Die Gegenstimme. Thomas Arzt

Die Gegenstimme - Thomas Arzt


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gewaltigen Durst. Hab schon einen Durst, dreht er sich jetzt um und sagt es zur Mutter, die hinter ihm mit festen Schuhen, aber im Sonntagskleid, das hat sie sich nicht nehmen lassen. Der Weg ist steil, ein wurzeldurchzogener Pfad, hoch ragen die Fichten. Zwischen Stämmen bricht sich kaum das Licht, er mag’s, wenn’s in der Dichte des Waldes oberhalb von seinem Heimatort plötzlich auch eine Finsternis hat. Schön, sagt die Mutter. Ist schön, dass wir wieder mal. Zusammen. Wie lang ist’s her? Es pfeift zwischen dem Geäst, der Vater erlaubt sich einen Spaß. Er hat sein Geschäft verrichtet und pfeift, pfeift ihr nach, seiner Frau, dem Karl seiner Mutter, als wär er noch ein jung Verliebter. Die Jugend ist ihm aber aus dem Gesicht gewichen, denkt der Karl, viel schwerer als sonst tut er sich im Anstieg, kann mir nichts vormachen. Der Alkohol hat viel an Lebenslust zersetzt. Und die Familie schweigt.

      Es liegt eine sonderbare Ruhe zwischen Moosen und Farnen, am Huflattich sammelt sich geperltes Wasser, es dampft, kräftig die Schritte in die Stille hinein. Wanderer der Verschwiegenheit. Jetzt singt die Schwester, sie geht als Letzte hintendrein, mit dem Bruder ein Lied, das hilft, wenn keiner wirklich was redet. Singt mit dem Karl, wie es immer war, so wird’s versucht jedenfalls, wie es immer war, aber wehe, es bricht die Zeile ab, die Stille würd alle erschlagen. Also singen sie weiter. Irgendwann zerreißt es uns die Herzen, da kann dann auch kein Singen. Der Karl sucht nach den Begriffen, die ihm guttäten, es verläuft sich die Harmonie, bald erwischt er eine falsche Tonlage, und er weiß doch, da unten, im Dorf, da sammelt sich schon die Meute.

      Ich geh schnell zum Bach, sagt der Karl und stoppt den Schritt. Schaut ihr schon mal vor. Die Mutter blickt ihn tief an. Sie ahnt, dass der Sohn nicht auf sie gehört hat, hat er doch noch nie in solchen Dingen, hat stets nur gemacht, was er für das Richtige. Sie würd’s jetzt gern wissen wollen, aber die Mutter ist die Mutter, sagt drum nur, ich bestell schon mal die Brettljausen. – Tu das, Mutter. So steigt er in den Graben runter, zum Bach. Was willst denn, Karl? ruft die Schwester etwas besorgt in seinem Rücken. Lasst’s den Sturschädel, murrt der Vater, der Most läuft schon nicht davon.

      Der Karl bald für sich. Dort, wo er als Kind mit dem Bruder Krieg gespielt hat. Er braucht eine Kühle, will den Kopf ins Wasser, weil es ihn sonst verbrennt. Eine Aufgebrachtheit in ihm, die Szenen vom Gemeindeamt hat er noch vor Augen. Wie er in der Reihe steht. Der Tür immer näher kommt. Wie er unter der Aufschrift überm Eingang durch, in der Gemeindestube schauen alle. Wie er seinen Namen, vor der Kommission. Ihr kennt’s mich doch. – Name und Anschrift. – Muss das? – Das muss. – Bleimfeldner Karl, Nummer 188. Und der Nagl setzt einen Haken in der Liste der Wahlberechtigten und der Gemeindesekretär Krumm schiebt ihm das Kuvert rüber. Und er ergreift ’s mit der Zitterhand, denkt noch, alle vor mir sind nicht in die Zelle gegangen, alle haben sich offen vor der Kommission gezeigt, haben das Kreuz im größeren Kreis vor aller Augen gemacht, wenn ich jetzt als die einzige Ausnahm in diesem Ort zurück hinter den Vorhang. Er spürt, wie alle Blicke auf ihn gerichtet sind, ihn durchleuchten, hier bleibt nichts geheim, und wer heute sich sonderbar benimmt, ist der Erste, der von der Liste der Wahlberechtigten auf die Liste der Verdächtigen wandert, das wird Konsequenzen haben. Das alles trägt er noch mit sich, am Familiennachmittagsausflug den Wald rauf zum Most. Und so gefährlich stumm ist’s um ihn jetzt.

      Der Karl steckt den Kopf ins Nass, samt dem Hemdkragen, eisig der Käferbach. Es friert ihn abrupt, wie lang hält er den Kopf? Hat Schand über die Familie gebracht! Und in der Wahlzelle hinter dem Vorhang, da hat er sich angemacht. Es hat getropft. So sehr ist’s geronnen, das war eine Lacke, die über den ganzen Gemeindeboden. Der Trottl hat auf Hitler gebrunzt! So hat’s eine Stimme hernach gerufen, er ist wie wild vorbei an allen, hat nur das Kuvert schnell geschlossen, in die Urne, hinter ihm die Spur seiner Angst. Sie hat ihn noch rausverfolgt, was brunzt der sich an? – He, ruft der Gemeindesekretär. Bleimfeldner. Und ein anderer, du schiffst uns da nicht in die Stuben. Der besudelt den Führer. Einige setzen an, ihn zu halten, er reißt sich los, geht schneller, wendet sich nicht um, folgt ihm wer? Da läuft er, durch den Friedhof, vorbei an Gräbern, steil rauf, über Schotter, oben durchs Seitentor raus, haut sich hinter die Friedhofsmauer, wartet, Minuten. Eine Stunde.

