Insomnia : Savannas Geheimnis. Barbara Voors

Insomnia : Savannas Geheimnis - Barbara Voors


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ihr entdeckt, in dem sie angeregt erzählt, daß sie dabei ist, ihren dritten Roman Insomnia abzuschließen. Er wurde nie gefunden.«

      »Und diese Amerikanerin, Ruth Bell?«

      »Rede nicht von ihr!«

      Ruth Bell. Eine entsetzliche sogenannte Wissenschaftlerin, die vor einigen Jahren eine Biografie über Elizabeth herausgebracht hat, voll von Verleumdung, Verachtung und Verhöhnung. Ich will nicht glauben, daß Menschen sich im Grab umdrehen können, bitte, erspart mir das, aber Elizabeth könnte es nach dieser Biografie glatt tun. Die Bell hingegen lacht sich ins Fäustchen auf dem Weg zu Privatjets und überfüllten Hörsälen, wo sie von »der mißhandelten Elizabeth und ihrem tragischen Leben, betrachtet von innen und außen, und dem entsetzlichen Abgrund zwischen diesen beiden Seiten« berichtet. Was Elizabeth mit ihren Büchern verdiente, ist somit »verzinst« und hat in Bells Händen eine ungeahnte Rendite.

      »Ich meine nur, du kannst gewisse Probleme mit der Bell bekommen, wenn du all ihren Resultaten widersprichst.«

      »Resultate?« schnaube ich.

      »Savanna, werde erwachsen«, sagt Ljunggren irritiert, was mich zusammenfahren läßt. »Nun, wie willst du dieses Projekt nennen?«

      »›Sporadische Notizen, weit entfernt von jeder Dissertation‹? Aber man weiß nie«, füge ich als Versuch hinzu, die Sache positiv erscheinen zu lassen.

      »Man weiß nie!«

      »Nein. Man kann es auch nennen: ›Fahndung in einer entschwundenen Wirklichkeit‹. Oder ganz einfach eine Art Privatforschung, das ist mein eigener Terminus. Das heißt, ich weiß, daß es mich einer fertigen Dissertation nicht direkt näherbringt, aber ich kann einfach nicht anders.«

      »Privatforschung? Du klingst enthusiastisch.«

      »In meinen langen Nächten habe ich viel Zeit zum Planen, verstehen Sie, Herr Professor?«

      Er steht auf, wirft ein benutztes Erfrischungstuch in Richtung Papierkorb und trifft mitten hinein. Sagt dann mit harter Stimme, das zielstrebige Paar ist plötzlich nur noch Erinnerung: »Ein Jahr, Savanna.«

      »Wie bitte?«

      »Du hast höchstens ein Jahr zur Verfügung, um das vorzulegen, was dieses Institut von dir erwartet. Gern noch etwas mehr. Ich will nicht grandios sagen, ohne einen Beleg dafür zu haben. Was du tust, mit wem du sprichst und mit welchen unwissenschaftlichen Fragen du dich zur gleichen Zeit beschäftigst, ist nicht meine Angelegenheit. Wenn du nur rechtzeitig fertig wirst.«

      Ungekämmtes Haar, Geruch nach Pfeifentabak, Erfrischungstücher vor jedem Gespräch, all das verdeckt das Selbstverständliche – daß alles, was er sagt, eindeutig ist. Dafür sollte ich dankbar sein, statt dessen möchte ich nur weinen. Ich räuspere mich.

      »Nur ein Jahr?«

      »Es hätte überhaupt keins sein sollen.«

      »Ich verstehe. Müßte ich sonst noch etwas wissen?«

      »Nein. Doch, daß ich verdammt allein stehe mit dem Glauben, daß du dich auch nur in der Nähe des Grandiosen befindest.«

      »Und die Bedingungen für dieses Jahr?«

      »Eine Anzahl solcher Artikel, wie du sie anfangs publiziert hast, nein, noch bessere. Und daß du deinen Verpflichtungen im Institut nachkommst.«

      »Ich bin hier.«

      »Mehr als nur körperliche Anwesenheit. Außerdem will ich, daß du weit mehr Platz einnimmst, als du es in den letzten Jahren getan hast. Und du ...«

      »Ja, Professor ... Sten?« versuche ich bereitwillig.

      »Ich habe es schon mal gesagt. Ich will, daß eine Frau meinen Stuhl übernimmt.«

      »Aha, aber schau dabei nicht mich an. Viel zuviel Licht, verstehst du? Man wird viel zu sehr gesehen, als daß es zu mir passen könnte.«

      »Ich begreife dich nicht.«

      »Dann sind wir schon zwei.«

      »Da ist noch etwas, was ich ansprechen muß. Mach dich nicht kleiner, als du bist, das ertrage ich nicht.«

      »Ich überlebe nur.«

      »Du tust nicht einmal das.«

      Er hat recht. Es verwundert mich, daß ich so zu durchschauen bin. Er steht auf und begleitet mich zur Tür. Gleich wird er heimlich rauchen, wir anderen spüren das sofort durch das Ventilationssystem – ich erspare ihm die Erkenntnis.

