Insomnia : Savannas Geheimnis. Barbara Voors

Insomnia : Savannas Geheimnis - Barbara Voors


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wie ich weiterreden soll. Schwarze Leere im Gehirn, ich starre vor mich hin. Lassen Sie mich hier nicht hängen, möchte ich sagen, überlassen Sie mich nicht einer weiteren Nacht in meiner Festung. Das Klebeband an Martins Tür hält so schlecht, und das ist meine Schuld. Nicht einmal Sam kann ich um Hilfe bitten, ich habe verlangt, daß er die Tür abschließt, und er ist genauso stolz wie ich. Keiner von uns wird sie öffnen. Sie verstehen, hier herrscht Durchzug, möchte ich sagen, und deshalb hält das Klebeband nicht. Jeden Augenblick kann jemand dort hineingehen. Das läßt mir keine Ruhe, ich muß denken können, daß er dort geborgen schläft. Wie haben wir noch diesen Choral gesungen, als wir klein waren? Krebs Gott, geborgen will sein. Ich sang von dem geborgenen Krebs und sah ihn vor mir: rot und schön schwamm er durch die Meere, und ich wußte, wenn ich nur an ihn glaubte, an ihn und Gott, wenn ich mich an diese beiden hielt, konnte nichts Böses geschehen. Das war es, was ich Martin gelehrt habe, worin ich lebte. Das ist es, worin wir alle leben. Darüber wollte ich mit Ihrem Vater reden. Über den geborgenen Krebs und das Echo meiner Schritte, über bedrohliche Worte, die ich nicht verstehe, und meine plötzliche Sehnsucht nach Berührung. Also wollen Sie ihn bitte an den Apparat holen? – Doch nichts kann ich sagen.

      »Er ist vor einem Jahr gestorben. Ich bin hier, weil ich das Haus verkaufen will. Jack Fawlkner«, fährt er unsicher fort, »das sagte ich vielleicht schon. Ja, fast ein Jahr ist es jetzt her.«

      Er unterbricht sich, weiß nicht, warum er so lange zu niemandem spricht. Warum es ihm nicht gelingt, die Sache abzuschließen, den Hörer aufzulegen. Vielleicht weil es am anderen Ende der Leitung so still ist.

      »Was machen Sie?« fragt er schließlich.

      Nicht: »Was wollen Sie?« oder »War noch etwas?«.

      »Wollen Sie, daß ich rede, damit Sie es nicht tun müssen?«sagter dann.

      Ein tiefer Seufzer von mir, und er fährt fort.

      »Sind Sie in schlechter Verfassung? Sind Sie geflohen?«

      Ich bin noch immer still, jetzt vor Verwirrung.

      »Hat Ihnen jemand weh getan? Ihr Mann oder Ihr Freund? Wie mein Vater – auch ich bin Polizist.«

      Die Wortfolge erscheint mir ungewöhnlich. Wieder Schweigen.

      »Wenn Sie auflegen wollen, dann verstehe ich das. Aber ich tue es nicht vor Ihnen.«

      Nichts geschieht.

      »Wir sind noch da. Ich souffliere«, sagt er und lacht kurz.

      Das rührt mich.

      »Haben Sie vor etwas Angst?« Wenn das der Fall ist, atmen Sie tief durch.

      Es ist so lange her, daß ich tief Luft geholt habe, bis in den Bauch hinunter, ich hatte vergessen, welche Erleichterung das bringt.

      »Wollen Sie, daß wir uns treffen? Bald?«

      Wieder ein tiefer Seufzer.

      »Jetzt müssen Sie mir helfen«, sagt er schließlich.

      Ich räuspere mich, nehme einen Schluck Wasser aus Sams zurückgelassenem Glas, begreife zu spät, daß es Wodka ist. Eine plötzliche Hitze im Magen.

      »Entschuldigung«, flüstere ich. »Es ist nicht so, wie Sie glauben. Niemand schlägt mich. Ich war nur so verwundert.«

      »Doch Sie wollten meinem Vater etwas erzählen?«

      »Ja.«

      »Aber?«

      »Ich kann es nicht sagen.«

      Jetzt wartet er ab. Was soll ich sagen: Husten Sie, wenn Sie noch da sind? Ich kann nicht erzählen, welch merkwürdiges Gefühl von Geborgenheit es war, die Visitenkarte unter dem Kopfkissen zu wissen, neben der Erinnerung an seinen Vater, als dieser den Sicherheitsgurt über meinen Bauch spannte. Mehr Geborgenheit als bei irgendeinem Krebs. Wie oft ich mir die Begegnung in diesen Nächten doch ausgemalt hatte, und jetzt war keine mehr möglich. Nein, Martin, kein Regen, nur stille Wehmut. Was mir zusetzt, ist das verlorene Bindeglied.

