Die Gegenstimme. Thomas Arzt

Die Gegenstimme - Thomas Arzt


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Seppl, schau, schau, da kann sich ein jeder aufrechte Nationalsozialist was abschneiden. Er schluckt.

      Er steht hinterm Theatervorhang. Und da sind die beiden Kreise vor ihm. Das Ja und das Nein. Und der Kreis für das Ja, der ist der größere. Alles drängt ihn hier zu einer Zustimmung. Er spürt den Atem der anderen. Jetzt hängt ihm tatsächlich was im Nacken. Nicht die Furcht. Es ist die Zeit, die angebrochen ist. Die Gemeindestube voll von dieser Neuzeit. Wie kannst nur was anderes jetzt? Sie sind gegen mich. Sagt er zur Hanni in Gedanken. Sie werden auch mich versperren. Nicht gleich, aber später. – Geh, Seppl, keiner wird dich wegsperren. Wir halten zsamm. Aber was, wenn der Zusammenhalt bald gespalten? Der Seppl sieht mit einem Mal die Stube auseinanderbersten, zwischen den beiden Kreisen, da tut sich ein gewaltiges Loch auf, es wird uns alle reinreißen, geh Seppl. Du spinnst. Es bebt in seinen Hirnwindungen, es dröhnt das Gelächter und Nachäffen, die vielen Male, da man über ihn hergezogen, ihn zur Zielscheibe einer Erniedrigung gemacht hat. Das alles hat er ertragen, drübergelächelt, ja, der Dumme wird doch jetzt nicht nachtragend sein. Was pocht hier so unendlich schmerzlich? Draußen zieht die Blaskapelle vorbei.

      Wir warten, Seppl. Die Milde des Bürgermeisters wird auf die Folter gespannt, wer wird hier noch bald aufgespannt, zurechtgebogen, umerzogen, fallen gelassen? Zeiten kommen, Menschen gehen. Und der Seppl muss sich beruhigen, die Hand zittert ihm, sein Schreibstift wirbelt von Kreis zu Kreis, er wird doch jetzt ein Kreuz, verdammt! Und zählt, in seiner Suche nach Routine, alles auf, was er weiß, über diese seine Gegenwart. Renner, Mayr, Schober Eins, der Eintages-Breisky, Schober Zwei, Seipel Eins, Ramek, Seipel Zwei, Streeruwitz, Schober Drei, Vaugoin, Ender, Buresch, der Heilige Dollfuß, Schuschnigg. Renner, Mayr, Schober Eins, der Eintages-Breisky, Schober Zwei, Seipel Eins, Ramek, Seipel Zwei, Streeruwitz, Schober Drei, Vaugoin, Ender, Buresch, der Heilige Dollfuß, Schuschnigg. Renner, Mayr, Schober Eins, der Eintages-Breisky, Schober Zwei, Seipel Eins, Ramek, Seipel Zwei, Streeruwitz, Schober Drei, Vaugoin, Ender, Buresch, der Heilige Dollfuß … und jetzt kommt halt ein neuer Name dazu. Denkt’s, sieht das nickende Gesicht, innerlich, der Hanni, mach nichts Dummes, lieber kluger Mensch. Allmähliche fortschreitende Besserung. So ist’s doch gestanden. Im Wetterbericht.

      3

      Der Beckenspieler gibt einen Tusch, da geht sie los, die Kern Cilli, im Gleichschritt mit der Kapelle. Brust raus, Schultern gerade, Kinn hoch, auch den Lippenstift hat sie sich angelegt, aber schickt sich das? Ja, Mama, das schickt sich, denkt sich die Cilli. Der Rock flattert, die Knöpf der Bluse gespannt, es drückt ihr fast den Busen heraus, den hat sie heut zusammengepresst, sollen’s alle sehen, wie sehr sie einen Stolz vor sich herträgt. Da hat sich schon das vierte Mannsbild heut nach ihr umgedreht, sich den Schädel verrenkt, sie verteilt ihre Großzügigkeit samt damenhaftem Lächeln, mach es damenhaft, ja, Mama, was sich nicht alles schickt, als Tochter des Kaufmanns und nun des Bürgermeisters, du hast eine Verantwortung auszustrahlen, ja, das weiß die Tochter, sie macht heut der Familie alle Ehre, ihren Brüdern, ihrem Vater, dem Onkel, der vor ihr den Taktstock schwingt, sie marschiert als Marketenderin.

      Sie hat sich extra aus der Messe geschlichen, damit sie Zeit hat, sich nochmals ein wenig mehr herzurichten. Und überhaupt ist zu überlegen, jetzt, wo der Vater der Bürgermeister, wie man’s mit dem Messgang in der Zukunft halten wird. Es war ja kein Zustand mehr, so hat’s der Vater immer gesagt, da wird der Glaubensinhalt schon zum Parteiinhalt und umgekehrt, eine Knebelung des aufrechten Christen, der Nationalsozialist dagegen ist ein freier Mensch, der geht in die Kirch aus einem freien Willen heraus. Der ist überhaupt viel klarer in allem, was er denkt und tut. Kein Geducke mehr, sondern ein aufrechtes Handeln. Daher hat sie sich auch, als Bürgermeistertochter, diese Aufgerichtetheit zugelegt, hat lange vorm Spiegel sich angeschaut und gemerkt, es stimmt. Zu sehr lässt man sich hängen. Die Jugend überhaupt, durch die Jahre der Arbeitslosigkeit, es ist ein Rumhängen und sinnloses Zeitvergeuden.

