Betrayal - Stirb für mich. Fenja Wächter
und sie würden ihn befolgen. Sie hatten keine andere Wahl und es lag an Reed, wie diese Sache hier ausgehen würde.
Unwillkürlich glitt sein Blick zu dem Elektroschocker. So sehr er Schmerzen fürchtete, noch viel weniger wollte er Zeuge davon werden, wie Lance litt.
Zärtlich stupste er Lance mit der Nasenspitze im Nacken an. Er hielt seinen Liebhaber nicht länger zurück. Die Geste war zu einer Umarmung geworden, mit der er ihn stumm für das um Verzeihung bat, was er getan hatte. Und was er noch tun würde.
»Lass uns bitte einfach mitgehen, in Ordnung?«, flüsterte er.
Es war ihr Todesurteil
Kapitel 3
Das wechselnde Eintauchen in die Lichtkegel der Straßenlaternen reizte Joshuas überstrapazierte Sinne. Angespannt saß er auf Rafaels Beifahrersitz, hielt seine Augen krampfhaft geschlossen und stützte seine Stirn schwer auf seiner Hand ab. Stumm hoffte er, dass die Übelkeit blieb, wo sie sich eingenistet hatte und konzentrierte sich auf das Brummen des Motors. Denn so nett Rafael auch war, er würde sicherlich nicht glücklich darüber sein, wenn Joshua sich in dessen Auto übergab.
»Geht es noch?«
Einen Spaltbreit öffnete Joshua seine Augen, schielte zum Fahrersitz rüber, aber Rafaels Aufmerksamkeit galt der Straße. »Mhm.«
»Sind bald da.«
Rafaels Feststellung führte Joshua unweigerlich zu seinem eigentlichen Problem zurück: Sammys seltsamer Anruf.
New York City hatte sein Leben grundlegend verändert. Für Joshua, der nur so weit wie irgendwie möglich von ihrer Heimat Idaho hatte entkommen wollen, definitiv zum Besseren. Sammy hingegen war seiner Angewohnheit, sich mit fragwürdigen Freunden zu umgeben, treu geblieben und öfters, als es Joshua lieb war, steckte sein älterer Bruder deshalb in Schwierigkeiten.
Der Wagen hielt. »Soll ich mitkommen?«
Abwesend schüttelte Joshua den Kopf, stieß die Tür auf. »Wird schon nichts sein.« Zumindest waren keine Einsatzfahrzeuge vor Ort. Weder Kollegen, noch Krankenwagen. Was natürlich alles oder auch nichts bedeuten mochte.
»Und du kommst die Treppen alleine hoch?«
Unwillkürlich schnaubte Joshua belustigt. Rafael war schon ein feiner Kerl, der Joshua akzeptierte, wie er war. Wenn nur alle Menschen so wären …
Er stützte sich am Autodach ab, beugte sich noch mal hinunter und schaute Rafael durch die offene Tür an. »Bestimmt. Ich sehe nur eben nach und bin sofort wieder da, in Ordnung?«
Rafael drehte den Schlüssel und der Motor erstarb.
»Ich beeile mich!« Mit den Worten schlug er die Autotür zu, joggte los in Richtung Eingang. Doch die Übelkeit hatte sich noch nicht geschlagen gegeben und auch die Karussellfahrt in seinem Kopf nahm neue Fahrt auf. Entsprechend verlangsamte er seine Schritte.
Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Kein Obdachloser, keine Dealer und keine Mitglieder der ansässigen Gang. Nicht einmal deren Musik hallte durch die Nacht. Bis auf die Geräusche von der Hauptstraße war es gespenstisch still. Nur im Gebäude herrschte wie üblich Leben. Hier und dort brannten Lichter in den Fenstern oder das kaltblaue Leuchten, das auf einen Fernseher schließen ließ. Sammys Wohnung war dunkel. Vielleicht war er auch überhaupt nicht da. Eine Möglichkeit, die er zuvor nicht einmal in Erwägung gezogen hatte.
Trotzdem klingelte er, trat zurück. Licht flammte auf und das Surren der Tür erklang. Hastig sprang er vor, öffnete sie und eilte die Stufen hinauf, hielt sich dabei wohlweislich am Geländer fest. Seine Körpertemperatur wechselte gefühlt sekündlich von heiß auf kalt und wieder zurück. Und bei jedem Schritt drängte sich bittere Galle in seine Kehle. Ein Glück, dass sein Bruder da und somit eine Toilette in absehbarer Reichweite war.
Sammy … Auf keinen von Joshuas Rückrufen hatte er reagiert, aber auf das Klingeln an der Tür?
