Herbst der Amateure. Jürgen Petschull

Herbst der Amateure - Jürgen Petschull


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Krieg ausgebrütet. Sogar für den Krieg im Weltraum.«

      »Du meinst, die Sache könnte mit Spionage zu tun haben?«

      »Ich sehe, du kannst mir folgen. Die Frage ist, ob der Mann aus dem Boot ein Spion oder ein Agent war oder ist? Falls du den Unterschied nicht kennst: ein Spion ist ein Böser, einer von der anderen Seite, ein Agent ist ein Guter, also einer von uns.«

      »Danke für den Nachhilfeunterricht, darauf wäre ich nie gekommen.«

      »Wenn der Mann auf deinem Boot aber einer von uns ist oder war – dann muß irgend etwas ziemlich schiefgelaufen sein, sonst wären die in Washington nicht so nervös.«

      Greenberg fragte Lohmer nach allen Einzelheiten seiner bisherigen Ermittlungen, weil er so schnell wie möglich Washington informieren müsse. Erst nach zwanzig Minuten legte Lohmer den Hörer wieder auf.

      Ingrid Lohmer hatte »Gegrilltes Kräuterhähnchen provenzalischer Art« gemacht, sein Lieblingsessen, eine Geste der Versöhnung nach dem Streit gestern. Nun waren die Kräuter auf der Hähnchenhaut schon fast schwarz gebrannt. Trotzdem duftete und schmeckte es köstlich. Lohmer machte eine Flasche Chardonay auf und erzählte, was er sonst selten tat, seiner Frau von seiner Arbeit, von dem Boot und von dem verschwundenen Mann.

      »Ist Eva schon im Bett?« fragte er.

      »Die hat schon vorher gegessen, weil du so spät gekommen bist. Jetzt hört sie vor dem Einschlafen noch die Kassette, die du ihr mitgebracht hast.«

      »Ich habe ihr keine Kassette mitgebracht.«

      »Aber sie hat eine Kinderkassette aus dieser Einkaufstüte da genommen ...«

      Lohmer stand hastig auf und sagte, daß dies kein Geschenk, sondern ein sichergestelltes Beweisstück sei. Er ging zum Kinderzimmer und drückte vorsichtig die Türklinke herunter. Die Nachtlampe brannte. Eva hatte die Bettdecke bis über die Nasenspitze gezogen und die Augen fest zusammengekniffen. Sie stellte sich schlafend. Als er ihr einen Kuß auf die Stirn gab, schlang sie ihre kleinen Arme um seinen Hals und drückte ihn.

      »Ich hab dich reingelegt, ich bin noch wach, Papi!«

      »Du hast mir eine Kassette gemopst.«

      »Wieso? War Regina Regenbogen nicht für mich?«

      »Nein, diesmal nicht. Wo hast du sie denn?«

      »Im Kassettenrecorder. Du kannst sie wiederhaben, die ist sowieso nicht ganz richtig. Da reden ein Mann und eine Frau immer dazwischen.«

      »Was?«

      Lohmer ging schnell zum Regal, in dem der Kassettenrecorder zwischen Dutzenden von Stofftieren stand, spulte die eingelegte Kassette zurück und drückte auf »Play«.

      Musik ertönte. Klarinetten- und Gitarrenklänge. Ein Kinderchor sang. Eine Frauenstimme sagte im Märchentantenton: »Das Regenbogenland war grau und düster, bevor Regina Regenbogen kam ...« Und erzählte vor den Hintergrundgeräuschen eines Gewitters von den »bösen Monstern« und »guten Sternwichten« im bunten »Regenbogenland«, dann wurde das Band mit lautem Knacken gestoppt und wieder in Gang gesetzt. Ein Junge sagte: »Deine Geschichte vom Sternenkrieg ist viel spannender, erzähl mir noch eine!«

      Dann war eine Männerstimme zu hören. Der Mann war offenbar etwas angetrunken. Seine Stimme war schleppend. Er hatte einen leichten, aber deutlich hörbaren amerikanischen Akzent. Er bemühte sich angestrengt um einen tiefen Tonfall. »Okay. Dann erzähle ich dir die Story, wie die guten Sternenkrieger mit ihren Atomraketen und mit tödlichen Strahlen, die viele tausend Mal heißer sind als die Strahlen der Sonne, die gute alte Erde verteidigen ...«

      »Oh, prima«, sagte die Jungenstimme.

