Die Jungfrauen Sammelband. Grace Goodwin
ließ mich schauen. Als mein Blick wieder zu seinem wanderte, sprach er: “Ich will was jeder Mann begehrt. Rache.” Er blickte über seine Schulter und krümmte den Finger. “Komm her. Sofort.”
Augenblicke später trat die Frau durch die Tür. Ihre Augen suchten hektisch die Gegend ab, dann verweilten sie auf mir. Sie waren weit aufgerissen vor Furcht. Sie war groß, größer als der Durchschnitt auf der Erde. Während Cassie Neron nur bis zur Schulter reichen würde, brauchte diese Frau nicht einmal den Kopf in den Nacken legen, um in Nerons schwarze Augen zu blicken. Sie war statuesk, ihre langen Arme und Beine waren elegant aber kräftig. Ihre Haltung hatte eine Vehemenz wie ich sie selten bei einer Frau gesehen hatte. Ihr langes, dunkelrotes Haar war zu einem schlichten Zopf gebunden, der zwischen ihre Schulterblätter fiel. Selbst von hier aus konnte ich das Temperament in ihren weichen braunen Augen sehen. Auf der Nase hatte sie Sommersprossen, die einen Kontrast zu ihrer sonst so blassen Haut bildeten.
Ihr Äußeres war großzügig, nicht zierlich. Ihre Figur war üppig, mit großen Brüsten und runden Hüften unter ihrem dunkelblauen Kleid. Ihr Haar hatte sich teilweise aus dem Zopf gelöst. Es verriet, wie grob er sie behandelt hatte und Blut quoll aus einem Schnitt an ihrer geschwollenen Unterlippe. Abgesehen davon hatte sie keine sichtbaren Verletzungen. Ich konnte nur hoffen, dass er sie nicht vergewaltigt hatte oder ihr innere Verletzungen zugefügt hatte.
Ihre Hände waren vor ihr mit einem Lederband zusammengebunden. Statt sie nach unten hängenzulassen, hielt sie sie gegen ihr Abdomen gepresst und rieb sie aneinander, als ob sie ihr Schmerzen bereiteten. Ich sah kein Blut an ihrem Kleid oder an ihren Händen, keine Anzeichen von Schmerzen in ihrem Gesichtsausdruck. Nur Angst, schließlich hatte Neron es schon immer genossen, Frauen psychologisch zu foltern, ehe er ihren Körper zerstörte. Wie es aussah, war sie sich dieser Tatsache bereits bewusst.
Als er neben sich auf den Boden deutete, hob sie trotzig das Kinn und stellte sich dorthin, wo er sie haben wollte. Sie machte keine Anstalten und sie weinte auch nicht; sie war sehr tapfer. Mit einer eher unsanften Hand zwischen ihren Schulterblättern schubste er sie vorwärts und zwang sie zu der Reling vor der Hütte, an der sonst die Pferde festgebunden wurden. Die Frau stolperte und er packte sie grob am Arm und zog sie wieder hoch. Als sie den Kopf hob, blickte sie direkt zu mir und ich sah keinerlei Schrecken in ihren Augen. Ich sah Wut.
“Lass sie gehen,” sprach ich erneut.
Neron zwang die Frau in die Knie, seine Ionenpistole stocherte gegen ihre Schläfe und wie ein Hund zu seinen Füßen band er sie an der Reling fest. Dort blieb er stehen, dann blickte er zu mir und verzog den Mund zu einem kranken Lächeln. Er war in seinem Element. Er liebte es, diese Frau zu verhöhnen, mich zu verhöhnen.
“Leg deine Panzerung ab, Mad, und lass uns das auf die alte Art regeln.”
“Du willst ohne Waffen gegen mich kämpfen?” Am liebsten wollte ich die kurze Distanz zu ihm schließen und ihn ausschalten. Ich würde diese Option überleben, nicht aber die Frau. Zorn brodelte in mir auf und ich knirschte mit den Zähnen, um ja keine Dummheit zu sagen. Neron hatte mich schon seit Jahren nicht mehr Mad gerufen, seit wir damals im opulenten Haus seines Vaters herumgetobt waren und Mädchen gejagt und Ärger gestiftet hatten. Wenn es damals Streit gab, würden wir ihn mit nackten Fäusten austragen und später, als wir älter und besser ausgebildet waren, im Nahkampf.
“Ja. Zieh deine Panzerung aus und komm. Kämpfe mit mir. Sei kein Feigling.”
“Nur ein Feigling benutzt eine Frau als Schutzschild,” konterte ich.
Neron war zwei Jahreszeiten älter als ich und schon immer einen Tick größer, schneller, stärker. Er war ein brutaler und niederträchtiger Kämpfer, der es bei jeder Gelegenheit auf meine Augen oder meine Eier abgesehen hatte. Der Kampf hatte immer blutig und mit einem Besuch auf der Krankenstation geendet, aber wir beide konnten uns so von unseren Aggressionen befreien. Ich hatte die Ungewissheit geliebt, denn ich würde nie wissen, ob ich siegreich sein oder quälende Schmerzen erleiden und zum Arzt eilen würde, um eine Schnittwunde oder einen Knochenbruch versorgen zu lassen.