Ein dumpfer Schmerz breitete sich hinter seiner Stirn aus. Irgendetwas stimmte nicht, aber seine Gedanken waren viel zu träge, um es zu fassen zu bekommen. Eine dicke, fette Pampe, in der sich die Antwort verheddert hatte.
Joshua erreichte Sammys Etage, schwankte vorwärts und musste sich erst einmal an der Wand abstützen. Ihm war speiübel. Er atmete einige Male tief durch. Licht schimmerte in knappen zehn Metern aus Sammys Wohnung auf den Gang. Doch sein Bruder wartete nicht wie sonst an der Tür.
Mit einem Schlag bestanden seine Eingeweide aus Eis. Ein Schock, der in Verbindung mit dem Alkohol jegliche Vernunft im Keim erstickte.
»Sammy!«
Joshua rannte los und ein Teil von ihm wusste, wie falsch das war. Zwei Schritte davor fing ihn sein Verstand wieder ein. Er bremste ab, griff an seiner Hüfte ins Leere, weil da natürlich keine Dienstwaffe war. An die Wand gelehnt, tastete er sich vor, spähte um die Ecke.
Die übliche Unordnung, bestehend aus Bergen an Klamotten und Pizzaschachteln, erwartete ihn. Kein Sammy. Er holte das Handy aus seiner Tasche, wählte noch einmal Sammys Nummer. Aus dem Inneren ertönte die schreckliche Melodie, die sein Bruder Musik nannte. Gleichzeitig hallten von der Treppe Schritte hinauf. Ein sehniger Kerl schlenderte in Joshuas Richtung.
»Du willst zu Samuel? Der ist schon seit ein paar Tagen fort.«
Niemand nannte seinen Bruder Samuel. Zumindest niemand, der ihm nahestand. Eine Erkenntnis, die Joshua auch nicht mehr weiterhalf, denn aus der Wohnung traten zwei weitere Kerle. Er war umstellt.
Joshua verfluchte den Alkohol, aber allen voran sich selbst. Normalerweise trank er nie so viel. Nie. Und er hätte Rafaels Angebot annehmen und nicht alleine gehen sollen!
»Wo ist mein Bruder?«, stieß er hervor.
Ein Kerl mit grobschlächtigen Gesichtszügen und riesigen Geheimratsecken packte seinen linken Oberarm.
»Beschäftigt«, erwiderte der Sehnige. »Aber dem geht’s gut. Ich schwör’s!«
»Mhm.« Reagieren oder nicht? »Und was wollt ihr jetzt von mir?«
»Dass du uns friedlich begleitest«, feixte er.
Die waren zu dritt und Joshua betrunken. Unten stand immer noch Rafael und wartete. »Okay.«
Der Sehnige stutzte sichtlich, zuckte dann mit den Schultern. »Wenn’s so einfach geht, warum nicht?«
Ein Ruck an Joshuas Arm und er ließ sich bereitwillig führen. Der dritte Kerl zog die Tür von Sammys Wohnung zu und schloss zu ihnen auf. Mit Joshua in ihrer Mitte folgten sie dem Sehnigen zur Treppe. Joshuas Gedanken kreisten, kamen immer wieder zu der Frage zurück, worauf sich Sammy dieses Mal eingelassen hatte.
Endlich erreichten sie den Ausgang und sein Blick glitt unweigerlich zu Rafaels Auto, hinter dem nun jedoch eine schwarze Limousine stand. Er stockte im Schritt und eine grauenvolle Vorahnung erwachte in ihm.
Das heruntergelassene Fenster. Natürlich hatte Rafael eine geraucht, während er gewartet hatte. Doch kein Rauch stieg auf und Rafael reagierte auch nicht, obwohl sie immer näher kamen. Regungslos hing er auf dem Sitz.
Mit einer fließenden Drehung seines Arms befreite Joshua sich aus dem Griff und packte seinerseits zu, trat dem Kerl in die Kniekehle und schickte ihn zu Boden. Ein Hieb traf Joshua in die Seite. Er keuchte auf, taumelte. Den nächsten Schlag parierte er mit dem Unterarm, wollte zurückweichen. Die Umgebung drehte sich viel zu schnell um ihn herum. Jemand fasste seinen Knöchel, riss daran und der Stoß eines Kameraden brachte Joshua endgültig zu Fall.
Kurz presste Joshua seine Augenlider zusammen, versuchte noch einmal, Herr seiner Sinne zu werden, und stemmte sich wieder hoch. Er war zu langsam. Zu viele Hände zwangen ihn nieder.
»Betäubt ihn!«
Joshua bäumte sich in einem letzten verzweifelten Versuch auf. Ein Lumpen landete auf seinem Mund und Nase. Erbarmungslos riss der Kerl Joshuas Kopf zurück, hielt ihn überstreckt gefangen. Sein Widerstand war zum Scheitern verurteilt.