      »Es war einmal ein Präsident«, fuhr die Männerstimme fort, »der herrschte über das reichste und mächtigste Land der Welt, und der hatte trotzdem so viel Angst, daß er immer neue, immer gewaltigere, immer schrecklichere Waffen zum Schutz seines Landes erfinden ließ, obwohl seine Feinde schon lange keine Lust mehr hatten, einen Krieg zu führen ...«

      Die seltsame Geschichte handelte von Raketen und von Todesstrahlen und von Killersatelliten zwischen Sonne, Mond und Sternen. Der Junge verstand nicht, fragte dazwischen, wurde müde und schlief offenbar ein. Der Mann sprach weiter, oft Englisch oder Amerikanisch. Kommissar Lohmer hörte unverständliche Kürzel und Bezeichnungen, ein Ortsname fiel, der wie Livermoor klang. Dann rief im Hintergrund eine Frauenstimme: »Was erzählst du dem Kind denn so lange? Komm endlich!«

      Der Junge protestierte noch mit müder Stimme. Der Mann sagte etwas Unverständliches. Ein Stuhl wurde geräuschvoll weggeschoben. Schritte entfernten sich. Es knackte auf dem Band. Danach waren wieder die Musik und der Kinderchor und die Stimmen von Regina Regenbogen und ihren Freunden zu hören.

      Lohmer nahm das Band aus dem Kassettenrecorder, gab seiner Tochter einen Gute-Nacht-Kuß und spulte es in der Stereoanlage im Wohnzimmer ein halbes dutzendmal ab.

      Seltsame Geschichte, dachte er. Die Gesprächsfetzen sind in derselben Situation aufgenommen worden, in der er sie gerade gehört hatte – vor dem Einschlafen eines Kindes. Ob das der Amerikaner vom Boot war? Vor allem: Die Frauenstimme kam ihm immer bekannter vor, je öfter er den einen Satz hörte, den sie gesprochen hatte. Obwohl sie wie erkältet klang – oder gerade deswegen? Auch seine Frau Ingrid meinte, sie habe die Stimme schon irgendwo gehört.

      Kurz nach zehn ging das Telefon. Am Apparat war der Bootsverleiher Paulsen aus Otterndorf.

      »Herr Kommissar«, sagt er, »ich seh gerade die Frau von dem Amerikaner, die mit den roten Haaren von der Dörte III.«

      »Wo sind Sie?« fragte Lohmer.

      »Zu Hause. Bei mir zu Hause.«

      »Und die Frau ist bei Ihnen?«

      »Nee, Herr Kommissar«, sagte Paulsen und lachte asthmatisch. »Ich seh fern, und die Frau is gerade im Fernsehen ...«

      Lohmer schaltete sofort das Fernsehgerät ein. Wie an jedem Freitag abend lief in dem Privatsender RTA, Radio Tele Aktuell, die Sendung »Thema Nr. 1 – Die Talkshow zum brisantesten Thema der Woche«. Die Sendung war in letzter Zeit selber in die Schlagzeilen der Programmzeitschriften und Boulevardblätter gekommen, weil die ebenso attraktive wie politisch engagierte und umstrittene Moderatorin Ines van Holten nach einem Krach mit ihrem konservativen Programmdirektor vom öffentlichrechtlichen Programm zu RTA gewechselt war. »Die rote Ines«, wie sie wegen ihrer Haarfarbe und ihrer politischen Haltung genannt wurde, sei dem Lockruf des großen Geldes gefolgt. Sie habe die Moderation der »Thema-Nr.-1«-Sendung für eine halbe Million im Jahr übernommen. Sie ließ sich nicht von Politikern und anderen Prominenten mit Allgemeinplätzen abwimmeln, stellte aggressive Fragen bis in die Privatsphäre, war schlagfertig-bissig und witzig-charmant. Die bis dahin eher langatmige Sendung hatte innerhalb weniger Wochen ihre Einschaltquote fast verdoppelt. Das Thema diesmal: »Explodiert die DDR? Flüchtlingswelle und Proteste vor dem 40. Jahrestag des zweiten deutschen Staates?«

      Ines van Holten stellte gerade ihre Gäste nacheinander vor. Die Moderatorin hatte ihr Haar zu einem langen, wippenden Zopf flechten lassen. Die Maskenbildnerin hatte ihre Wangenknochen mit Rouge betont. Die roten Lippen glänzten feucht im Scheinwerferlicht. Straßsteinchen blitzten auf ihrer pastellgrünen Bluse. Ihr hautenger Rock rutschte bis über die Knie, als sie ihre langen Beine übereinanderschlug. Zur Einleitung der Gespräche verlas sie ein paar aktuelle Nachrichten über die Unruhen in Ostberlin und Leipzig, über den Knüppeleinsatz von Stasileuten und Volkspolizisten vor Kirchentüren. Ihre Stimme klang selbstsicher, metallisch, ein wenig erkältet.

      Manfred Lohmer hatte keinen Zweifel: es war die Stimme vom Tonband. Seine Frau erzählte ihm, was sie vor ein paar Tagen in einem Boulevardblatt gelesen hatte: Ines van Holten habe sich von ihrem Mann, einem Fernsehproduzenten, getrennt. Sie erziehe ihren kleinen Sohn nun alleine und habe sich nach dem Vertragsabschluß bei RTA eine Luxuswohnung in Hamburg gekauft.

      Lohmer rief den Sender RTA an und bekam einen Redakteur der Nachrichtenredaktion an den Hörer. Der sagte ihm, die gerade laufende Talkshow


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