Ich war ein Junge von acht Sommern gewesen, als mir klar geworden war, dass Neron es genoss, mir wehzutun. Aber sein Vater hatte zusammen mit meinem im Rat der Sieben gedient, der höchsten Regierungsinstitution des Planeten und von uns beiden wurde erwartet, dass wir gewissen … Standards gerecht wurden. Söhne der Sieben durften keine Schwäche zeigen. Wir heulten nicht rum. Wir kämpften.
Jahrelang.
Als ich nun dastand und mir überlegte, wie ich die Frau retten konnte, kam es mir plötzlich vor, als ob Kämpfen das einzige war, was ich je getan hatte. Ich hatte es satt.
“Sie hat ihren Zweck erfüllt. Sie hat dich hierher gebracht.” Neron lachte, das Geräusch grenzte an Hysterie und ich wusste, dass mein Freund von damals komplett verschwunden war. An seiner Stelle stand ein Verrückter. “Wenn du sie tötest, indem du dich mir verweigerst, wirst du sie auf dem Gewissen haben. Dein fehlgeleitetes Ehrgefühl war schon immer deine Schwäche.”
“Dann zeig deine Stärke, Neron. Hör auf dich hinter ihr zu verstecken.”
“Zieh deine Panzerung aus,” wiederholte er.
“Warum?”
“Weil ich dich mit bloßen Händen töten will.”
Als ich zögerte, vergriff er sich am Haar der Frau und zerrte ihren Kopf zurück. Feste.
“Lass mich in Ruhe, du durchgeknallter Mistkerl!” brüllte sie und verzog das Gesicht, er aber lachte nur und zog so feste, bis sie aufschrie, diesmal vor Schmerz.
“Komm schon, Maddox. Zieh ihn aus. Lass uns nochmal wie Kinder kämpfen.”
Ich wägte meine Optionen ab. Ich war schnell, er allerdings auch. Ich könnte zwar an ihn herankommen, aber die Frau würde er bis dahin getötet haben. Dazu brauchte er keine Ionenpistole, denn er konnte ihr buchstäblich im Handumdrehen das Genick brechen. Sollte ich mich zurückziehen oder meinen Tarnanzug wieder betätigen, würde er sie erst leiden lassen und sie dann langsam umbringen, damit ich ihre Schreie hörte.
“Wenn ja, woher weiß ich dann, dass du mich nicht einfach erschießen wirst und sie so oder so umbringst?” fragte ich.
Seine dunklen Augen kniffen sich zusammen und das Funkeln in seinem Blick war alles andere als zurechnungsfähig. “Ich schwöre es bei Maddies Seele.”
Ich sah rot. Rot, genau wie Maddies Blut, als es aus ihrem Körper sickerte. Roter Zorn ließ mich aufknurren, aber sein Blick blieb ungerührt. Er hatte sie fanatisch geliebt, war wie besessen von ihr gewesen. “Warum hast du es getan, Neron? Du hast Maddie geliebt. Warum hast du sie umgebracht?”
Er hob seine Hand und riss sich das Hemd von der Brust, sodass die Knöpfe der Erdentracht vor ihm auf dem Boden landeten. Er deutete auf seine rechte Hand, genau unter dem Knochen dort und mein Herz setzte einen Schlag aus. Nein. Das konnte nicht wahr sein. Ich weigerte mich zu glauben, was er da andeutete.
Neron nickte bereits. “Ja, Maddox. Sie gehörte mir. Meine markierte Partnerin. Wir gehörten zusammen und trotzdem hat dein Vater sich geweigert, unsere Verbindung anzuerkennen. Sie hat mir alles versprochen und dann hat sie mich verraten.”
Ich dachte an Cassie, an meinen instinktiven Drang sie zu besitzen, an meinen Hunger nach ihrem Geschmack, ihrem Duft und ihren Schreien, wenn sie kreuz und quer auf meinem Schwanz kam und verstand schließlich, was meinen Kindheitsfreund in den Wahnsinn getrieben hatte. “Das wusste ich nicht, Neron.”
Er hisste. “Niemand wusste es. Dein Vater hat sie einen Eid schwören lassen, damit sie mich abserviert. Wären wir je an die Öffentlichkeit gegangen, als offizielle Partner, hätte dein Vater seinen Sitz im Rat verloren.”
Alles was Neron da sagte, ergab Sinn. Die herrschende Elite hätte es nicht gern gesehen zwei so mächtige Familien zusammenzuführen. Neron und Maddies Beziehung hätte zu politischen Unruhen geführt und folglich hatte mein Vater das getan, was er immer tat; er hatte sich darum gekümmert. Er hatte die heilige Verbindung zwischen markierten Partnern ignoriert