Mombasa. Jürgen Jesinghaus

Mombasa - Jürgen Jesinghaus


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Scheiße, das auch noch“. Er schob seinen Stiefel an das Brett und wollte es von der Straße schleudern, aber es gelang ihm nur, das Brett zu drehen, so dass er sich bücken musste. Er warf es mit beiden Händen auf die Seite, wo Radebusch wartete, atemlos, mit gesenkten halboffenen Augen. Fritz blickte erst auf, als die Fahrertür klappte. Kaum war der Wagen angefahren, blieb er wieder stehen. Masrat stieg aus, verbeugte sich vor dem Kühler, so schien es, griff einen von Radebuschs Steinen und reckte sich. Da endlich schoss Radebusch. Masrat stand lange suchend vor dem Auto. Die Scheinwerfer beschienen seine Hosenbeine und Schuhe. Er konnte nichts in der Richtung erkennen, aus der geschossen wurde, darum fragte er, gewissermaßen sich selbst: „Ist da jemand?“ Fast bittend. Es muss sich ja aufklären lassen, ich bitte um Aufklärung des Irrtums! Fritz feuerte ein zweites Mal. Es riss den Fahrer herum. Er griff an die Schulter, stolperte auf die Tür zu, die in Fahrtrichtung offen stand, und tauchte in die Fahrerkabine. Das Glas der Beifahrertür platzte, Splitter schossen nach innen und trafen den Fahrer am Gesicht. Radebusch hatte ein drittes Mal gefeuert. Nun glaubte das Opfer an keine erfolgreiche Flucht mehr. Er griff mit seinem linken Arm über den Schoß und fingerte nach dem Revolver, der zwischen den Sitzen klemmte. Als Masrat die Waffe in der linken Hand hielt, aus dem Wagen stieg und sich aufrichtete, um seinem unsichtbaren Gegner mit der Pistole zu trotzen, fiel der letzte Schuss. Radebusch schnappte den Beutel, verließ die Schatten der Büsche und des Findlings und stolperte in Fahrtrichtung davon. Er wurde von den Scheinwerferkegeln erfasst, bevor er rechts abbiegen konnte.

      „Dich kenne ich doch. Ich kenne Sie!“

      Masrat erschöpfte sich in der Empörung über den Anschlag. Er schoss nicht zurück, er staunte nur. Jetzt war Radebusch außer Sicht. Er lief hinter der alten Kiesgrube auf Gegenkurs, in die Richtung, aus der das Auto gekommen war und wo sein Fahrrad stand. Als er sein Rad gefunden hatte, überzeugte er sich davon, dass nichts fehlte.

      7.

      Am Sonntagmorgen beunruhigte Fritz Radebusch seine Frau damit, dass er sich nur in der Wohnung aufhielt und grübelte. Der Kerl ist verletzt, mehr nicht. Hat er nicht gerufen: Ich kenne Sie? Stimmt das vielleicht? Kennt er mich mit Namen oder nur vom Sehen? Seine Fresse war blutig. Es regnete. Ich habe mich lange genug im Dunkeln aufgehalten. Der konnte mich nicht erkennen. Als ich weglief, sah er noch lebendig aus. Warum hast du nicht weitergeschossen?

      Es gab da nämlich den Augenblick, wo er gar nicht töten wollte, wo er Angst davor hatte, nicht vor Entdeckung und Strafe, sondern davor, ein Mörder zu werden. Nach dem vierten Schuss wollte er kein Mörder mehr sein. Radebusch irrte durch die Wohnung, war fahrig, nicht ansprechbar. Er wiederholte für sich: Den Daniel Spielstein hat der auf dem Gewissen, den alten Schön auch, Jabotinsky, die ganze Familie. Vielleicht sind sie tatsächlich nur in einem Arbeitslager, und das miese Schwein wäre wenigstens nicht an ihrem Tode schuld. Aber er hat sie aus ihren rechtmäßigen Lebensverhältnissen herausgerissen! Die Schramme, die ich ihm verpasst habe, lässt ihn künftig daran denken, dass er hier nicht der Herrgott ist, der Herr Masrat in seiner kackbraunen Uniform. Das durfte so nicht weitergehen! Aber mir geht es an den Kragen, wenn er wissen sollte, wer ich bin. Fallbeil oder Strick (Erschießungskommando wohl kaum). Vielleicht hat er nur geblöfft. Er kennt mich gar nicht. Meine Frau wäre auch dran. Und der Sohn käme in die Napola-Schule nach Bensberg! Ich hätte mit der Frau darüber sprechen müssen. Aber sie hat sich nicht einmal darüber gewundert, dass ich nass war bis auf die Knochen. Sie kennt das von mir. Sie weiß gar nichts, sie kann nichts verraten. Wo war Ihr Mann gestern? Wie immer mit dem Rad unterwegs, er fährt seine Runden bei jedem Wetter, auch im Winter.

      Die Gerüchte von einem Mord kursierten schon am Sonntagnachmittag. Fritz Radebusch quälte sich mit der Frage, ob er etwas liegen gelassen hatte, ein Taschentuch beispielsweise. Nein, das nicht. Sogar die vier Hülsen, die mir der Auswerfer ins Gesicht gespuckt hatte, habe ich aufgehoben und in die Tasche gesteckt und alle vier am Brunnenhaus in den Waldsee geworfen, weit hinein, ich habe es platschen gehört. Am Montag brachten es die Zeitungen. Der Mercedes war in einen Graben gesteuert worden. Zur Erleichterung Radebuschs bezeichnete die Presse eine Stelle, die zwei Kilometer vom Tatort entfernt lag. Darauf würde die Polizei ihre Nachforschungen konzentrieren. Der Bursche hatte also noch seinen Wagen in Gang gesetzt, bevor er abkratzte! Es könnte wie ein Unfall aussehen - wenn die Schusswunden nicht wären.

