Liebe, wie geht's?. Sabine Bösel

Liebe, wie geht's? - Sabine Bösel


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      Sowohl Glaubenssätze als auch diese strengen Sätze des inneren Richters beeinflussen unser Denken und Handeln, indem sie uns einschränken. Frauen sind nicht gut in Mathematik? Wenn ich als Frau diesen Satz verinnerlicht habe und dann während meines Soziologie-Studiums in einer Statistik-Vorlesung nur das Wort „Mittelwert“ höre, werde ich reflexartig abschalten und mich gar nicht erst bemühen, die Zusammenhänge zu verstehen. Oder ein anderes Beispiel: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Es liegt nahe, dass ich viel eher burnoutgefährdet bin, wenn ich an diesem Glaubenssatz festhalte. Der innere Richter kann da ganz schön grausam und ungnädig sein, so sehr, dass wir uns damit gar nicht gerne konfrontieren wollen.

      Achten Sie einmal darauf, was Ihr innerer Richter Ihnen so ins Ohr flüstert. Welche Glaubenssätze haben Sie mit auf den Weg bekommen? Prüfen Sie diese Sätze dann genau. Es muss ja nicht sein, dass sie Ihnen Probleme bereiten. „Mach schnell“ beispielsweise hat den großen Vorteil, dass private Projekte schnell voranschreiten und bald abgeschlossen sind, sodass sie einen nicht unnötig lang belasten. Wer jedoch deshalb sein Essen immer so schnell wie möglich hinunterschlingt oder im Urlaub nicht entspannt, weil er von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten rennen muss, tut sich nichts Gutes – und der Beziehung meist auch nicht.

      Glaubenssätze prüfen Sie am besten, indem Sie überlegen, wie es wäre, ohne sie zu leben. Wir erinnern uns an ein Paar, bei dem beide den Glaubenssatz „Wir sind etwas Besseres“ hatten. Als sich das Paar vorstellte, ohne ihn zu leben, bekamen beide Angst. Wir haben einen Blick in ihre Vergangenheit geworfen und fanden auch den Grund: Beide kamen aus Familien mit Fluchthintergrund. Dieser Glaubenssatz half schon der Generation davor zu überleben. Das Paar selbst plagten die Ängste, ihre Heimatberechtigung, ihren Platz in unserer Welt zu verlieren.

      Es ist eine Herausforderung, all diese geerbten Sätze loszuwerden. Manchmal hilft es, sich nach dem Motto „fake it until you make it“ auszuprobieren, um sich letztlich von ihnen zu befreien und etwas Neues gestalten zu können.

      4In den Impulsen zum Thema „Wie konnte ich mich nur in den verlieben!“ können Sie lesen, warum dieser Gedanke naheliegt.

       6. Der Staffellauf

      Das Hölzchen, das wir von anderen bekommen, müssen und sollen wir auch nicht ungefragt weitertragen. Die nächste Generation wird es uns danken!

      Sie und er gehen durch das Holocaust Memorial Museum in Washington, als er plötzlich aus tiefstem Herzen zu schluchzen beginnt.

       Sie (legt ihren Arm um ihn): Du kannst doch nichts dafür! Hörst du mich? Du kannst nichts dafür!

       Er (zwischen Schluchzern): Es ist so furchtbar, was da passiert ist. Ich kann den Schmerz richtig spüren!

       Sie: Ja, es ist auch furchtbar. Das war jedoch vor deiner Zeit und du kannst nichts dafür. Für diese Gräueltaten sind wir nicht verantwortlich. Wir haben die Verantwortung, dass so etwas nie, nie wieder passiert!

      Stellen Sie sich vor, Sie stehen auf einer Lichtung im grünen Gras, da kommt eine Figur auf Sie zu. Sie hat schwer zu tragen, und von diesen Gewichten, die sie umgehängt hat, sind manche grausig stinkend, andere hübsch poliert. Die Figur bleibt vor Ihnen stehen und sagt: „Da, nimm mir dieses grausige Gewicht ab, ich mag es nicht mehr tragen.“ Was würden Sie tun? Es nehmen?

