anderen. Radebusch sah seine Kumpane. Sie schippten träge vor sich hin. Als es nichts mehr zu schippen gab und einer von ihnen mit dem Besen über die Straße wischte, öffnete sich ein Seitentürchen, herein trat ein junger Mann in Kutte und erkundigte sich, nachdem er zivil gegrüßt hatte, ob er, Radebusch, die Angelegenheit nicht mit ihm klären wolle, denn der Prior sei stark in Anspruch genommen. Fritz beschied knapp:

      „Ich möchte mit dem Chef persönlich sprechen.“

      Dabei schaute er dem Mann bedeutungsvoll in die Augen, so dass dieser rot wurde und sich schnell zurückzog. Im Hinausgehen murmelte er, man werde sehen, was sich tun lässt, und zog die Tür ins Schloss. Diesmal dauerte es nicht lange. Radebusch wurde in einen großen Raum geführt. Die Wände waren mit dunklem Holz verkleidet. Das Mobiliar im Bauhausstil hob sich von der Umgebung ab, ohne deplatziert zu wirken. Radebusch blinzelte umher. Er würde das obligatorische Kreuz schon entdecken. Gleichzeitig mit dem Eintritt des Priors sah er es, schräg abgestellt, in einer Ecke hängen. Der Prior, wie die anderen in eine Kutte gehüllt, trug eine Brille. Er warf mit einem Schwung die Tür hinter sich zu, ohne sie knallen zu lassen, und schritt ausholend (erkennbar schreitend, trotz Kutte) auf Radebusch zu, streckte ihm die Hand entgegen und rief:

      „Seien Sie willkommen. Sie sind einem Irrtum aufgesessen, höre ich?“

      Radebusch war eingeschüchtert, auch weil er nicht wusste, wie man einem Abt oder Prior begegnet. Er stellte sich vor und rückte endlich damit heraus, dass die Straßenarbeiten eine Finte seien, um unauffällig in einer wichtigen Sache, einer sehr wichtigen, mit ihm, dem Abt, den er vermutlich vor sich habe, sprechen zu können. Radebusch vergaß nicht herauszustreichen, dass er kein Katholik sei, überhaupt keiner Kirche angehöre, dass aber „in diesen Zeiten“ Sozialisten und Christen zusammenhalten müssten. Er wolle das aber nicht zum Hauptgegenstand des Gespräches machen. Es gehe vielmehr um Leben und Tod. Dann folgte, ohne dass der Prior ihn unterbrochen hätte, die Geschichte von Urbanski und der Hausdurchsuchung in der Hartkopfschen Kiesfabrik. Und schließlich:

      „Wir haben uns gedacht, dass Sie Ihrem Glaubensbruder helfen könnten.“

      Der Prior wies mit dem Arm auf die Stühle, was einer späten Aufforderung gleichkam, sich zu setzen.

      „Sie bringen mich in eine unangenehme Lage“, bemerkte er und hob gleichzeitig beide Hände in eine Abwehrhaltung, die besagen sollte, dass ein Einwand Radebuschs noch zu früh sei.

      „Zuerst müsste ich mich Ihrer vergewissern“, er lächelte, „ich weiß von Ihnen nicht mehr, als dass Sie vorgeben, einen Auftrag von uns zu haben, und nun behaupten, einen Menschen bei uns verstecken zu müssen.“

      „Wer ich bin, können Sie in der Firma Hartkopf erfahren.“

      „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, verträgt Ihre Mission keine fernmündlichen Absprachen.“

      Natürlich, Fritz ärgerte sich über sich selbst und antwortete schnell:

      „Ich kann Ihnen keine Beweise meiner Vertrauenswürdigkeit geben. Ich wüsste nicht wie.“

      „Hat Herr Urbanski, Sie sagten doch Urbanski, etwas mit dem Mord zu tun?“

      „Nein, ganz sicher nicht.“

      „Aber er wurde bei Ihnen gesucht. Es bestand also ein gewisser Verdacht?“

      „Nur


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