      »Ich warte auf die Morgenzeitung«, sage ich statt dessen. »Bei mir kommt sie gewöhnlich zwischen zwei und vier Uhr früh, ich ziehe sie zu mir herein. Ich habe alle Zeit der Welt, verstehen Sie. Ich pflege auf dem Dielenteppich zu sitzen und zu warten.«

      Er kommentiert meine seltsame Äußerung nicht. Das macht mich froh. Doch kommt er direkt zur Sache.

      »Ich vermute, daß Sie Hilfe brauchen?«

      Er kann mich nicht dazu bringen, ja zu sagen, so weit gehe ich nicht. Aber ich bestreite es auch nicht.

      »Die meisten, die Vater angerufen haben, brauchten Hilfe. Ich habe es gemacht wie er, habe geredet, wenn sie es selbst nicht schafften. Nehmen Sie es mir nicht übel.«

      »Das tue ich nicht«, sage ich, noch immer wie benommen. »Sie haben recht. Ich habe gewisse ... Schwierigkeiten.«

      »Wollen Sie, daß wir uns treffen? Irgendwo etwas trinken, vielleicht?«

      Noch ein Räuspern, daß es so schwer sein kann, eine funktionierende Tonlage zu finden.

      »Ja, sicher.«

      Wir legen Zeit und Ort fest. Ehe wir auflegen, sagt er: »Schlafen Sie gut. Sie klingen, als könnten Sie es brauchen.«

      »Ach ja?«

      »Mein Vater hat auch schlecht geschlafen, redete immer mürrisch davon, wann die Zeitung zu kommen pflegte. Ich erkenne den Tonfall wieder. Diese beginnende Irritation.«

      Ich setze eine Miene auf, die er nicht sehen kann. Wer ist er eigentlich, daß ...

      »Ich schlafe, wie ich will und wo ich will«, fertige ich ihn ab.

      »Und das kann zweifellos erfrischend sein«, antwortet er freundlich und legt auf.

      Mit einem sonderbaren Lächeln unternehme ich einen Spaziergang durch die Wohnung, sie ist groß genug dafür. An der Doppeltür angelangt, sehe ich nach: Sam hat nicht abgeschlossen, genau wie er gesagt hat. Ich gehe in seinen Flügel hinein und bewege mich im Zickzack zwischen Hängematten, Kuschelecken und einem Überfluß an Genuß. Zu Sam möchte ich sagen: »Ich werde morgen rausgehen. Gehe morgen raus. Morgen werde ich rausgehen.«

      Welche Variante er auch bevorzugt, die Botschaft ist immer dieselbe: »Ich bewege mich, Sam. Schau, ich bin nicht unsichtbar.«

      9. Kapitel

      Am Morgen wache ich in einer von Sams Hängematten auf. Quer über das Zimmer ausgestreckt hängt Sam, seine Beine ragen unter der Bettdecke vor, die Füße sind aus diesem Winkel ungewöhnlich groß. Ich weiß, was Martin gesagt hätte: »Es riecht hier nach altem Fuß, Mama.«

      Er hat recht. Sam wurde dann immer ins Badezimmer geführt, wo Martin beharrlich die großen Füße schrubbte und schiefgewachsene Nägel inspizierte, die nach langer Zeit in zu engen Schnürstiefeln resigniert aufgegeben hatten. Die Frauen sehen diese Füße nie, sie sind viel zu beschäftigt mit den Aktivitäten von Sams restlichem Körper. Zu mir sagte Martin manchmal: »Mama, aus deinem Mund riecht es eklig.«

      Das war nach Abenden mit allzu viel Rotwein. Er hatte auch darin recht, erklärte aber stets mit Nachdruck: »Das macht doch nichts.« Er übersäte mich danach mit einer Menge Küßchen. »Ohne Zunge«, sagte er bestimmt – er hatte Sams Frauen gesehen, und das hatte ihn abgeschreckt. »Zunge nur, wenn ich eine Katze bin.« Wir schmatzten uns ab, ohne Katzen zu sein.

      Eine Weinflasche unter meiner Hängematte, eine weitere unter Sams. Ich recke mich behaglich, der Körper ungewöhnlich geschmeidig, eine Sehnsucht, die aus dem Bauch hochsteigt. Ich schaue rasch auf die Uhr. Zwölf Uhr mittags. Zwölf Stunden Schlaf. Eine Gnade, von der ich geträumt hatte – heute gehört sie mir.

      »Du hast ein Rendezvous!« jubelt Sam durch das Zimmer.

      »Kein Rendezvous«, sage ich entschieden, »nur ein Treffen, auf dem ich um ein bißchen Hilfe bitten werde.«

      »Egal, was


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