Liebe, wie geht's?. Sabine Bösel

Liebe, wie geht's? - Sabine Bösel


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Wert, „couragiert zu sein und anzupacken, wo es nötig ist“. Verstärkt wurde diese Sicht auch noch durch die Existenz eines Onkels väterlicherseits, der Künstler war. Es wurde von Rolands Vater erwartet, dass er seinen Bruder ins Unternehmen holt, denn Maler zu sein, „das ist ja kein ordentlicher Beruf“!

      Sabine wiederum wurde geprägt durch eine Haltung, die sich in einem Satz ihrer Großmutter manifestierte: „Was du im Kopf hast, kann dir niemand mehr nehmen.“ Kein Wunder, wenn man die Geschichte der Großmutter kennt. Sie hat zwei Weltkriege durchgestanden, ihr gesamtes Geld verloren und die Shoah erlebt. Es war ihre Bildung, die ihr half zu überleben. Sabine besuchte eine teure Privatschule und es war sonnenklar, dass sie einen gehobenen und intellektuellen Beruf wählen würde. Sabines höchster Wert war, ganz in der Tradition ihrer Großmutter, die Bildung. Dass sie ihr Studium abschließen würde, stand völlig außer Frage.

      So trafen wir aufeinander, die intellektuelle Sabine und der bodenständige Roland, beide mit unserer unterschiedlichen Sozialisation im Gepäck. Wir waren unter anderem genau deshalb auch so fasziniert voneinander: In Rolands Familie wurde nicht lange diskutiert. Wenn es ein Problem gab, da wurde angepackt – für Sabine eine ganz neue Welt. Und Roland umgekehrt war erstaunt, dass es Urlaube abseits von Erholung und Nichtstun geben kann. Er war schnell begeistert von Sabines Ideen, Bildungsurlaube zu machen und fremde Länder und Kulturen zu erforschen.

      So ähnlich ist es bei jedem Paar, das sich ineinander verliebt. Jeder bringt die eigene Geschichte, das eigene So-geworden-Sein mit in die Beziehung. Jeder Mensch hat eine eigene Welt, die geprägt ist von den Eltern, Großeltern, Urgroßeltern. Jede Familie hat eigene Traditionen – und damit meinen wir nicht nur die Art, wie man Weihnachten und Neujahr begeht, sondern jedes Verhaltensmuster, das unbewusst von einer Generation in die nächste übernommen wird: ob man alle Entscheidungen vorher gemeinsam bespricht oder nicht, welche Erwartungen man an die Partnerin bzw. den Partner hat betreffend Familienplanung und -betreuung, ob man als Frau Karriere machen sollte und vieles mehr.

      Wie sollte es auch anders sein? Wir werden in unsere Familie hineingeboren, und alles, was wir beobachten und erleben, übernehmen wir, und dieses Verhalten wird zu unserer Normalität. Unangenehme Erfahrungen oder gar Gewalt empfinden wir zwar auch als Kind nicht als Normalität und spüren, dass etwas nicht stimmt. Doch wir sind zu jung, um solche Erlebnisse zu reflektieren und zu verarbeiten. Stattdessen entwickeln wir Überlebensstrategien. All diese „seltsamen“ Verhaltensweisen sind Teil einer Tradition, und es liegt an uns zu entscheiden: Wollen wir sie fortsetzen oder durchbrechen und etwas Neues etablieren?

      Wie stark Familientraditionen auf uns wirken, hat selbst die Weltliteratur vielfach aufgegriffen. Die Geschichte von Romeo und Julia kennen Sie bestimmt. Die beiden versuchen, sich gegen die alte Tradition – in ihrem Fall die Feindschaft zwischen den Familien – aufzulehnen, und scheitern doch sehr tragisch. Wir können uns unserer Geschichte nicht entziehen. Wir sind immer ein Produkt unserer Eltern und damit das Produkt zweier Familiensysteme, und jedes Elternteil ist wiederum ein Produkt zweier Familiensysteme. Wenn Sie sich in Ihren Partner verliebt haben, dann haben Sie nicht nur zu ihm, sondern implizit auch zu seiner Familie Ja gesagt – und dasselbe gilt auch umgekehrt. Dieser Umstand steht in direktem Zusammenhang mit dem, was wir in Impuls Nr. 2 geschrieben haben: 90 Prozent unseres Verhaltens wird geprägt durch unsere Vergangenheit – also unsere Herkunftsfamilie – und nur 10 Prozent durch die aktuelle Situation.

      Das ist weder eine gute noch eine schlechte Nachricht, sondern eine Tatsache, die wir akzeptieren und anerkennen sollten. Denn wenn Sie wissen, dass Ihr Verhalten zu 90 Prozent durch Ihre Geschichte determiniert ist und nur zu 10 Prozent durch die Situation, in der Sie gerade sind, dann wirft das doch ein ganz anderes Licht auf die Möglichkeiten, die Sie haben! Um das Beispiel vom Beginn dieses Impulses noch einmal zu bemühen: Wenn Sie gerade darüber streiten, was denn „richtige“ Arbeit ist, dann brauchen Sie sich nicht länger darum bemühen herauszufinden, wer von Ihnen beiden Recht hat. Denn Sie wissen, dass Sie beide eine Meinung vertreten, die in Ihrer jeweiligen Welt nachvollziehbar ist. Gehen Sie diesen beiden Welten besser auf die Spur und versuchen Sie, die jeweils andere zu verstehen. Das bringt Sie viel weiter. Es kann gut sein, dass Sie eine ganz neue Definition von „richtiger“ Arbeit finden und damit eine neue Familientradition begründen.

