Liebe, wie geht's?. Sabine Bösel
düsteren Staffelstab übernommen und das gegenteilige Verhalten gelebt. Es hat viele Jahre gebraucht, bis er sich davon wirklich befreien und einen Weg finden konnte, bei dem er den Schmerz und die Trauer bei seinem Vater lassen, die Verantwortung für das Hier und Jetzt und für die Zukunft jedoch bewusst und tatkräftig übernehmen konnte.
Gerade bei diesem Thema merkt man, wie wichtig es ist zu erkennen, dass weder die Fortführung noch das gegenteilige Verhalten den Staffelstab endgültig begraben. Genauso ist es bei allen anderen Staffelstäben, die wir übernehmen. Wir erinnern uns an eine Frau, deren Mutter von ihrem Ehemann total unterdrückt wurde, sodass sie sich nicht emanzipieren konnte. Als Tochter übernahm sie unhinterfragt diesen Konflikt der Eltern, indem sie sich ganz besonders um ihre Emanzipation bemühte, also das Gegenteil praktizierte. Sie emanzipierte sich nicht nur für sich selbst, sondern in erster Linie stellvertretend für die Mutter. Der Preis, den sie dafür zahlte, waren Probleme in ihrer Ehe, weil sie sich nicht fallen lassen und auf ihren Partner einlassen konnte. Erst in der Therapie wurde ihr klar, dass sie damit ihrem Vater etwas heimzahlen wollte – aus lauter Loyalität zu ihrer Mutter durfte sie die Liebe zu ihrem Vater gar nicht spüren, und somit war auch die Liebe zu den Männern in ihrem Leben abgeschnitten.
Es geht einmal mehr darum, eine neue, eigene Tradition zu begründen. Was brauchen wir dafür? Zum einen brauchen wir Achtung vor dem, was unsere Vorgeneration erlebt hat. Wir dürfen weder urteilen noch loben, sondern sollten Respekt dafür haben, wie unsere Eltern, Großeltern oder auch Urgroßeltern schwierige Situationen gemeistert und auch Irrtümern aufgesessen sind und Unheil gestiftet haben.
Stellen Sie sich vor, mit welchen schweren, belastenden Gewichten Ihre Mutter oder Ihr Vater durchs Leben gingen, und gleichzeitig machen Sie sich bewusst, dass sie auch viele glänzend polierte Ressourcen, Begabungen und Talente tragen. Überlegen Sie, was davon Sie gerne für Ihr Leben mitnehmen wollen. Welche Erfahrungen, welche Traditionen gibt es, die Sie übernehmen möchten? Und welche wollen Sie lieber bei den Eltern belassen? Wenn wir in unseren Generationen-Workshops eine Übung dazu machen, ist dies immer einer der stärksten Momente des gesamten Wochenendes. Für erwachsene Söhne und Töchter so entlastend – und auch für Väter und Mütter ein so emotionaler Moment, denn welche Mutter oder welcher Vater möchte sein Kind schon mit einer Last in die Welt schicken!
5In unserem Buch „Warum haben Eltern keinen Beipackzettel?“ haben wir ein ganzes Kapitel diesem Thema gewidmet, das wir „Ich mache es ganz bestimmt anders“ genannt haben.
7. Ich bringe ein bisschen Schmutz mit
Über den Frust außerhalb der Beziehung, den man in die Beziehung mit reinnimmt.
Sie kommt von der Arbeit nach Hause und geht ins Wohnzimmer, wo er mit den Kindern spielt.
Sie: Ich bin’s!
Er: Hallo! Schön, dass du da bist!
Sie (schweigt und wirft einen Blick in die Küche): Wir hatten doch ausgemacht, dass es etwas zu essen gibt, wenn ich nach Hause komme.
Er: Was ist denn los? Du grüßt nicht und grantelst hier herum.
Sie: Ich ärgere mich. Du hast gesagt, du kümmerst dich um alles. Aber wie es aussieht, ist nichts geschehen.
Er: Was heißt da nichts geschehen? Das Essen ist ja fast fertig. Ich brauche nur noch zehn Minuten.
Sie: Aber fertig ist es noch nicht wie vereinbart!
Nach dem Abendessen räumen beide das Geschirr weg.
Er: Nun sag, was war denn heute los?
Sie: Bitte verzeih mir, dass ich vorhin so schlecht gelaunt war. Ich war ungerecht zu dir. Aber ich war außer mir. Wir hatten heute Teambesprechung, und da hat unsere Chefin meine Kollegin gelobt wegen des guten Projektfortschritts. Dabei ist das doch mein Projekt und sie hat es nur interimistisch übernommen, während ich in Karenz war. Die Chefin hat mich mit keinem Wort erwähnt und meine Kollegin hat nichts dazu gesagt. (Sie beginnt bitterlich zu weinen.)
