Die Gegenstimme. Thomas Arzt

Die Gegenstimme - Thomas Arzt


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könnt, wenn man sie damit erwischt. Nicht wegen der Mutter oder dem Altersunterschied zwischen ihr und dem Führer, sondern weil die Zeit, wie der Oskar das genannt hat, noch nicht reif war.

      Damals haben sie immer nur dann über die Taten des Führers reden können, wenn keiner sonst dabei war. Wenn man ausschließen hat können, dass ein Spitzel im Raum. Weil das sonst den Gang ins Gefängnis hätt bedeuten können. Die Cilli hat das alles deswegen nur umso reizvoller gefunden und hat sich gern recht versteckt getroffen, mit den jungen Radikalautonomen im Bezirk. Was treibst dich denn wieder rum, junges Fräulein? Aber der Vater hat genau geahnt, was sie da treibt, insgeheim war er sogar stolz, dass sie schon die Seite gewechselt hat. Und nicht ungern hat er sie gesehen, so denkt es sich die Cilli, als sie dann begonnen hat, sich mit dem Oskar aus dem Kloster zu zeigen, rein in einer Geistesverbundenheit freilich. Mademoiselle geht spazieren, mit wem? – Der Oskar ist ein ganz ein Feiner. Und gebildet ist der auch. Und keine Sorge, Mutter, der will mal Priester werden.

      Das hatte alles sein Gutes, dass der Oskar ja ein Klosterschüler und dadurch einen Ruf gehabt hat, da war man dann fern von allzu viel Gerüchten. Freilich, die kamen schon auch auf. Vor allem, da ja die Cilli nie gegeizt hat mit dem, was sie zu zeigen hat, das ist nun mal ihre Natur. Und die braucht man nicht verbergen, im Gegenteil, der giftige Modernismus hat uns ja geradezu entfremdet, von unserer Abstammung, dem Boden, aus dem wir (natürlicherweise!) entsprungen. So und noch weiter redet die neue Jugend insgesamt: Der Cilli ihr Naturdekolleté ist reiner Ausdruck ihrer patriotischen Heimatverbundenheit also. Ein freches und freies Mädel ist sie.

      Ach, Cilli, was wird mal werden, wenn wir alt und die Haare grau, fragt dann sentimental die Klara. Und sieht sich dann am Herd und mit Kindern und einem anständigen Garten, in dem sie die Nachbarsgschroppn bewirtet. Nicht so die Cilli. Die stramme Marketenderin vom Wahltag sieht sich vielleicht in einem Kampfflugzeug über den Alpen, ihrem Kriegshelden die Hand haltend (oder lenkt sie bereits selbst das Kampfgerät?). Nach der Landung werden sie in München oder Hamburg oder Berlin empfangen. Der Oskar redet ihr das ein. Wir werden weggehen, Cilli. Und dann wird noch was viel Größeres eintreten.

      Der Oskar war einer der Ersten, der auch im Kloster die neue Zeit verbreitet hat. Musst nicht glauben, dass die Jugend sich im Katholischen einsperren lassen will, Cilli, wir begehren auf. Wir wissen, wo es hingehen wird, und die überkommene, schwächliche Doktrin, die uns der Abt und seine Schergen hier nahelegen, in die Hirne zu pressen, ist nicht mehr zeitgemäß. Der Zeit gemäß, so der Cilli ihr Oskar, der bereits in seinem Maturajahrgang die Revolte von innen heraus angegangen ist, der Zeit gemäß sei der moderne, freie und deutsche Mann, der aufrechten Geistes sich bewusst ist, dass die Welt nur durch ihn besser werden wird. Was für eine Ansprache, dabei hätte sie gern nur mit ihm eine Weile auf der Bank gesessen und ihn vielleicht geküsst. Er aber in einer Überzeugung, erzählt, wie sie demnächst aufmarschieren werden und Flagge bekennen. Haltung zeigen. Da wird dann die Studentenschaft im Stiftshof das alte, beschämende Denkmal, das man dem lachhaft winzigen Dollfuß gemacht hat, abreißen. Und die Matura werden wir boykottieren. Keiner wird sie bestehen. Aus einem Anstand heraus. Da hat sie dann gar nicht mehr anders können, die Küsse waren von einer unerhörten Direktheit, ja schickt sich das, junge Dame?

      Die Cilli hat ihre Geheimnisse. Und auch wenn sie jetzt lächelnd im Marsch die Ortsstraße heranschreitet, es schlummert auch das Bittere und Unversöhnliche drin. Sie weiß um ihre Waffen. Sie weiß um den nahenden Krieg. Erahnt sie, mit welcher Ungeheuerlichkeit gegen jene vorgegangen werden wird, die hier nicht mitmarschieren? Es ist ein mörderisches Schreiten der Kern Cilli, sie wird sich irgendwann mal fragen müssen, wer hat mich gelehrt, so im Takt zu gehen? Oder glaubt sie daran, an die neue Bewegung, die eine Freiheit für einen jeden und eine jede verspricht? Die der Frau einen anderen Rang? Ist die Größe, die nun in aller Munde, eine Verlockung für das junge Mädchen, das ansonst wohl nichts weiter bliebe als die Einfache vom Land, in Unbedeutsamkeit. Die neue Politik gibt neuen Sinn. Und der Cilli ihrem Vater ein Amt und der Tochter ein Ansehen.

