Herbst der Amateure. Jürgen Petschull

Herbst der Amateure - Jürgen Petschull


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nahm den Weg durch das Moor und durch das Obstanbaugebiet im Alten Land. Die Straßen waren leer, der Asphalt glänzte feucht und war stellenweise von Laub bedeckt, so daß die Hinterräder des BMW in manchen Kurven gefährlich durchdrehten. Lohmer schaffte die neunzig Kilometer in knapp einer Stunde.

      Im Intercontinental-Hotel sagte der Portier, er könne ihn nicht in den abgetrennten Teil der Lobby lassen, in der die Talkshow stattfand. Ein paar Männer mit ausgebeulten Jacketts standen unauffällig herum, die Leibwächter des Außenministers, der für seinen Diskussionsbeitrag gerade Beifall bekam. Diesmal hatte Lohmer seinen grünen Dienstausweis nicht vergessen. Der Portier ließ ihn zögernd durch, als er sagte, er sei nach der Sendung dienstlich mit Frau van Holten verabredet.

      Er stellte sich hinter eine raumhohe Palme, die zur Dekoration gehörte, und beobachtete die Kabelschlepper und die Kameraleute, die ihre Kameras auf Stativen mit breiten Gummirändern über Bretterböden leise hin- und herfuhren und die Teilnehmer der Talkshow und die Zuhörer aus wechselnden Perspektiven aufnahmen. Eine Maskenbildnerin tupfte der Moderatorin Schweiß von der Stirn und puderte ihr Make up über, als sie gerade nicht im Bild war. Dann fuhr eine Kamera nah an sie heran. Ihr Gesicht erschien in Großaufnahme auf einem der am Boden stehenden Monitore. »Die Frage ›Explodiert die DDR?‹ liebe Zuschauer, wird noch lange das Thema Nr. 1 bleiben. Wir werden weiterhin darüber berichten. Ich danke meinen Gästen für ihre engagierten Diskussionsbeiträge und Ihnen für Ihr Interesse. Herzlich – ihre Ines van Holten.« Das Publikum applaudierte auf das Zeichen eines Mannes, der seine Hände hochhob und vorklatschte.

      Es war schwülwarm und stickig. Obwohl er im Halbdunkel hinter den Scheinwerfern stand, lief Lohmer der Schweiß in den Kragen seines blaugestreiften Sporthemdes. Er lockerte seine Lederkrawatte und beobachtete, wie Ines van Holten Autogramme schrieb und die Glückwünsche eines offenbar wichtigen Mannes zu der »aufregenden Sendung« entgegennahm. Dann wandte sie sich um und ging schnell in Richtung der Fahrstühle. Sie kam direkt an ihm vorüber. Sie war kleiner, als er gedacht hatte. Im Gehen löste sie das Band ihres Pferdeschwanzes. Kupferrotes Haar fiel bis auf ihre Hüften. Lohmer roch ein herbes, erotisierendes Parfüm. Er folgte ihr in den Fahrstuhl. Sie schien ein wenig irritiert. Als sich die Tür geschlossen hatte, holte sie eine Zigarettenschachtel aus ihrem Täschchen. Lord extra. Die Marke vom Boot. Sie zuckte leicht, als Lohmer ihr hastig Feuer gab und fragte, ob er sie sprechen könne.

      Offenbar glaubte sie, er sei ein aufdringlicher Verehrer oder – schlimmer noch – ein prominentensüchtiger Psychopath. Sie habe jetzt leider keine Zeit, sagte sie professionell kühl. Der Fahrstuhl hielt im fünften Stock. Lohmer fingerte seinen grünen Dienstausweis aus der Tasche seiner Wildlederjacke.

      »Tut mir leid, aber es läßt sich leider nicht vermeiden.«

      Sie erschrak sichtbar, ging aus dem Fahrstuhl bis zu einer Hotelzimmertür, überlegte kurz, schloß auf und bat ihn herein. Das Zimmer diente als Garderobe, ein mit nackten Glühbirnen beleuchteter Schminktisch war aufgebaut, auf dem Doppelbett lagen ein Köfferchen, ein tiefausgeschnittenes Kleid und Kopien von Zeitungsausschnitten über die Gäste ihrer Talkshow. Ines van Holten öffnete die Minibar und holte ein Fläschchen »Fernet Branca« heraus, kippte den Inhalt herunter und schüttelte sich.

      »Setzen Sie sich irgendwohin«, sagte sie kurz angebunden, ging ins Badezimmer und ließ die Tür offen. Offenbar wusch sie sich Hände und Gesicht. »Also, schießen Sie los«, sagte sie durch die Tür. »Was kann ich für Sie tun?«

      Lohmer ging im Zimmer hin und her. Er hätte ihr bei der Befragung gern ins Gesicht gesehen.

      »Sie haben doch einen kleinen Sohn ...«, begann er und bereute im selben Moment diesen Anfang.

      Ines van Holten kam mit verwischtem Make up und halb ausgezogener Bluse aus dem Bad und sah ihn ängstlich an.