      Verwahrloster Seelenzustand, so hat’s der Wimmer Eduard genannt, dem hat sie mal gefallen wollen, dem Edi aus der Bezirkshauptstadt. Hat was weniger Bäuerliches als die Mannsbilder vom Ort, hat ja auch ein Geschäft, die Familie, wie ihre eigene, nur noch mondäner. Cilli, der Wimmer hat wieder was, das musst sehen. Und sie fährt in die Bezirkshauptstadt und flaniert über die Hauptstraße, hofft, dem Edi über den Weg zu laufen, in einer Zufälligkeit, freilich. Man will nicht aufdringlich sich den Männern hinwerfen. Überhaupt, der Edi spricht ja von der Autonomie der Jugend, die sich bald erheben wird, ganz feurig hat er ihr das am Schießstand erläutert. Als die Schützen der Altpartei alle angetreten sind, eine Jahrmarktsstimmung war’s. Der Vater hat ganz passabel abgeschnitten, hat den damaligen Ortsgruppenleiter hinter sich gelassen, weißt, Mädl, der Baron, der ist Geschichte, mit seinem geschichtlichen Getue, seinem lächerlichen Schloss. Und fast lächerlich war’s, wie der Baron am Schießstand beinah nicht in die Kreise getroffen hat, ist ein versoffener Hund am End. Das hat den Baron gedemütigt und in einer unverfrorenen Hochnäsigkeit hat er dann gewütet, dass es doch die Pistole gewesen wär, die sei nicht ganz gerade, ja, so ist’s immer, wennst dich mit diesem Pack einlässt. Und der Edi hat beigepflichtet, als sie nach dem Schießen noch eine Zuckerwatte am Stadtplatz. Dem sollt man mal die Zeichen der Zeit, und der Vater und der Edi haben sich angeschaut. Ein sonderbares Anschauen war’s, das hat die Cilli damals nicht verstanden. Aber heute weiß sie, dass es der Wimmer Edi war, mit dem Stein Hansi, die in der darauffolgenden Nacht dem Baron ein Hakenkreuz aufs Schloss gemalt haben. So groß, es dauerte Tage, bis der Baron alles reinigen konnte, mit eigener Hand, denn seine Dienstboten hatte er wieder einmal in einem cholerischen Anfall entlassen. So ergeht’s dem hochnäsigen Pack, Cilli! Recht so, wenn denen mal die Wadln nach vorne gerichtet werden. – Hast du ihm damals die Wadln gerichtet, Edi? – Nein, sagt der Edi zur Cilli in Gedanken, ich wollt dir nur eine Liebesnachricht schreiben, daraus ist ein Hakenkreuz geworden.

      Du bist so verrückt, Cilli, sagt dann die Klara. Wenn sie Kleider ausprobieren, die die Klara über die Luzi aus Salzburg mitgebracht hat, das Schickste der Saison, und sie reden über die Mannsbilder, als wären’s wie die Wäsch zum Wechseln. Du spekulierst echt noch mit dem Wimmer Edi? Der ist keiner fürs Langfristige, weißt, Cilli, und die Klara hat so ihre Theorie. Der ist ein Abenteurer, aber mehr nicht. – Du hast keine Ahnung, schimpft die Cilli dann zurück. Und sie erzählt, wie der Wimmer Edi mit ebenjenem Stein Hansi nicht nur die Schmierereien an den Wänden veranstaltet hat. Die beiden sind auch für die Lahmlegung der gesamten elektrischen Leitung in der Bezirkshauptstadt verantwortlich gewesen. – Ein terroristischer Anschlag war das, sagt die Klara, die das eben wieder von der Luzi hat, die sich da auskennt, weil deren Papa ja bei der Gendarmerie ist. Und Terror ist zwar für die Umsetzung einer unerhörten Meinungsäußerung oft ein notwendiges Mittel, so die Luzi, aber man sollt sich doch nicht die Finger an den Terroristen selber schmutzig machen. Außerdem sind die allzu Feurigen auch bald an der Front, meint die Klara, das hat sie jetzt nicht von der Luzi, sondern das denkt sie sich selbst, ein Mannsbild sollt nicht allzu politisch sein, das verdirbt nur das Mittagessen. Da hat die Cilli sie ausgelacht. Die Cilli lacht auch jetzt noch, als sie wieder dran denken muss, im Marsch durch den Ort, der ihr an diesem Palmsonntag wie ein Blumenmeer vorkommt.

      Grad die Politischen haben es ihr neuerdings angetan. Das sind doch die viel Vitaleren, und auch die Fescheren. Das hat bei ihr schon bald begonnen, nämlich den Männern in der Uniform nachzuschauen, auch an den Kasernen immer zu stehen, bei Paraden und Kundgebungen. Als sich in der Bezirkshauptstadt die Vaterländische Front in einer großen Ansprach gezeigt hat, da hat sie überall die Fotos vom Heimwehrführer zusammengesammelt, dem Fey Emil. Die Mutter hat gemeint, das schickt sich nun wirklich nicht, denk dir den Altersunterschied, aber von der Reife lässt sie sich durchaus anziehen, die Cilli. Freilich, jetzt ist ein anderer über die Fotosammlung des Fey Emil gelegt worden, in noch größeren Abzügen, und auch politisch größer als die provinziellen Vaterländler. Einmal ist die Cilli sogar, als sie die Großmutter ins Spital in die Landeshauptstadt begleiten hat müssen, da hat sie die freien Minuten genützt und einige internationale Magazine erstanden, in einem Buchladen, und auf einem, da ist der Adolf Hitler gewesen in einer seiner beeindruckendsten Posen. Sie hat es sich geschnappt und das Bild vom Umschlag


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