So passiert es oft: Wir sind verletzt oder frustriert wegen einer Sache und können kein Ventil finden. Dann kommen wir nach Hause – und wer ist Ventilersatz? Die Partnerin oder der Partner. Das ist natürlich nicht fair. Doch das ist im Grunde genommen der „Deal“, den wir zu Beginn unserer Beziehung eingegangen sind. In der Verliebtheit haben wir diesen unbewussten Vertrag geschlossen, dass wir füreinander da sein wollen, wenn es eng wird. In guten wie in schlechten Zeiten. Nur das Kleingedruckte haben wir nicht gelesen, denn da steht: Du wirst damit deine liebe Not haben!
Im Grunde ist es ein Vertrauensbeweis, wenn wir unsere Partner als Blitzableiter verwenden. Das mag Sie überraschen, doch wenn wir uns das näher anschauen, liegt es auf der Hand. Die Frau in unserer Beispielszene fühlt sich offenbar im Teammeeting nicht sicher genug, um dort ihren Frust loszuwerden. Nur bei ihrem Mann, in ihrer Familie fühlt sie sich sicher und kann ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Nur, dass sie nicht ihren Schmerz loslässt, sondern ihn in Wut umwandelt, weil Wut ein Gefühl ist, das wir viel leichter aushalten können als Schmerz. Wenn es Ihnen gelingt, solche Situationen als Vertrauensbeweis zu sehen, haben Sie schon viel gewonnen!
In der Szene ist etwas Wunderbares passiert: Der Mann ist ruhig geblieben. Oft passiert es auch, dass der andere explodiert und die Situation dann eskaliert. Doch dieser Mann hat wohl schon vermutet, dass es um etwas geht, das gar nichts mit ihm zu tun hat, und hat seine Partnerin dann auch danach gefragt. Das hat ihr die nötige Sicherheit gegeben, um von ihrem Schmerz zu erzählen und sich von ihm trösten zu lassen. Im Unternehmen, wo sie als Projektleiterin mehrere Mitarbeiter führt und viel Verantwortung trägt, war es für sie nicht möglich, ihre Gefühle zu zeigen. Auch sie hat sich schließlich vorbildlich verhalten, indem sie ihn wegen ihres Grants um Verzeihung gebeten hat.
Unsere Partner sind also in solchen Situationen Blitzableiter. Es kann gut sein, dass diese Blitzableiter die Situation nicht so gut durchschauen wie der Mann in unserem Beispiel. Wir laden unseren Schmutz bei ihnen ab, der in eine ganz andere Baustelle gehört, und strafen sie für etwas, das gar nichts mit ihnen zu tun hat – und alles nur, weil wir bei niemandem sonst so viel Vertrauen und Sicherheit genießen. Da ist es wirklich nur recht, wenn wir im Nachhinein, wenn wir uns wieder beruhigt haben, sagen können: „Es tut mir leid!“ und auch „Danke, dass du bei mir bleibst, auch wenn ich meinen Schmutz bei dir ablade.“
Genauso wichtig wie das Verständnis, dass es ein Vertrauensbeweis ist, ist auch, Stopp zu sagen, und zwar in Liebe und Wertschätzung: „Bitte sag mir, worum es geht. Ich habe den Eindruck, deine Wut hat gar nichts mit mir zu tun. Kann es sein, dass du dich gerade verrennst?“ Wenn es in der Situation nicht möglich ist, genug Ruhe für diese geforderte Selbsterkenntnis zu finden, dann vielleicht ein paar Stunden später. Werfen Sie einen Blick hinter die Kulissen und entwirren Sie diese Vermischung der Situationen. Analysieren Sie in aller Ruhe, was das eigentliche Thema ist. Das hilft Ihnen auch, den Schmutz dort zu bereinigen, wo er hingehört. In unserer Szene oben hat die Frau gleich am nächsten Tag das Gespräch mit ihrer Chefin gesucht und die Sache konnte geklärt werden.
Ein besonderes Phänomen in diesem Zusammenhang ist, wenn das Fass überläuft. In der Früh ist das Frühstücksbrot schimmelig, auf dem Weg zur Arbeit werden Sie von einem Auto angespritzt. Im Büro läuft es zäh, das Essen in der Kantine schmeckt Ihnen nicht, am Nachmittag haben Sie Kopfweh und zu allem Überfluss eröffnet Ihnen Ihre Kollegin, dass sie morgen nicht kommen kann und Sie für zwei arbeiten werden müssen. Dann kommen Sie nach Hause und geraten in einen Streit, den Ihre beiden Kinder miteinander gerade austragen. Es reicht dann schon ein falsches Wort Ihres Partners, und die Zündschnur wird gezündet und die Explosion folgt.
Auch an solchen Tagen, wo einfach zu viel zusammenkommt, geht es darum zu klären, wo der Schmutz hingehört. Und noch etwas gilt es zu lernen: früher schon den Stopp-Schalter umlegen. In unserer Leistungsgesellschaft ist das eine Herausforderung, weil wir doch so viel aushalten wollen, um als anerkannter und