      »Um Gottes Willen! Ist etwas mit Sebastian passiert?!«

      »Nein, nein, wirklich nicht, es ist alles in Ordnung mit Ihrem Kind.«

      Lohmer stammelte. »Ich wollte nur fragen, ob es möglich ist, daß ich die Stimme Ihres Sohnes und Ihre Stimme auf einer Tonbandkassette gehört habe.«

      Lohmer kam sich idiotisch vor, wie ein Schauspieler, der seinen Auftritt total verpatzt. Die Moderatorin verschwand wieder im Bad, sagte eine Zeitlang nichts und kam dann mit ungeschminktem Gesicht ins Zimmer zurück. Lohmer fand, daß sie so viel aparter aussah.

      »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich deutlich ausdrücken würden. Was für ein Tonband? Was für Stimmen? Herr ... wie war doch Ihr Name?« sagte sie in der metallisch-schneidenden Tonlage, mit der sie vor laufenden Kameras schwadronierende Politiker zum Thema zurückbrachte.

      Lohmer fühlte, wie er rot wurde und hoffte, daß sie es nicht bemerken würde. »Kennen Sie einen Amerikaner namens William J. Berrigan?« fragte er unvermittelt.

      »Nein«, sagte sie ebenso scharf wie zuvor und forderte ihn auf, sich umzudrehen, sie sei noch verabredet und wolle sich, wie er vielleicht bemerkt habe, noch umziehen. Lohmer blickte durch die Gardine auf die Alster hinunter. Auf der anderen Seite hob sich das hell angestrahlte »Hotel Atlantic« von der dunklen Umgebung ab.

      »Sie haben auch nicht mit Mister Berrigan vor einigen Tagen in Otterndorf eine Motorjacht gechartert und sind in die Oste gefahren?«

      Lohmer hörte hinter sich das Rascheln von Textilien. Sie schleuderte ihre hochhackigen Schuhe von den Füßen.

      »Also wir wollen hier doch nicht länger in Rätseln reden, ich bin eine einigermaßen erwachsene Frau und habe nichts zu verbergen – jedenfalls nicht vor der Kriminalpolizei«, sagte sie. »Erstens: Ich kenne, wie gesagt, keinen Mister Berrigan. Zweitens: Ich habe zusammen mit einem amerikanischen Freund eine Bootstour auf der Oste gemacht ... und ich werde diese Bootstour morgen fortsetzen. Ich habe sie wegen der Sendung heute für einen Tag unterbrochen.«

      »Darf ich nach dem richtigen Namen Ihres amerikanischen Freundes fragen?«

      »Warum? Was heißt ›richtiger‹ Name? Was ist passiert?«

      Zum erstenmal hörte Lohmer Unsicherheit in ihrer Stimme. Er hätte gern ihr Gesicht gesehen. »Ihr Freund – wie immer er heißt – ist ziemlich spurlos verschwunden«, sagte Lohmer. »Wenn man von ein paar Blutspuren absieht, die er hinterlassen hat.«

      Er drehte sich abrupt um. Er sah gerade noch, wie ihre Brüste in eine Bluse aus lachsfarbener Seide hüpften. Sie knöpfte sie hastig zu.

      »Was heißt das: er ist verschwunden?«

      Lohmer erzählte ihr kurz und schonungslos von dem herrenlosen Boot, von den Blutspuren an Bord, von der Tonbandkassette und daß der Bootsvermieter sie gesehen und erkannt hätte. Er sagte auch, daß es noch keinerlei konkrete Anhaltspunkte gebe, was geschehen sei. Es könne alles ganz harmlos sein, es könne aber auch ein Verbrechen stattgefunden haben.

      »Können Sie sich vorstellen, daß er ... daß er sich etwas angetan hat? Hat er unter Depressionen gelitten ... hat er möglicherweise Liebeskummer gehabt?« Das Lächeln blieb in seinen Mundwinkeln hängen.

      »Ich nehme an, daß indiskrete Fragen zu Ihrem Beruf gehören.«

      »Zu Ihrem wohl auch, ich nehme deshalb an, Sie haben Verständnis dafür.«

      »Also Peter war ... er ist in mich verliebt, aber er mußte deswegen keinen Kummer haben. Ja, daß er ein paar berufliche Probleme hatte, das ist schon möglich. Er war in der vorigen Woche für seine Firma in Bonn zu irgendeiner Tagung. Als er zurückkam, hat er mal was angedeutet. Es sei Wahnsinn, was die da machen oder so ... Aber Depressionen? Oder gar Selbstmordgedanken? Nein.«

      »Peter heißt er also, nicht William, und vermutlich auch nicht Berrigan, wie in dem Paß stand, den er beim Bootsverleiher hinterlegt hat.«

      »Er hat einen falschen Paß hinterlegt?« Einen Moment schien sie verwirrt. Lohmer nutzte die Gelegenheit.

      »Darf ich jetzt vielleicht erfahren, wie er sich Ihnen gegenüber genannt hat?«

      »Ich verbitte mir diesen süffisanten Ton, Herr Hauptkommissar!« Ihre Augen wurden


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