Herbst der Amateure. Jürgen Petschull

Herbst der Amateure - Jürgen Petschull


Скачать книгу
noch besser stand.

      »Ich kenne ihn seit fast zwanzig Jahren. Sein Name war und ist Peter Rosenblatt. Er kommt aus Kalifornien. Er ist Physiker, wissenschaftlicher Computerspezialist oder so.«

      »Genaueres wissen Sie nicht über seine Tätigkeit?«

      »Soweit ich das verstanden habe, befaßt er sich mit der Entwicklung von neuartigen medizinischen Operationsgeräten. Ich glaube, es hat etwas mit winzigen Laserstrahlen für die Gehirnchirurgie zu tun. Ich habe natürlich keine Ahnung von diesen Dingen.«

      Sie zog sich vor dem hohen Schrankspiegel weiter an, wechselte sogar den Rock, als wäre er gar nicht im Raum. Lohmer glaubte erst, sie sei völlig nackt, bis er sah, daß sie einen fleischfarbenen, bestickten Slip trug.

      »Vielleicht ist er von Bord gegangen, um irgend etwas zu erledigen, und das Boot ist ganz einfach abgetrieben.«

      »Schon möglich«, sagte Lohmer, »aber er ist seit mehr als 24 Stunden verschwunden.«

      »Was sind das für Blutspuren, von denen Sie gesprochen haben?«

      »Das wissen wir eben noch nicht genau ...«

      Mehr zu sich selbst als zu ihm erzählte sie von ihrem amerikanischen Freund.

      Sie habe ihn tatsächlich vor 18, 19 Jahren kennengelernt. Er sei damals als amerikanischer Austauschschüler ein Jahr lang in Hamburg gewesen. Sie hätten sich ineinander verliebt, dann sei er zurück in die USA gegangen, sie hätten ein paar Briefe gewechselt, und dann lange nichts mehr voneinander gehört. Bis vor zwei Wochen. Ein alter Freund, der Mann einer Freundin genauer gesagt, habe sie zu einer Party eingeladen und ihr vorher einen Überraschungsgast angekündigt. Sie habe wirklich keinerlei Ahnung gehabt, wer das sein könnte. Es war Peter Rosenblatt. Er hatte dienstlich in Bonn zu tun und sich bei diesem Freund, einem Architekten aus der Nähe von Bremen, gemeldet. Auch Rosenblatt habe nichts von ihrem Kommen gewußt. Die Überraschung sei natürlich gelungen! Sie hätten viel miteinander geredet, geflirtet und sich wieder ineinander verliebt. Sie könne doch mit seiner Diskretion rechnen? Sie lebe nämlich in einer ziemlich unangenehmen Scheidung, und es wäre nicht gut, wenn ihr Mann von ihrem Verhältnis mit Rosenblatt erfahren würde.

      Lohmer versprach es.

      »Die Bootstour ist übrigens meine Idee gewesen«, sagte sie. »Wir wollten uns eine schöne ruhige Woche machen, bevor er wieder zurück nach Kalifornien mußte. Ich kenne die Oste, es ist ein schöner, sauberer Fluß.«

      »Ich weiß«, sagte Lohmer, »ich wohne da hinterm Deich.«

      »Es war von vornherein eingeplant, daß ich für einen Tag Peter allein lasse. Erst wollte er mitkommen, aber dann hat er es sich anders überlegt und ist an Bord geblieben. Wir haben verabredet, daß ich morgen im Hafen von Neuhaus wieder zusteige.«

      Ob sich in den letzten Tagen einer von ihnen an Bord verletzt habe, oder ob sich Rosenblatt beim Rasieren geschnitten und stark geblutet habe? Lohmer mußte an die Bemerkung von Broders denken.

      Nein, so ein Unsinn. Er habe sich mit einem Batteriegerät rasiert. Jetzt erst schien ihr zum erstenmal die Bedeutung des Gespräches klar zu werden. Sie blickte ihn starr an, und es schien so, als nehme sie ihn erst jetzt richtig wahr.

      »Sie glauben doch nicht, daß ... daß ihm was passiert ist ... daß er ermordet worden ist ...«

      Er antwortete nicht.

      Er wollte ihr gerade von dem gekritzelten Abschiedssatz erzählen, den Feldhusen zusammengebastelt hatte, als es heftig an die Zimmertür klopfte. Sie öffnete und strich sich dabei über den Rock. Der Mann von vorhin stand in der Tür, der Regisseur oder Aufnahmeleiter.

      »Die Leute unten warten alle auf dich, Schätzchen«, sagte er, »da sind auch noch ein paar Fotografen und Reporter ...« Dann sah er Lohmer, musterte ihn sekundenlang verblüfft und sagte ein wenig zu vertraulich: »Hoffentlich störe ich nicht.«

      »Du bist ein Quatschkopf«, sagte Ines van Holten, stellte Lohmer mit seinem Dienstrang vor und sagte, der Herr Kriminalhauptkommissar habe ihr ein paar Fragen stellen müssen, weil möglicherweise etwas mit einem Bekannten passiert sei. Lohmer fragte nur noch, ob sie morgen oder übermorgen zu einer ausführlichen Anhörung zur Verfügung stehen könne. Sie nickte. »Wie gesagt, ich wollte morgen sowieso wieder zum Boot fahren. Ich habe ein paar Tage Urlaub, ich möchte natürlich sofort Bescheid wissen, wenn Sie etwas herausfinden.«

      Sie schrieb ihm ihre Privatnummer auf den Notizzettel des Hotels neben dem Telefon. Es war ein Uhr nachts.

