Herbst der Amateure. Jürgen Petschull
uns bereits seit einiger Zeit«, sagte der Besucher in Uniform und drehte sich um. Lohmer hatte Bernhard Greenberg auf den ersten Blick nicht erkannt, denn der US-Army-Detektiv hatte sein sonst normal langes, gescheiteltes Haar nach GI-Art streichholzkurz schneiden lassen. Greenberg erhob sich steif. Sein Grinsen war nicht, wie sonst, breit und herzlich, sondern ungewohnt verlegen, und er bemühte sich um ein formelles Amtsdeutsch.
»Darf ich dir zwei Herren vorstellen, die mich heute morgen auch für mich überraschend in einer Angelegenheit von großer Wichtigkeit aufgesucht haben ...«
Greenberg deutete auf einen Mann mittleren Alters mit feucht nach hinten gekämmtem Haar und rundlichem, pockennarbigem Gesicht, der ihn mit halb zusammengekniffenem linken Auge kritisch betrachtete. Er sah mexikanisch aus, fand Lohmer. »Das ist Dr. Ricardo Evans von unserem Generalkonsulat in Hamburg«, sagte Greenberg. »Und das ist Mister Patrick O’Hara vom ... von der Central Intelligence Agency.« Der graugesichtige CIA-Mann lächelte müde, schlug die Beine übereinander und steckte beide Hände tief in seine Hosentaschen, was beim Sitzen einige Schwierigkeiten machte. »Die Herren interessieren sich für den Fall ihres vermißten Landsmannes, Sie wissen schon – der von dem Boot mit den Blutspuren«, sagte Kohlschmidt überflüssigerweise, während Lohmer sich halb auf eine Fensterbank setzte und seinen Kaffee schlürfte.
»Sie sind mit dem Hubschrauber da unten angereist?«
»Wir sind auf dem Herflug auch über den Fluß und über dein Haus gekommen«, sagte Greenberg, »die Herren wollten schon einmal aus der Luft die Gegend sehen, in der dieser Mister Rosen ..., dieser angebliche Mister Berrigan aus Kalifornien verschwunden ist.«
»Unsere amerikanischen Verbündeten wollen in dieser Angelegenheit mit uns zusammenarbeiten«, sagte Kohlschmidt bedeutungsvoll. »Würden Sie freundlicherweise in geraffter Form Ihre bisherigen Ermittlungsergebnisse referieren.«
Lohmer zögerte.
»Die rechtlichen Voraussetzungen und die Rahmenbedingungen sind von mir vorbesprochen und geklärt«, sagte Kohlschmidt. »Vizepräsident Herfeld vom BKA hat uns vorhin telefonisch nachdrücklich um jedwede Kooperation ersucht.«
Lohmer begann zögernd zu reden. Sein Bericht und seine Antworten auf die präzisen Fragen der Amerikaner dauerten schließlich fast eine Stunde. Er verlas die Asservatenliste, holte Bücher, Broschüren und die Tonbandkassette aus seinem Zimmer und legte sie auf den Tisch. Als er von seinem Gespräch mit der Fernsehjournalistin Ines van Holten erzählte, richtete sich der CIA-Mann kerzengerade auf und sagte: »Auf gar keinen Fall darf über diese Sache irgend etwas im Fernsehen oder in der Presse erscheinen.« Lohmer erklärte, warum Frau van Holten nicht das geringste Interesse an einer Veröffentlichung ihrer Beziehung zu Rosen ... zu diesem angeblichen Mister Berrigan habe.
»Spielen Sie uns doch bitte mal dieses ominöse Tonband vor«, sagte der CIA-Mann. Lohmer telefonierte nach Feldhusen. Der brachte einen Recorder. Die drei Amerikaner hörten erst verblüfft, dann immer angespannter zu. Als sich das Band abschaltete, waren eine Zeitlang nur die Verkehrsgeräusche durch das Fenster zu hören, das Lohmer geöffnet hatte.
»Ist der Mann auf dem Band verrückt oder betrunken?« fragte Kohlschmidt mit ungewohnter Direktheit.
»Soviel ich weiß, Sir«, sagte Mister Evans vom US-Generalkonsulat gespreizt, »soviel ich weiß, ist dieser Mann ein Genie.«
O’Hara von der CIA schob seinen Stuhl geräuschvoll mit den Kniekehlen über den Linoleumboden, erhob sich, ging zwei, drei Schritte auf Kohlschmidts Schreibtisch zu und nahm – wie sich Lohmer einprägte – mit provozierender Selbstverständlichkeit das kleine Tonband aus dem Kassettenrecorder und sagte zu ihm und zu Kohlschmidt gewandt: »Meine Herren, dieses Tonband und die anderen von Ihnen sichergestellten Gegenstände unseres vermißten Staatsbürgers sind hiermit beschlagnahmt! Der Fall wird ab sofort von uns und unseren Diensten übernommen ...« Und als er Lohmers erst verblüfften, dann wütenden Gesichtsausdruck sah, fügte er noch hinzu: »In diesem Fall sind die Sicherheitsinteressen der Vereinigten Staaten berührt ...!«
Der Mann vom US-Generalkonsulat, offenbar ein Jurist, erhob sich ebenfalls, blieb aber stehen und unterstrich seine Worte mit übertrieben großen Gesten. Er nannte ein halbes Dutzend Vereinbarungen, Bestimmungen, Paragraphen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland, erwähnte auch das Besatzungsrecht der US-Truppen. Er sagte, amerikanische Institutionen würden diesen Fall übernehmen und damit die deutsche Polizei entlasten, und zu Lohmer gewandt, es sei eben genauso, als ob US-Soldaten in Straftaten verwickelt seien, diese Fälle würden ja auch von der Military Police der US Army in der Bundesrepublik übernommen, in Süddeutschland sei das ganz alltäglich.
