Das Haus des Vaters. Helle Stangerup
und trat zwei Schritt vor, die Füße nach außen gestellt und die Stimme gedämpft. »Es gibt nichts, was so kleinlich, zickig und zum Kotzen moralisch ist wie die Banken. Sie überholen das Kirchenministerium mit Siebenmeilenstiefeln. Die Innere Mission auf dem Zielfoto. Ein Mord? Zur Not. Jede Familie kann schließlich mal Pech haben. Aber ein möglicher Mörder als Verhandlungspartner?«
»Das mit der Brauerei war schließlich deine schwachsinnige Idee.« Ulrik bekam einen hochroten Kopf.
»Die Lebensversicherungen haben wir immerhin«, erwiderte Alex beruhigend.
»Dies hier ist aber ein Mord. Der muß aufgeklärt werden«, protestierte Ulrik schon etwas leiser.
»Bist du sicher?« fragte Alex.
»Pt hat ihn erstochen, wegen des Testaments. Vater hatte genug von ihr.«
Tatjana streckte einen Finger in die Luft.
»Das mit Green, der kommen sollte, habe ja ich gewußt«, sagte sie. »Ich glaube nicht, daß Pt eine Ahnung hatte. Ich habe nur zufällig diesen Zettel auf dem Nachttisch gesehen, bevor ihn Vater verschwinden ließ. Mir kann es egal sein. Ich werde sowieso auf der Strecke bleiben. Pflichtteilanspruch, soweit reicht mein Jura, wie es mit den Unfähigen nun mal passiert.«
»Wir würden dich nie übervorteilen«, sagte Lisa entrüstet. Die Betonung lag auf dem »Nie«.
»Wer hat, dem wird gegeben ... und umgekehrt.« Tatjana zuckte mit den Schultern.
»Was steht denn im Testament? Im bestehenden? Und was hätte in dem neuen gestanden?« fragte Alex.
Ulriks Stimme klang hilflos. »Wie sollen wir das vertuschen? Das läßt sich nicht machen. Das ... allerdings, dieser Kredit ...«
Er stockte. Nanna schaute auf die Bettdecke, unter der das Drama der Nacht verborgen lag. Pts glättende Handbewegungen hinterließen gewissermaßen keine Spur, als sei die Nacht wie Staub unter den Teppich gekehrt.
Für die Aufklärung von Morden gab es drei Kategorien, erinnerte sich Nanna aus ihrer Studienzeit. Ein Repetitor hatte sie damals aufgezählt. Morde, die aufgeklärt wurden. Morde, die nicht aufgeklärt wurden. Morde, die nicht als Mord klassifiziert wurden, weil es auch Selbstmord, Unfall oder natürlicher Tod sein konnte. Diese Kategorie sei nicht zu beziffern. Nanna hatte nie recht geglaubt, daß die dritte Kategorie wirklich existierte.
»Aber es ist und bleibt Mord!« sagte Ulrik ratlos.
Nanna beugte sich über die Kommode und betrachtete Pts Porzellan mit kleinen gemalten Blumensträußen und vergoldeten Rändern. Die Silberlöffel waren sternförmig hingelegt. Nanna zählte acht Löffel. In einem Perlmuttrahmen befand sich die Fotografie eines Mädchens in Weiß mit langem Haar. Das Bild schien zu Beginn des Jahrhunderts gemacht worden zu sein. Es war von fünf Bernsteinherzen umkränzt. Und eines in der Mitte. Ein zierliches Arrangement, das Pt offenbar viel bedeutete. Im alten Ostpreußen wurde an der Küste einer der größten Bernsteinfunde gemacht, und was da auf der glatten Fläche der Kommode stand, war Pts Heimat. Vielleicht barg das Innere der Kommode noch mehr.
»Es ist kurz vor neun Uhr«, sagte Tatjana aufgeregt. »Um zehn kommt Rechtsanwalt Green. Was machen wir dann?« »Ich habe an das mit dem Kredit nicht gedacht«, sagte Ulrik erneut. »Aber ...«
»Das mit dem Totenschein organisiere ich«, sagte Alex. »Ich rufe Dr. Hvidt an. Sollte es Schwierigkeiten geben, ist es Schluß mit den Einladungen.«
»Er wird ohnehin Anzeige erstatten«, sagte Lisa verzagt.
Camilla kreischte: »Und die Schlagzeilen beim letzten Mal, als Claus starb. Widerlich, was die alles geschrieben haben.« »Kleinkram gegen das, was hier fällig ist. Jetzt werden wir richtig berühmt«, sagte Tatjana gleichmütig.
»O mein Gott«, hörte man Lisa. »Man kann doch eine Namensnennung verbieten?«
Alex ergriff wieder das Wort.