      Der alte Radebusch, Fritzens Vater, hatte in einem Feldbrief an seine Frau beschrieben, wie er an die Pistole, eine deutsche Armeewaffe aus dem ersten Weltkrieg, eine Luger P08, gekommen war, für ihn, den einfachen Feldgrauen, eine Rarität, eine zusätzliche Lebensversicherung, besser als ein geschliffener Spaten.

      „Ich habe sie einem Poilu abgeknöpft, als sich sein Graben in ganzer Länge ergeben hatte, und der Poilu hatte sie zuvor einem deutschen Offizier abgenommen, nachdem sich dessen Kompanie geschlossen ergeben hatte. Der Franzose glaubte wohl, ich würde ihn deswegen umbringen, und zeigte auf das herausgezogene leere Stangenmagazin, als wäre das ein Beweis für seine Friedfertigkeit. Ich stieß es zurück und hielt ihm die Luger an den Schädel und sagte: ‚Du hast achtmal geschossen, jetzt erschieß ich dich, bümm!‘ Wir erschraken beide, ich mehr als er, weil man das, was ich getan hatte, auf gar keinen Fall tut (es hätte ja noch eine Kugel im Lauf stecken können). Darum entschuldigte ich mich: ‚Excusez moi, hier sind Zigaretten für die Lüger, ich kauf sie dir ab, obwohl sie naturellement uns gehört!‘“

      Fritz hatte den Brief im Nachlass seiner Mutter gefunden. Es sprach einiges dafür, dass sich die Waffe im Gerümpel auf dem Trockenboden befand. Eines Tages stellte er den Speicher auf den Kopf, riss Schachteln auf, sprengte Kästen mit dem Schraubenzieher. In einem Werkzeugkasten lag die Luger in Ölpapier eingewickelt. Obwohl sein Vater geschrieben hatte, das Magazin sei leer gewesen, fand Fritz ein volles vor. Der Alte hatte also für Nachschub gesorgt. Fritz fuhr nie in eine Kiesgrube oder in den Wald, um probezuschießen, auch nicht, als in ihm die Absicht reifte, Masrat umzubringen. Er studierte sie auf dem Speicher, zog am Kniegelenkverschluss den Schlitten nach hinten, um die erste Patrone in den Lauf zu schieben. Die P08 würde sich nach einem Schuss durch einen Rückstoß-Mechanismus automatisch nachladen. Er brauchte dann nur in gemessenen Abständen zu feuern. Nach dem Studium der Funktionsweise legte er die Luger-Parabellum zurück, vorerst, überschüttete sie mit Schrauben und packte Hämmer und Zangen darauf.

      Dass sein Vater, der Weltkrieg-I-Radebusch, die Waffe in einem Werkzeugkasten versteckt hatte, konnte bedeuten, dass er sie für ein Werkzeug hielt oder dass er sie in Gesellschaft ziviler Gegenstände, die dem Leben dienstbar sind, heiligen wollte. Wenn es für den Alten ein Werkzeug war, hatte er sie dann nicht benutzt, um den Nachkriegshunger zu bekämpfen, hatte er Hasen geschossen, Tauben, Hunde? Und wenn ja, dann würde sich ein alter Mensch aus dem Dorf vielleicht daran erinnern!

      „Hast du jemals gehört, dass nach dem Krieg einer aus dem Dorf gewildert hätte?“ fragte Radebusch seine Frau Montag früh.

      „Mit Pfeil und Bogen sind sie auf Ratten losgegangen.“

      „Ein Gewehr hatte ja niemand, auch die Polizei nicht?“

      „Vermutlich nicht, wieso?“

      „Waren harte Zeiten im Krieg und danach. Die Franzosen hätten einen Schießprügel sicher nicht geduldet. Daher konnten die Leute draußen keine Kaninchen schießen. Sie mussten ihre eigenen fressen, wenn sie welche hielten. Ich hab mal gesehen, wie jemand einen Stallhasen an die Mauer schlägt. Es gibt immer Menschen, die das über sich bringen. Das ist genau so oder noch schlimmer als das da in der Zeitung.“

      Radebusch legte die Zeitung aus der Hand. Er widerstand dem Impuls, einen Bericht über Masrats Tod auszuschneiden, obwohl es, überlegte er, nicht auffällig wäre, wenn jemand eine Seite, die über ein Ereignis berichtet, das vor der eigenen Haustür stattgefunden hat, herausreißt. Wäre es nicht vielmehr umgekehrt verdächtig, nähme er keinen Anteil an dem Vorfall? Seine Frau enthob ihn der Mühe, sich zu entscheiden. Sie riss den Artikel heraus, faltete ihn und legte ihn unter einen Stapel Teller im Küchenschrank. Das war eine natürliche Reaktion (hoffentlich würde die Polizei es auch dafür halten).

      „Dass so etwas vorkommt“, sagte sie, „gibt Scherereien. Die verhören wer weiß wen, uns vielleicht auch.“

      Radebusch


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