Herbst der Amateure. Jürgen Petschull

Herbst der Amateure - Jürgen Petschull


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J. Berrigan aus Boston«. Berrigan werde in der Bundesrepublik Deutschland dringend von der Polizei gesucht.

      In Washington war es erst 14.30 Uhr, früher Nachmittag, als die Anfrage des CID Bremerhaven/West Germany eintraf. In den Parks der Hauptstadt und in den Vororten, die schon zum US-Bundesstaat Virginia gehören, hatten sich Bäume unter einem wolkenlosen Himmel prächtig gelb und braunrot gefärbt. Und die Wettermänner des beliebten Frühstücksfernsehens hatten für das bevorstehende Wochenende einen anhaltend warmen und sonnigen Indian summer vorausgesagt. Die mehr als hunderttausend Mitarbeiter der amerikanischen Regierung in den Verwaltungspalästen der Ministerien und Behörden an der Pennsylvania, der Constitution und der Independence Avenue freuten sich auf Weekend-Picknicks und Barbecues, aufs Golf- und Tennisspielen oder aufs Segeln an der nur zwei Autostunden entfernten Bay bei Baltimore. Für ein Dutzend Männer und Frauen jedoch fielen ihre Wochenendpläne ebenso ins Wasser wie für Bernie Greenberg in Bremerhaven oder wurden zumindest erheblich beeinträchtigt – weil ein deutscher Provinz-Kriminalbeamter eine Frage hatte.

      Betroffen waren Mitarbeiter einer Reihe von Regierungsinstitutionen in der amerikanischen Hauptstadt und in der näheren Umgebung: in dem gewaltigen Komplex des achtstöckigen J. Edgar Hoover Building der amerikanischen Bundespolizei FBI; im Pentagon, dem fünfeckigen dunkelverglasten Gebäude des US-Verteidigungsministeriums in Arlington, auf der anderen Seite des Potomac River; im militärischen Geheimdienst DIA (Defence Intelligence Agency), der abseits, in der hermetisch abgeschlossenen Bolling Air Force Base untergebracht ist; in der Zentrale des größten und geheimnnisvollsten Geheimdienstes der USA, der NSA (National Security Agency) auf halbem Wege zwischen Washington und Baltimore; im Sitz der berühmt-berüchtigten CIA (Central Intelligence Agency) in Langley, zwölf Meilen außerhalb Washingtons, auf halbem Weg zum Dulles International Airport; im Außenministerium an der 23. Straße in Washington; im Energieministerium an der Independence Avenue; im Old Executive Office Building, dem Gebäude der Regierungsadministration, einem gewaltigen, verschachtelten grauen Komplex aus der Jahrhundertwende an der 17. Straße; und schließlich im Weißen Haus selbst. George Bush, der amerikanische Präsident, wurde von den Nachrichten aus Niedersachsen/Bundesrepublik Deutschland allerdings bis zum Montag morgen verschont, bis er von einer Angeltour vor der Küste seines Anwesens in Kennebunkport/Maine nach Washington zurückgekommen war.

      Die erste, die an diesem frühen Freitagnachmittag in der US-Hauptstadt mit der Sache zu tun hatte, war Matilda Ronstet, eine dunkelhäutige Sachbearbeiterin an einem der vielen hundert Computer des FBI. Ihr neuer Freund Allan aus Alexandria hatte für den Abend einen Zweier-Tisch im feinen Portners Restaurant in der Altstadt von Alexandria, einem Washingtoner Vorort, reserviert. Matilda bekam die Anfrage »Berrigan« deshalb zu einem unpassenden Zeitpunkt auf den Tisch – und eine merkwürdige Antwort auf ihrem Bildschirm, als sie Namen und Daten so eingegeben hatte, wie sie ihr vom CID übermittelt worden waren. Der Computer gab den verwirrenden Befehl aus: »Bei Anfragen nach William J. Berrigan aus Boston antworten: Eine Person dieses Namens und mit diesen Daten ist nicht existent.« Und »Anfrage und Grund der Anfrage sofort an Außenministerium, Paßabteilung und an Energieministerium, Abteilung besondere Forschungsvorhaben weitergeben.«

      An einem der Terminals des Zentralen Personaldatencomputers des Pentagon bekam etwa gleichzeitig Charles Wittlock den Vorgang »Berrigan« auf den Tisch. Auch sein Computer antwortete auf die Frage nach Berrigan mit negativ – und wies ihn ebenfalls an, sofort das Außen- und das Energieministerium zu informieren und den militärischen Geheimdienst DIA. Urgent – dringend stand auf dem Bildschirm seines Computers.

      Die Nachricht »Es gibt keinen William J. Berrigan« landete am späten Abend, kurz vor zehn Uhr, auf dem Schreibtisch von Detektiv Greenberg in Bremerhaven.