      Das merkt sie jetzt besonders, als die Kapelle vor der Gemeinde hält, freudig empfangen wird, und als alle nun mit den Gesichtern der großen Erwartung aus dem Amt treten und den Vater der Cilli umringen, die Hände schütteln, tun sie es aus vorsorglicher Beflissenheit, nur keine Zweifel aufkommen zu lassen, oder hat es sie so erfasst wie die Cilli? In ihren Augen ist es klar, heute wird für die Veränderung gestimmt. Die eine unabwendbare ist. Es ist die Natur einer Veränderung. Überrollt und von der Geschichte aussortiert, wer jetzt nicht mitmarschiert. Der Vater sagt ein paar Worte, es gibt Applaus, dann wird wieder aufgespielt. Die gesamte Gefolgschaft rund um den Bürgermeister begibt sich zum Wirten, da ist der Braten schon fast auf den Tellern. Die Tochter wird brav am Tisch des Vaters sitzen, ihre beiden Brüder daneben.

      Es dampft in der Wirtsstube, es legen die Leut ihre Mäntel ab, man war sich nicht sicher, ob Regen kommt. Hättet’s vertraut, sagt der Förster, die Sonn scheint immer, wenn der Führer es braucht, es ist warm geworden. Die Cilli schaut sich um, vom Oskar keine Spur, der muss heut in seinem eigenen Ort Parade stehen, schad. Die Klara winkt rüber, die Cilli ärgert sich. Halt deine patscherte Hand unten, Kind, ist jetzt keine Zeit fürs Naive! Die Cilli hat’s den Filmschauspielerinnen abgeschaut, im Kino: Es gibt die Frauen, die sich etwas Schmeichelndes umlegen, den Hauch der Zartheit, die immer kurz vor der Ohnmacht stehen, das ekelt die Cilli zunehmend an. Diesen Schmeichlerinnen wird die Härte das Gesicht zerstören! Dagegen steht die resolute Stolze, die sich ein klares Vokabular zulegt, und so sagt die Cilli, wir werden noch lang an diesen Tag zurückdenken, Vater, spätestens, wenn uns am Schlachtfeld der unbedingte Wille abverlangt wird. Der Vater, mit dem Schweinsbraten schon im Mund, wendet sich her, die Tochter sehr korrekt und ohne noch den Teller berührt zu haben, was sagst? Und da weiß die Cilli, auch der Vater ist nicht der neuen Zeit gewachsen. Was redest da, Kind, die Mutter verschluckt sich am Krautsalat. Der ältere Bruder kämpft mit einer Flaxen vom Schwein, der jüngere aber stockt, schaut rüber, Bruder und Schwester im Geiste vereint, weiß sie, dass er demnächst fallen wird? Ein jeder Toter ein nötiges Opfer, so wird sie’s dann am Brudergrab gesagt haben. Und die kleinbürgerliche Tochter wächst über den kleinbürgerlichen Wirtshaustisch hinaus, sie trägt unter ihrer Marketenderinnenbluse das Bild des Führers auf der nackten Brust.

      Lasst’s mich durch, sagt da plötzlich wer, in die dunstige Schweinsbratengemütlichkeit, der Nagl ist’s. Hörst, was bist nicht am Amt? – Hermann, und der Nagl schaut der Cilli ihren Vater an, solltest besser kommen. – Was ist? Und der Vater schiebt ein zu großes Stück Fleisch ungekaut den Rachen runter. Kann’s nicht warten? – Hat einen Vorfall geben. Da bedeckt er seine Stimme, der Nagl, geht näher ran, an den Vater, aber die Cilli hat schon viel an heimlichem Gerede rausgehört, setzt sich aufrecht, mit leichter Neigung, was für ein Vorfall? Des Vaters Gesicht verfällt (so ist es immer mit ihm, dass er nie die Größe bewahrt in dieser aufwühlenden Zeit, auch wenn die Mutter mit ihm ein ernstes Wort, er hat einfach nicht die nötige Beherrschung: Wer führen will, muss zuallererst die eigene Unruhe zähmen!) Der Bleimfeldner Bub, schießt’s dem zerfallenen Vatergesicht aus dem Mund, samt Schwein und Saft und Kraut. Na wart. – Was ist, fragt (wer sonst) die Mutter in der Rolle der immer Fragenden, Hermann, was ist? Was wird schon sein, Mutter, wenn der Vater nun der Bürgermeister, dann wird da nimmer so im Plauderton, es wird schon Wichtiges sein, und die Cilli kann sich’s denken, der Karl, den sie doch in der Früh noch am Weg in den Ort rauf, da hat er ja schon so. So irgendwie unangenehm angespannt, sowieso immer ein Unangenehmer, sagt auch der Oskar, der mit ihm im Stift. Hat drum auch gesagt, wenn wer was Dummes heut, dann der Karl. Ein moralischer Besserwisser. Uninteressantes Kanonenfutter, so nennt’s der Oskar, und das sagt er nicht nur so, das weiß die Cilli. Sie hat schon den schwächlichen Bleimfeldner Karl vor sich.

      Wo ist er hin? fragt der Vater. Und der Nagl sagt nur, aus dem Amt ist er raus und runter zur Familie. Der kriegt heut noch was zu hören.

      4

      Geht der Bleimfeldner Karl, es ist nach zwei am Nachmittag, und er geht jetzt den Waldweg hinauf, Richtung Bauern,


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