Das Haus des Vaters. Helle Stangerup

Das Haus des Vaters - Helle Stangerup


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Mordwaffe. Damit würde die Polizei ihre Fragen beginnen. Nanna konnte das Geschehene nicht einfach vergessen. Ein Skalpell, aber wer hatte Verbindung zu Ärzten? Bei einem Verhör hätte sie erklären müssen, daß zwar ihr Großvater Arzt gewesen und der Bruder ihrer Mutter es noch war, sie diese beiden aber nie gesehen, nie gesprochen, nie gekannt hatte, weil beiden daran gelegen war, sie abzuschaffen. Merkwürdig, daß ihr das gerade jetzt einfiel.

      Links von Nanna hatte Ulrik wieder nach dem Büchlein auf Stiefvaters Nachttisch gegriffen. Er blätterte darin.

      »Alles paletti«, sagte Tatjana munter. »Green wird abgefangen. Hvidt ist unterwegs. Aber was machen wir mit der Katze?«

      »Den Hals umdrehen«, schlug Camilla sofort vor.

      »Die Katze?« Ulrik schleuderte das Buch weg. Das Buch der Laster landete auf dem Boden unter Stiefvaters Bett. »Wo ist das verfluchte Raubtier?«

      Er schaute sich um und brüllte: »Die Katze???«

      »Was ist denn, Ulrik«, sagte Lisa erschrocken.

      »Draußen«, sagte Tatjana.

      Ulrik warf einen Blick in den Garten. Dann nahm er das Kaviargestell. Packte es mit beiden Händen und spuckte hinein. Und noch einmal. Und noch einmal. Seine Wangen glühten. Dann trat er zur Verandatür und warf die Schale und den Kaviar und das Silbergestellt nach der auf dem frisch gemähten Rasen sitzenden Katze.

      Aber das Gestellt bohrte sich schon nach wenigen Metern mit einem Silberbein in die Erde. Die Schalen zerbrachen nicht. Die blaue blieb mit der Unterseite nach oben zwischen Kaviarportionen liegen. Ein Aufblitzen der Morgensonne am Glasrand war das einzige, was gelang. Die Katze blieb sitzen und glotzte.

      Ulrik stand da, mit hochrotem Kopf, die Arme hingen kraftlos herunter. Nicht einmal Tatjana lachte. Pt schaute zur Katze, und Nanna meinte Sanftheit in ihren Augen zu erkennen. Lisa begann unverzüglich, mit einem Taschentuch Kaviarkugeln von Ulriks Hemd und Schlips zu entfernen. Aber sie hielt jäh inne.

      Man hörte ein Geräusch. Das schwache Summen eines Motors. Ein dunkelblauer Mercedes glitt langsam auf Hvidager zu, als würde er sich anschleichen. An den Eseln vorbei. Die Hunde spitzten die Ohren, ohne zu bellen oder mit dem Schwanz zu wedeln. Die Katze stand zwischen zwei Kaviarhäufchen und starrte. Lisa knüllte das Taschentuch zusammen. Es war viertel nach neun. Rechtsanwalt Green kam trotzdem und zu früh.

      Flemming Green war schon einige Jahre als Anwalt für Nannas Stiefvater tätig gewesen, wohlgemerkt nur in den Angelegenheiten, die Stiefvater jemandem wie ihm anvertrauen zu können glaubte. Für die schmutzige Wäsche waren andere zuständig. Nur einmal hatte Nanna Greens Bild im Wirtschaftsteil der Morgenzeitung gesehen und gelegentlich von ihm reden hören, ihn aber nie persönlich kennengelernt.

      Rechtsanwalt Green wurde zum absoluten Star auf seinem Gebiet, nachdem zwei seiner Konkurrenten fast gleichzeitig Harakiri begangen hatten. Der eine, indem er den beträchtlichen Nachlaß eines landwirtschaftlichen Betriebes bei dem Versuch zugrunde gerichtet hatte, alles aufzuwerten, vom Maschinenpark über die Holzmenge der Waldgebiete bis hin zu den Pilo-Porträts im Saal. Der andere wegen einer peinlichen Affäre in einem Athener Nachtklub.

      Während das zweite Ereignis in den Klatschspalten breitgetreten wurde, fanden die Einzelheiten der Nachlaßgeschichte über das Telefon und später in schriftlicher Form ihren Weg in die Direktionsräume. Alles war dokumentiert, auch daß Flemming Green der Mann war, der für den unmündigen Erben das Eigentum rettete.

      Green hatte stets ein untadeliges Geschäftsleben geführt und dessen Normen erfüllt. Keine Scheidungen, keine Adresse am Whisky-Gürtel, sondern Wohnung in einem anonymen Haus in einer anonymen Straße in Gentofte. Nie bei Medienspektakeln in Erscheinung getreten, die zu einer wie auch immer gearteten Erwähnung in der Boulevardpresse hätten führen können.