      Es rauscht ihm wieder alles vorbei. Nun will er auftauchen, als ihn eine Hand wild nach unten drückt. Kopf an den Grund, Stirn auf Stein, Wasser fließt am zugekniffenen Aug, die Gurgel krampft, er kämpft, hievt sich dagegen, volles Gewicht von hinten auf ihm. Schon geht ihm die Luft aus, der Käferbach braust unnachgiebig, Schmelzwasser der letzten Tage, klirrend. Reißt’s auf, die Aug. Wehr dich, Karl! Stemmt sich ab, die eine Hand befreit. Er drückt sich hoch, ist mit einem Mal der Stärkere. Der Angreifer fällt rücklings, der Karl fährt herum, schlägt um sich. Drischt. Drischt. Hör auf, Karl. Lacht da wer. Karl. Lacht weiter. Bruder. Nur Spaß. Da erkennt er die Stimm, die Bruderstimm, dummer blöder Streich des Hubertbruders. Liegt am Bachufer, Kiesel in den Schuhen, an den Handoberflächen, ebenso nass wie der Karl, grinst. Was ist mit dir? Depp, fährt ihn der Ältere an, den Kleinen. Arsch! So klein ist er nimmer, seit er’s letzte Mal daheim, denkt der Karl, wischt sich das Gesicht, die Kälte hat ihm die Lippen blau gemacht. Hörst, Bubi.

      So nennt er ihn, den Hubertbruder, den Bubi. Muss das sein? Der noch immer in einem Lachkrampf, fünfzehnjähriger Rotzlöffel. In die Höh geschossen, verschmitzt das Gesicht, die Wange aufgerissen, zerschunden vom hinterhältigen Angriff. Krieg dich ein, Bruder. Ist so, wie wir’s hatten. Wie wir’s immer, wenn wir da. Ist doch unsere Stell. Sie liegen beide nun Seit an Seit auf Kieselsteinen. Aufatmen. Gerangel eines ungleichen Brüderpaares, letzter Versuch vielleicht, sich nicht zu verlieren. Tolpatschige Liebestat, der Kopf unter Wasser?

      Da haben sie Staudämme gebaut. Schwemmholz gesammelt. Voreinander ihren Mut erprobt. Da hat der Ältere dem Jüngeren das Schnitzen mit dem scharfen Messer beigebracht. Das Zigarettenrauchen, das Rollen des gefüllten Zigarettenpapiers nur mit einer Hand in der Hosentasche. Den Tabak haben sie aus der elterlichen Trafik, die Mutter hat’s nicht mitbekommen. Hat geschimpft, die Mutter, dass da immer was weg. Wird wohl der Oizing gewesen sein, oder der Platzer Hausknecht, so hat’s der Bubi hinterfotzig erlogen, ohne die Engelsmiene zu verziehen. Weil der Oizing doch immer nur wegen einer Zigaretten kommt, dabei aber in seiner Taschen allerhand mehr verschwind’t. Der Bubi hat schon immer die Tatsächlichkeit sich verdrehen können, wie’s ihm gepasst hat, und der Karl hat das lange als kindliche Torheit abgetan. Hat ihn gedeckt, den Kleinen, denkt er, beide nun eine Zigarette im Mund (zu lange gedeckt?). Der Bubi bläst den Zigarettenrauch heraus, durch die Nase. Immer muss er’s anders tun als der Bruder! Der Karl fällt in Gedanken weiter in die Kindheit zurück. Sieht sie beide nackt in den Käferbach hüpfen. Kreischend. Fische haben sie gefangen. Einen haben sie überm Feuer gebraten. Als würd’s ein Sommer ohne Ende sein. Da waren sie einander kurz sehr nahe. Da hat der Jüngere dem Älteren sogar seine Sünden gestanden. Hat aufgeschaut, der Bubi zum Karl, der doch ein Klosterschüler. Der Bubi selbst nur in der Volksschul gewesen. Kein Mensch nicht fürs Akademische, der Bubi. Auch keine Schrift hat er, die man entziffern könnt, ihm fehlen oft die richtigen Wort, da lässt er den großen Bruder vorsprechen, wenn’s ums Eingemachte geht. Aber unter Leut, da hat der Bubi das größere Maul, da schießt’s ihm raus, da beleidigt er, bringt einen Witz nach dem andern, dass sich alle zerkugeln, und verzieht das Gesicht zu schrägen Grimassen, als wär er der Schustervater. Der Bubi theatert rum wie sein Vater. Der Karl daneben in Ernsthaftigkeit, bedacht auf jeden Satz.

      Am Käferbach ist er meist gesessen und hat gelesen. Bücher studiert. Vokabel sich ins Hirn getrommelt. Was ist das? – Latein. – Ist doch scheiß. Und der Karl hat dem Bubi von einem nie gewesenen Goldenen Zeitalter erzählt. Und der Bubi hat dem Karl von einem Albtraum erzählt, in dem alle nur kriechen konnten. Und der Karl hat dem Bubi von der Tugendlehre erzählt. Und der Bubi hat gemeint, Tugend zahlt sich nicht aus. Der Bubi ist dann auf die Knie und sie haben Beichtstuhl gespielt. Der Karl hat die Absolution erteilt. Und der Bubi hat sich das Schlimmste ausgedacht, im Spiel war er Verbrecher. Dieb. Mörder. Manchmal war’s so echt, was der Bubi dem Karl aufgetischt hat, in der brüderlichen Vertrautheit, da wusst der Karl nimmer, ist es das Erfundene vom Bubi, das ihm nun das Herz rührt, oder die Vorahnung eines vermurksten Lebens, das eintreten könnt.

      Was


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