»Wir möchten Sie also dringend auffordern, ab sofort keinerlei eigene Ermittlungen mehr in dieser Sache anzustellen, uns jedoch in jeder Hinsicht zu unterstützen, wenn wir Sie darum bitten.« Der Mann vom Generalkonsulat setzte sich wieder, als habe er ein Plädoyer beendet.
»Selbstverständlich, Herr Doktor ... Herr Doktor Evans.«
Kohlschmidt blickte auf die Visitenkarte in seinen Händen und nickte beflissen. Lohmer merkte, wie Zorn in ihm aufstieg. Es war einer der Momente, in denen er seinen Vorgesetzten verachtete – wegen dessen kriecherischer Haltung gegenüber jeder Art von echter oder vermeintlicher Autorität. Wütend wollte er etwas Abfälliges, möglichst etwas Ehrenrühriges sagen, warf dann statt dessen den noch halbvollen Kaffeebecher zwei Meter weit in einen neben Kohlschmidts Schreibtisch stehenden Papierkorb. Ein paar braune Spritzer trafen noch Kohlschmidts Hosenbeine. Der zuckte zusammen und wurde rot, als habe er eine Ohrfeige erhalten. Lohmer verließ grußlos das Zimmer. Als er über den Flur ging, hörte er hinter sich die Stimme seines Vorgesetzten: »... unmögliche Benehmen meines Mitarbeiters ... entschuldige ich mich.«
Jemand hatte die Cuxhavener Nachrichten auf Lohmers Schreibtisch gelegt. »Oppositionsgruppen in der DDR fordern freie Wahlen«, lautete die Schlagzeile. Auf der ersten Lokalseite unten rechts stand ein Bericht mit einem Foto der Dörte III und der Zeichnung des angeblichen William J. Berrigan. Die Überschrift lautete: »Geheimnisvoller Amerikaner verschwunden – Herrenlose Jacht trieb auf der Oste«. Lohmer begann unkonzentriert zu lesen. Es klopfte. Bernhard Greenberg steckte seinen massigen Kopf und die breiten Schultern mit der Uniformjacke durch die Tür. »Kann ich trotzdem reinkommen ...?«
Lohmer reagierte nicht. Greenberg warf seine Mütze auf einen Garderobenhaken, zog einen Stuhl heran und setzte sich. Er bot Lohmer eine Chesterfield an. Der lehnte mürrisch ab. Greenberg erzählte, als wolle er sich entschuldigen: Zu seiner Überraschung seien heute morgen »die beiden Leute da drüben« mit dem Hubschrauber in Bremerhaven eingeschwebt. »Im Auftrag von Washington, haben sie gesagt. Der militärische Geheimdienst und die CIA sind äußerst beunruhigt.« Während sie hier säßen, seien bereits Hubschrauber und ein paar Dutzend Taucher von der Army in Bremerhaven in Anmarsch. Sie sollten den Fluß absuchen, nach diesem verdammten Rosenblatt ...
»Falls die jetzt schon eine Leiche suchen, ist das totaler Blödsinn«, sagte Lohmer.
»Warum?«
»Weil die jetzt unten auf dem Grund liegen würde. Eine Leiche schwemmt erst am dritten Tag wieder auf, wenn sich bestimmte Fäulnisgase gebildet haben. So lange muß man eben warten können.«
»Aha«, sagte Greenberg und rieb sich die Hände, als sei ihm kalt. »Ich wäre dir doch sehr dankbar, wenn du in dieser Sache mit mir, mit uns, zusammenarbeiten würdest. Wir brauchen natürlich einen Mann mit deiner Erfahrung und deinen Ortskenntnissen.« Lohmer schwieg.
»Mir haben die auch nicht gesagt, was es mit dem Rosenblatt eigentlich auf sich hat, fuhr Greenberg fort. Bisher jedenfalls nicht. So ist das nun mal, wenn es um Staatsgeheimnisse geht, halten sie kleine Leute wie uns so lange wie möglich raus ...«
Lohmer sagte noch immer nichts.
»Bist du sauer?«
»Stinksauer.«
»Warum?«
»Warum? Ich bin sauer auf mich und auf diesen Arschkriecher, der mein Chef ist. Ich komme mir wie ein dummer Schuljunge vor! Wie ein Idiot.«