      Als Sohn eines beim obersten Gericht zugelassenen Anwalts nahm er schon von Kindesbeinen an die Paragraphen in sich auf, ebenso selbstverständlich wie den Zitronenpudding, den es in seinem geräumigen Elternhaus in der Stockholmsgade am Sonntag zum Nachtisch gab. Mit diesem verinnerlichten Wissen absolvierte er problemlos das Studium und erhielt einen Posten, der seit dem Tag seiner Geburt in der Kanzlei des Vaters auf ihn gewartet hatte. Er war jetzt zweiundvierzig Jahre alt. Die beiden Söhne studierten Jura. In Den Blå Bog waren alle Aufsichtsratsposten unter »Diverse« aufgeführt. Von seiner Frau redete niemand.

      Es wurde Pt überlassen, schon beim Öffnen der Haustür von Hvidager Herzversagen als wahrscheinliche Todesursache zu erklären. Die Verandatür war verschlossen, ebenso die Tür von der Halle ins Schlafzimmer. Nanna wartete mit den anderen in dem nach Süden gelegenen Zimmer mit dem runden Erker, wo der bunte Bezug der Sitzmöbel seit Jahren im Krieg lag mit den geblümten Gardinen, den grünen Kronleuchtern, dem falschen Rokoko, den Farbklecksen von Opalinschreinen, dem gesamten Bestand an Staffordshire-Figuren und den vielfarbigen Figuralteppichen.

      Das Zimmer war Pts ganzer Stolz. Hier wurde nach dem Kaviar gewöhnlich der Kaffee genommen. Hier hatte Lisa jedesmal wie ein Gebet ihre raffinierten, immer wieder neuen und immer ignorierten Gemeinheiten über Pts hinreißende Begabung zu einem versiebenfachten Farbspektrum zum Besten gegeben. Lisas persönliche Auffassung von einem Gastgeschenk.

      Zum erstenmal schwieg sie. Nur Camilla zeigte mit einem Blick, daß ihr das Fehlen der Replik auffiel.

      Sie erhoben sich und wirkten etwas benommen. Nanna fühlte sich wie seinerzeit im Klassenzimmer. Sie schaute hinauf zum Kronleuchter und dachte an die grüne Farbe der Examenstische. Pt strahlte Selbstbeherrschung aus, als sie den Anwalt hereinführte. Die Absätze klapperten im gewohnten Taxameterrhythmus.

      Nanna war erstaunt über das Aussehen des Anwalts. Green war größer, als sie erwartet hatte. Und sah bedeutend besser aus. Kein Vergleich mit dem Schwarzweißfoto aus der Zeitung. Die Augen hinter der randlosen Brille blitzten unter den schwarzen Wimpern tiefblau. Die Augenbrauen buschig und schwarz wie sein Haar, das nach hinten gekämmt und weder zu kurz noch zu lang war.

      Er trug einen leichten Sommeranzug. Ein helles Sakko, aber nicht von der Stange. Nur eine Narbe am Mundwinkel deutete auf etwas Persönliches, auf gelebtes Leben. Die Aktentasche hatte er an der Tür zum Erkerzimmer abgestellt.

      »Mein herzliches Beileid«, sagte er ohne gespielte Trauer. Nannas Hand hielt er ein wenig länger.

      »Ihr Stiefvater hat Sie oft erwähnt. Stets mit Freude.«

      Dann wandte er sich um und blieb auf einem Isfahan stehen.

      »Ich wußte, daß der Herr Direktor nicht mehr lange leben würde. Aber trotzdem ... so plötzlich ... sehr plötzlich.«

      »Ja«, sagte Alex. »Unerwartet. Auch für uns.«

      »Ihr Vater hat ja um eine Zusammenkunft gebeten, doch jetzt ...« Er machte eine kurze Pause. »Dann bleibt mir nur, die Wünsche des Verstorbenen bezüglich seines Begräbnisses bekanntzugeben. Es ist keine christliche Beisetzung vorgesehen.«

      »Das wußten wir«, sagte Ulrik und blickte auf seine Schuhspitzen.

      »Aber auf einem Friedhof. Und in geweihter Erde. Auch was den Sarg betrifft, bestehen gewisse Wünsche.«

      »Mein Vater wollte verbrannt werden«, sagte Ulrik ernst.

      »Darüber ist mir nichts bekannt.«

      »Vater war krematoriumversichert.«

      Alex’ Mund öffnete sich ein bißchen. Tatjanas Gesicht begann zu zucken. Plötzlich drehte sie sich zu dem Porzellan auf dem Fensterbrett, als ringe sie um Beherrschung.

      »Er war was?« fragte der Anwalt.

      »Eine Versicherung, die die Kosten der Verbrennung übernimmt. Das Begräbnis und natürlich auch die Urne sind inbegriffen«, antwortete Ulrik geschäftsmäßig.

      »Davon habe ich nie gehört.« Greens Stimme klang sachlich. Sein klarer, blauer Blick ruhte auf Ulrik und drückte nichts aus. Er wartete. Ulrik antwortete nicht. Alex räusperte sich.

      »Vielleicht zeigen Sie uns das Testament?«

      »Ich


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