      Es ist unser Glück, dass wir heute viel freier sind und nicht mehr so sehr gefangen in unseren Familienverstrickungen wie Romeo und Julia. Solche Tragödien sind erfreulicherweise zumindest in unseren Breitegraden äußerst selten. Wir haben die Freiheit, jederzeit zu entscheiden, ob wir unsere Traditionen weiter pflegen wollen oder nicht. Goethe fasste das so zusammen: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.“ Schauen Sie sich gut an, was Sie auf Ihren Weg mitbekommen haben, entwickeln Sie es so weiter, dass es zu Ihrem (gemeinsamen) Leben und in Ihre Zeit passt. Das gilt für jede Entscheidung, die Sie zu treffen haben, und für jede Erfahrung und die Art, wie Sie mit ihr umgehen und sie in Ihr Leben integrieren. Denn, so setzte Goethe seine Weisheit fort: „Was man nicht nützt, ist eine schwere Last.“

       4. Warum wir die Welt so sehen, wie wir sie sehen

      Es gibt so viele Wahrheiten, wie es Menschen gibt auf dieser Welt. Ein psychologischer Blick hinter die Kulissen dieser Weisheit.

      Er (sitzt mit seinem Freund beim Kaffee): Stell dir vor, gestern ist Susi erst nach Mitternacht von ihrem Frauenabend heimgekommen. Nach Mitternacht! Also ich glaube, da stimmt etwas nicht.

       Freund: Was meinst du? Dass sie in Wahrheit bei einem anderen war?

       Er: Na ja, ist das so abwegig? Sie ist ja eine fesche Frau!

      Freund: Ja, schon. Aber deswegen muss sie ja noch lange nicht fremdgehen.

       Er: Also ich weiß nicht … Wer weiß, ob sie mich wirklich liebt!

      Wie wir bestimmte Situationen bewerten und wie wir uns verhalten, ist immer davon abhängig, was wir dazu in unserem Gehirn abgespeichert haben. Die Wissenschaften haben sich viel damit beschäftigt und die unterschiedlichen Phänomene systematisiert. Eines davon ist der sogenannte Priming-Effekt. Dabei geht man davon aus, dass die Art, wie wir Situationen betrachten, von einem aktuellen Reiz ausgelöst und dann mit früheren Erlebnissen und Erfahrungen gekoppelt wird. Das heißt, wir sehen, hören, riechen, schmecken oder empfinden etwas, und das ruft bestimmte Inhalte in unserem Gehirn ab. Je nachdem, worauf wir dabei zurückgreifen können, interpretieren wir die Situation. Das heißt, es werden durch eine Erfahrung Kerben in unserem Gehirn geschlagen, und die werden aktiviert, sobald wir in eine ähnliche Situation kommen. Ein klassisches Beispiel dafür: Wir haben ein Fahrrad gekauft – und plötzlich stellen wir fest, wie viele Menschen in unserer Umgebung Rad fahren.

      Unser Gehirn lässt sich da relativ leicht austricksen. Machen wir ein kleines Experiment. Beantworten Sie bitte die folgenden Fragen: Welche Farbe haben Häuser in Griechenland? Ein Blatt Papier hat welche Farbe? Und ein Schneefeld? Eine Braut trägt meistens ein Kleid welcher Farbe? Was trinken Kühe?

      Wenn Sie die letzte Frage mit „Milch“ beantwortet haben, dann herzlich willkommen im Club, denn dann ist es Ihnen ergangen wie den meisten Menschen. Keine Frage, die richtige Antwort wäre „Wasser“ gewesen. Doch die Fragen davor haben in Ihrem Gehirn eine Kerbe zur Farbe Weiß geschlagen, und da fällt uns im Zusammenhang mit dem Stichwort „Kuh“ sofort Milch ein.

      Solche Kerben haben wir im Laufe unseres Lebens sehr viele entwickelt. Manche von ihnen haben sich zu wahren Autobahnen ausgewachsen. Jede Bewertung, die wir vornehmen, hat etwas mit dem zu tun, was wir erlebt haben, das betrifft sowohl positive wie auch negative Erfahrungen. Ein blühender Kirschbaum löst angenehme Gefühle aus, wenn er zum Beispiel mit vielen schönen Geburtstagen verknüpft ist, die immer zur Zeit der Kirschblüte gefeiert wurden. Der Anblick eines Kirschbaums kann aber auch traurig machen, wenn wir bei seinem Anblick von den Eltern erzählt bekommen haben, dass sie sich scheiden lassen werden.

      Die gute Nachricht: Wir können diese Kerben umlenken und neu definieren. Wir können den armen Kirschbaum von seinem in unseren Augen schlechten Image befreien, indem wir die negative Erfahrung vom Baum entkoppeln


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