      Von einem Apparat in der Hotelhalle aus ließ sich Lohmer über die Zentrale mit Bernhard Greenberg, dem US-Army-Detektiv in Bremerhaven, verbinden. Greenberg gähnte zur Begrüßung. Lohmer sagte ihm, daß der verschwundene William J. Berrigan in Wirklichkeit Peter Rosenblatt heiße. Greenberg gähnte noch einmal.

      Er sei gerade eingeschlafen, sagte er, denn »vor einer halben Stunde erst hat mich jemand von der US-Botschaft in Bonn angerufen. Der hat mir dasselbe gesagt. Und daß das eine Art Staatsgeheimnis ist, hat er auch gesagt – und nun weiß sogar schon die Kripo von Cuxhaven, wie der Kerl heißt.«

      Lohmer schlief unruhig in dieser Nacht. Und als er am Samstag morgen von einem klappernden, auf- und abschwellenden Lärm geweckt wurde, dauerte es eine Weile, bis ihm bewußt wurde, daß das Geräusch, das näher kam und sich entfernte und wieder näher kam, nicht mehr von der Windmühle aus seinem Traum verursacht wurde, sondern daß in der Nähe ein Hubschrauber herumflog. Er stand mit unsicheren Bewegungen auf, deutete ein paar Kniebeugen an und ging nach vorne ins Wohnzimmer. Durch die fast kahl gewordenen Äste der Kastanie vor dem Haus sah er einen Helikopter mit grau-grünem Tarnanstrich. Als er endlich seine Brille auf dem Eßtisch fand und aufsetzte, erkannte er die Stars-and-Stripes und die Aufschrift US-Army. Die Maschine flog tief über den Fluß, schwenkte den Schwanz mit dem kleinen Steuerpropeller am Ende unruhig hin und her wie eine nervöse Libelle.

      Der Regen hatte sich über Nacht verzogen. Eine fahle Frühsonne drang durch dünne, herbstliche Wolken und blendete ihn. Der Hubschrauber entfernte sich mit nach unten geneigter Nase und verschwand hinter dem Deich. Lohmers Blick fiel auf die antike Standuhr, ein im voraus geliefertes Erbstück seiner Schwiegereltern. Es war nach acht. Er wollte sich gerade noch einmal hinlegen, als das Telefon klingelte. Kohlschmidt war am Apparat. »Kommen Sie sofort in die Dienststelle. Es eilt«, sagte er aufgeregt. Lohmer zog sich hastig an.

      Auf der eingezeichneten Hubschrauberlandefläche hinter dem Parkplatz des Polizeidienstgebäudes in Cuxhaven stand ein graugrün-gescheckter Militärhelikopter, als Lohmer rückwärts auf seinen reservierten Platz fuhr. Er hatte keinen Zweifel, daß es dieselbe Maschine war, die ihn aus dem Schlaf gerissen hatte.

      Kohlschmidt hatte auf ihn gewartet. Er stand auf dem Flur, als Lohmer die Treppe heraufeilte und dabei zwei Stufen auf einmal nahm. »Kommen Sie in mein Büro, Kollege Lohmer!« rief er und hängte mit Verzögerung ein scharfes »Bitte!« an.

      Lohmer murmelte mürrisch, er sei erst nachts gegen drei Uhr von einem dienstlichen Einsatz aus Hamburg zurückgekommen. Er warf seine Aktenmappe auf den Schreibtisch und seine Wildlederjacke an den Kleiderhaken, krempelte im Gehen die Hemdsärmel hoch und ging zum Kaffeeautomaten.

      »Kollege Lohmer ...« Kohlschmidts Stimme klang nun schrill, »Sie sollen doch sofort ...«

      »Ich komm ja schon«, sagte Lohmer, wandte nicht einmal den Kopf und wartete, bis der dünne Kaffee in den Pappbecher gelaufen war. Er trank hastig einen Schluck. Er hatte nicht gefrühstückt. Mit dem schwappenden heißen Getränk in der Hand betrat er Kohlschmidts Zimmer. Zu seinem Erstaunen saßen drei Männer darin, zwei in dunkelblauen Anzügen und einer in graugrüner US-Uniform, die über den breiten Schultern zum Zerreißen gespannt war. Kohlschmidt tänzelte unruhig im Zimmer herum und zog dabei mit seiner linken Hand nacheinander an den Fingern seiner rechten, bis es vernehmlich knackte. Eine Angewohnheit, die bei Lohmer eine Gänsehaut erzeugte und die er ebenso haßte wie das Geräusch, wenn ein Löffel über einen Aluminiumkochtopf schrammt. Auch die drei Besucher zuckten jedesmal ein wenig zusammen, was Kohlschmidt nicht zu bemerken schien.

      »Meine


Скачать книгу