      »Du brauchst Hilfe.«

      »Wer nicht?«

      »Ich meine mehr als das.«

      »Keine Therapeuten, Ljunggren«, sage ich warnend.

      »Nein, ich kenne deine Einstellung dazu. Aber ich weiß jemand anderen. Die Studentenpfarrerin der Universität, Maria Soros. Ruf sie an«, sagt er und zieht einen Zettel aus der Innentasche.

      Ich halte meine Hand abwehrend vor mich, wie um zu sagen, jetzt reicht es, glaube ja nicht, daß ... Aber die Hand hängt so trostlos in der Luft, schwebt, bis Ljunggren sie zwischen seine Hände nimmt und sie vorsichtig zurück an meine Seite legt. Mitfühlende Blicke will ich nicht haben, er schaut taktvoll aus dem Fenster. Ich verlasse entschlossen sein Zimmer.

      Im Korridor draußen steht ein aufmerksamer Doktorand, ich sehe, wie er die E-Mails der Kollegen am Drucker durchgeht. Er setzt eine verblüffte Miene auf: »Hm, wo habe ich nur meine kleine Mitteilung gelassen?« Er sieht mich an, hebt die Augenbrauen, heute braucht er weder zu fragen noch zu spekulieren. Ich nicke ihm zu, ausreichend beklommen.

      »Schlecht«, sage ich. »Es sieht schlecht aus, Johannes.«

      Ich kann nicht anders. Er versucht mich mitleidig anzusehen. Er tut sein Bestes, das muß ich ihm lassen. Dann legt er den Kopf schräg, die Zungenspitze lugt zwischen den Zähnen hervor. »Ja? Erzähle!«

      Aber so weit hat mich die Schlaflosigkeit noch nicht getrieben. Daß ich ein Mensch geworden wäre, der sich anderen anvertraut, damit diese ihr Wissen bei völlig unerwarteten Gelegenheiten zur Erpressung nutzen können. Oh, erspart mir das.

      »Kümmere dich um deinen Kram«, murmele ich, drehe mich um und schlage die Tür zu meinem Kabuff zu.

      Ich bin zu klein und unbedeutend, um großmütig zu sein, bin niemand, der sich darüber hinwegsetzen kann, daß jemand die Post anderer Leute liest. Wie sehr ich es mir doch manchmal wünschte, mehr Einfühlungsvermögen zu haben und meine Gefängniswärter wie ein zweiter Nelson Mandela mit Würde begrüßen zu können. Ich bin kein außergewöhnlicher Mensch, besitze kein tiefes Mit- oder Ehrgefühl. Den Schmerz anderer aufnehmen: so etwas kann ich nicht. Aber sechs Jahre lang habe ich ein Kind so innig geliebt, daß ich mich zuweilen dem Gefühl der Zusammengehörigkeit – zu dem Kinder den Schlüssel zu besitzen scheinen – nahe glaubte. Diesem Gefühl, daß es zwischen Menschen eigentlich keinen Abstand gibt, und sollte es doch der Fall sein, dann nur für äußerst kurze Zeit. Doch ich bin niemals bis dahin vorgedrungen. Ohne Martin wurde ich wieder unsichtbar.

      Irgendwie liegt Ljunggrens Enttäuschung schwerer in der Luft als sein Tabakrauch, ich habe sie seit langem gespürt. Und es ist noch schlimmer: Ich meine, Martins Enttäuschung zu spüren.

      6. Kapitel

      Mein Bruder läßt einen ständigen Strom heftiger Sehnsucht zurück. Die rührt von den Frauen her, die ihn einmal geliebt haben. Ich habe gesagt, ich weiß nicht, wo sie herkommen. Doch weiß ich, daß ihr Vorrat unendlich zu sein scheint. Bei den zuweilen turbulenten Anlässen, wenn sie ihre wenigen Habseligkeiten (Zahnbürste, Buch, drei Garnituren Unterwäsche) aus seinen Zimmern räumen, habe ich geahnt, daß sie von einer Sehnsucht getrieben werden, die ausdauernder zu sein scheint als irgend etwas anderes hier auf der Welt. Sie suchen nach dem »großen Glück«, ich bin gezwungen, die Sache so zynisch auszudrücken, weil ich nicht glaube, ein solches gefunden zu haben. Das habe ich ihren Blicken entnommen, wenn ich sie zuweilen auf dem Friedhof


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