»Dr. Hvidt zeigt gar nichts an. Dafür hat er seine Gründe. Die mir bekannt sind. Es ist jetzt drei Minuten vor neun. Wir haben noch eine Stunde und drei Minuten, bis Rechtsanwalt Green eintrifft. Dr. Hvidt? Oder Polizei? Entscheidet euch! Ein Vermögen steht auf dem Spiel. Aber es muß gleich sein.«
»Du könntest im Fernsehen auftreten«, meinte Tatjana.
»Für wen entscheidest du dich?«
»Dr. Hvidt.«
»Und du, Ulrik?«
»Recht beeindruckend, wie vorbereitet ihr seid. Wenn ihr beiden im Rudel jagt, dann ...« Ulrik holte tief Luft. »Ihr seid immer so eine ... Brut gewesen.«
»Entscheide dich«, erwiderte Alex, unbeeindruckt von einer Unverschämtheit, die er allzuoft gehört hatte.
»Der Doktor«, sagte Ulrik, und Lisa und Camilla nickten still. Pt stand immer noch in der Tür. Ihr Alter wurde plötzlich an ihren Händen sichtbar, die wie Fallobst aussahen.
»Pt?« fragte Alex kalt.
Sie antwortete nicht.
»Pt?« wiederholte Alex. Es war etwas Vielsagendes, fast Warnendes in seinen Augen.
Keine Antwort, aber ein kurzer Dialog mit Blicken.
»Pt?« sagte Alex zum drittenmal.
»Dr. Hvidt«, antwortete sie und senkte den Blick.
Alex griff zum Telefon, da sagte Lisa schnell: »Du hast Nanna vergessen.«
»Nanna plaudert nicht. Frag Ulrik. Vater hat sie immer anständig behandelt.«
»Gerade deshalb. Und sie ist nicht erbberechtigt«, erwiderte Lisa scharf.
»Das verstößt aber doch gegen das Gesetz«, sagte Nanna automatisch.
Nach dreißig Jahren im Zimmer nebenan ging sie das Ganze nichts an. Die Dinge waren stets unabhängig von ihr passiert. Sie befand sich auf neutralem Gebiet und wollte nicht hinter alle die Umzäunungen des Familiengeheges gezogen werden. »Vergiß die juristischen Belanglosigkeiten, du hast es ja sowieso nie ...«
Alex verstummte, bevor ihm herausrutschte, daß sie nie das Examen geschafft hatte. Es war belanglos, wenn sie nur nicht so verwirrt gewesen wäre. Alex legte den Arm um sie, und wieder dieses wärmende Gefühl.
»Können wir es nicht so machen, daß du dich total raushältst? Du brauchst nichts zu sagen. Mußt überhaupt nichts tun. Vergiß es einfach, okay?«
Alle standen um sie herum, starrten sie an. Lisa und Camilla. Als Kind hatte sie von ihnen Geschenke bekommen und als Mutter starb ihren Trost, wie von besorgten Tanten. Und Alex. Er war ein bißchen der Bruder gewesen, den sie nie gehabt hatte. Tatjana, die Verliererin, jetzt konnte sie vielleicht ein besseres Leben beginnen. Und Ulrik, der ihr nie etwas angetan oder etwas Böses zu ihr gesagt hatte.
Ihr wurde flau, als trüge sie die Verantwortung für ihre Träume. Außerdem wußte sie nicht, wie ernst das mit dem Kredit war. Sie wußte im Grunde gar nichts. War gar nicht richtig hier und würde alles darum geben, einfach nach Hause zu fahren, sich die Zähne zu putzen und ein Bad zu nehmen. Sie hätten nicht fragen sollen. Aber es war wohl nicht so schlimm, Stiefvater zu einem Lehrbeispiel zu machen; ein Mord, der nicht entdeckt wurde, nun, nachdem ohnehin alles geschehen war.
Alex sagte leise: »Gut so, Nanna.«
Während Alex telefonierte, nahm Nanna eines der Bernsteinherzen auf der Kommode. In Bernstein befand sich gewöhnlich eine Fliege. Oder eine kleine Ameise, die im Harz ertrunken war. Sie hatte das als Kind einmal gesehen. Seltsam, gerade jetzt an so etwas zu denken.
In einer Ecke an der Decke war ein weißer, viereckiger Gegenstand befestigt, so groß wie eine Zündholzschachtel. Diese Dinger waren überall in Hvidager, Detektoren, die jede Nacht eingeschaltet wurden und bei der geringsten Bewegung im Zimmer einen Alarm auslösten. Sie hatte bis jetzt nie daran gedacht, daß damit vielleicht eher Stiefvater vor Eindringlingen geschützt werden sollte als die Einrichtung.
Hinter ihr legte