      Kaum zehn Minuten später klingelte sein Telefon. Am Apparat war Samuel Persh vom militärischen Geheimdienst DIA in Fort Bolling/Virginia, von der Abteilung für die in der Bundesrepublik Deutschland stationierten amerikanischen Streitkräfte. Persh wollte zu Greenbergs Erstaunen sehr dringend wissen, was es mit diesem nicht existierenden Mister Berrigan auf sich habe?

      Greenberg erklärte, daß bei ihm eine Nachfrage der deutschen Kriminalpolizei vorliege. Danach sei der Mann spurlos verschwunden und habe irgendwelche militärische Unterlagen zurückgelassen und Material über das – Greenberg blickte auf seine Notizen und sprach langsam und deutlich – über das Lawrence Livermore National Laboratory.

      »Können Sie mir sagen, was das für ein Betrieb ist, Sir?«

      Nach einer kurzen Pause, und nachdem auf der anderen Seite des Atlantiks einige Stimmen zu hören, aber nicht zu verstehen waren, antwortete der Mann vom militärischen Geheimdienst: »Das kann ich, Sergeant Greenberg – das ist das Atomwaffenforschungslabor der USA in Kalifornien.«

      Und er befahl Greenberg in einem Ton, der durch die klare Satellitenverbindung noch dringlicher klang, er solle sich unverzüglich um weitere Details dieser Sache bemühen und sobald wie möglich zurückrufen.

      »Auf der abhörsicheren Leitung, natürlich!«

      »Selbstverständlich, Sir«, sagte Bernhard Greenberg.

      Er verkniff sich die Frage, warum dieser Aufwand und diese Eile – bei der Suche nach einem Mann, den es angeblich nicht gab.

      3

      Freitag, 29. September 1989

      Hauptkommissar Manfred Lohmer packte kurz nach 19 Uhr in der Polizeidienststelle Cuxhaven seine Aktenmappe und klemmte sich die Tüte mit den Büchern und Kassetten von der Dörte III unter den Arm, als Kriminalrat Kohlschmidt in sein Zimmer kam und fragte, was mit der »Leichensache Wachsmuth« sei, mit dem Sohn des bekannten Arztes, der sich erhängt hatte? Die habe er an einen Kollegen abgegeben, sagte Lohmer. Er habe seit gestern abend einen anderen Fall übernommen.

      »Deswegen frage ich auch, wenn Sie gestatten, Herr Kollege. Ich habe gerade Ihre Fernschreiben in alle Welt gelesen. Da Sie mir ja sonst nichts mitteilen – darf ich erfahren, ob das nicht ein etwas übertriebener Aufwand ist? Wie ich höre, gibt es bisher nichts außer ein paar Blutflecken auf einem Boot?«

      Lohmer murmelte etwas von »äußerst merkwürdigen Umständen, die auf ein Verbrechen mit internationalem Hintergrund hindeuten«. Selbstverständlich werde er morgen ausführlich berichten, wenn er mehr wisse. Er verabschiedete sich eilig.

      Auf der Heimfahrt fragte er sich, ob ihn dieser Fall auch so beschäftigen würde, wenn das menschenleere Boot nicht durch irgendeinen Zufall praktisch vor seiner Haustür gestrandet wäre? Oder durch eine Fügung? Es gab Fälle, da wollte Hauptkommissar Manfred Lohmer nicht an Zufälle glauben. Er hatte seinen BMW gerade in dem von Efeu überwachsenen Carport vor seinem Haus abgestellt, als seine Frau durch das Fenster seines Arbeitszimmers rief: »Komm schnell, da ist ein Amerikaner am Telefon, ich hab den Namen nicht verstanden!«

      Am Apparat war Greenberg.

      »Ich hab deine Anfrage nach Washington weitergegeben, Fred. Und ich habe auch schon Antwort bekommen, genauer gesagt: drei Antworten. Die vom Pentagon und vom FBI lauten: es gibt keinen William J. Berrigan. Und unser militärischer Geheimdienst rief eben extra aus Washington an, was schon mal verdammt ungewöhnlich ist und will alles über diesen nicht existierenden Mister Berrigan wissen. Ist doch irgendwie ganz logisch, nicht ...?«

      Lohmer wehrte seinen kleinen Hund ab, der auf seinen Schoß springen wollte.

      »Es scheint so, als ob Berrigan nicht der richtige Name von dem Mann auf dem Boot ist.«

      »... aber da sich die Jungs von der DIA kurz vorm Wochenende so brennend für den Fall interessieren, muß mehr dahinterstecken als eine verdammte Vermißtensache«, sagte Bernie Greenberg. »Ich glaube, Manfred, du bist da an ein ziemlich heißes Ding geraten.«

      »Du wolltest dich erkundigen, was es mit diesem Laboratorium auf sich hat, von dem diese Unterlagen auf dem Boot stammen?«

      »Allright, das kommt noch dazu: soweit ich bis jetzt gehört habe, liegt das irgendwo in Kalifornien, da werden neue Atomwaffen erfunden – das ist ein modernes Los Alamos, falls dir das was sagt.


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