      Als Kind jedenfalls nehmen wir diese Gewichte ungefragt von unseren Eltern an. Nicht nur die grausigen, das muss man sagen, auch die hübsch polierten. Doch es sind die grausigen, die uns besonders prägen und so schwer belasten. Unsere Vorfahren haben viele schlimme Erlebnisse nicht verarbeitet und stattdessen Schuld, Trauer und seelischen Schmerz tief in sich vergraben, damit sie ihr Leben bewältigen konnten. Leider sind diese dunklen Seiten damit nicht beseitigt. Sie bleiben lebendig in Form von „komischem“ Verhalten unserer Eltern und anderer Bezugspersonen, und dieses Verhalten nehmen wir auf wie einen Staffelstab.

      Darüber hinaus kompensieren wir mitunter auch das ungelebte Leben unserer Eltern. Da hat die Mutter davon geträumt, Balletttänzerin zu werden, doch der Krieg hat das für sie unmöglich gemacht – also übernimmt das Kind diesen Traum unbewusst als Staffelstab und wird Balletttänzerin, ohne viel zu hinterfragen, ob es das wirklich möchte. Oder der Vater wollte Medizin studieren und musste jedoch einrücken. Nach dem Krieg begann er eine Lehre als Bürokaufmann, weil ein Studium zu lange gedauert hätte und er eine Familie ernähren wollte. Und das Medizinstudium? Diesen Staffelstab übernimmt die Tochter und schreibt sich an der Uni ein. Es gibt auch berühmte Beispiele dazu: Konstantin Wecker erzählt, dass sein Vater Sänger und seine Mutter Literatin war, jedoch beide weder erfolgreich noch berühmt. Diesen Staffelstab hat er übernommen, er ist erfolgreicher Liedermacher, Schauspieler und Autor geworden. Wie C. G. Jung treffend sagte: „Nichts hat psychologisch gesehen einen stärkeren Einfluss auf ihre Umgebung und besonders auf ihre Kinder als das ungelebte Leben der Eltern.“

      Diesen Dialog im Washingtoner Museum haben wir beide selbst geführt, und er ist ein sehr deutliches Beispiel dafür, wie heftig wir an diesen tonnenschweren Staffelstäben leiden, die wir von den Eltern übernehmen. Rolands Vater wurde vor dem Zweiten Weltkrieg in eine Fleischerfamilie geboren, und damit aus ihm ein ordentlicher Fleischer wurde, steckte man ihn schon sehr früh ins Burschenzimmer des Betriebs, in dem die Lehrlinge und Gesellen lebten. Dort traf er auf lauter hartgesottene und muskelbepackte Männer, die vor allem Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus verband. Das prägte den Vater dementsprechend. Als dann der Nationalsozialismus stark wurde, war er entsprechend präpariert und dachte, das wäre die Lösung. Der Weg zur illegalen Hitlerjugend war nicht weit. Im Weltkrieg stand er zu hundert Prozent hinter dieser Ideologie und war dennoch gleichzeitig im Herzen ein liebender Mensch, der keinem anderen etwas zuleide tun konnte. Er schaffte es selbst im Partisanenkrieg, keinen einzigen Gegner zu töten, weil er das nicht über sich gebracht hätte.

      Trotzdem war in seinem Leben damals kein Platz, um dieses Elend, diesen Schmerz und diese Ungerechtigkeit in sich zu spüren und an die Oberfläche zu bringen. Mit seiner Vorprägung hatte er den Entschluss gefasst: „Jetzt werde ich auch endlich etwas gelten.“ Dieser Beschluss machte ihn blind dafür, dieses Elend, diesen Schmerz, diese Scham und die große Not zu spüren, die daraus entstanden ist. Umgeben von lauter Nazis war er einer richtigen Gehirnwäsche unterzogen und es hätte schon sehr viel Mut und Rückgrat gebraucht, sich dagegenzustemmen. Auch nach dem Krieg dauerte es noch lange, bis er Schritt für Schritt dieses Unrecht realisieren konnte. Seine unbewussten Schuldgefühle haben ihm schwer zu schaffen gemacht und er hat es bis zu seinem Tod kaum geschafft, diese Gefühle zu verarbeiten.


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