Liebe, wie geht's?. Sabine Bösel

Liebe, wie geht's? - Sabine Bösel


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      Der Mann in unserer Einstiegsszene, der seiner Susi nicht vertrauen kann, hatte vermutlich bisher keine guten Erfahrungen in Sachen Vertrauen, und ihn plagt Unsicherheit. Vielleicht hat er bereits gescheiterte Beziehungen hinter sich, in denen er oder seine Partnerin Außenbeziehungen hatten, oder andere Erlebnisse, bei denen sein Vertrauen enttäuscht oder missbraucht wurde. Vielleicht hat er auch von seinem konservativen Elternhaus mit auf den Weg bekommen: „Frauen, die sich nach Mitternacht noch auf der Straße herumtreiben, sind leichte Mädchen.“

      Was können Sie tun, um Ihre neuronalen Autobahnen umzulenken? Machen Sie sich bewusst, in welchen Situationen Sie von tiefen Kerben geleitet werden, und fokussieren Sie ganz bewusst auf das, was mehr Sinn macht. Im Falle des enttäuschten Vertrauens könnten Sie sich zum Beispiel darauf besinnen, wann und von wem Ihr Vertrauen in der Vergangenheit belohnt wurde. Welche guten Gründe fallen Ihnen ein, Ihrer Partnerin zu vertrauen?

      Manche dieser gedanklichen Trampelpfade sind schwer zu identifizieren. Wenn Sie beispielsweise vor einem Berg Arbeit sitzen, es schon kurz vor Dienstschluss ist und sich der Schreibtisch immer noch biegt, fühlen Sie vielleicht Verzweiflung aufkommen. „Das schaffe ich nie, schon gar nicht heute, und dabei sollte ich doch noch diesem Kunden ein nettes Mail schreiben.“ Dann beschließen Sie, wenigstens diesem Kunden noch zu schreiben, bevor Sie heimgehen. Und stellen fest, dass Ihnen kein einziger netter Satz einfällt. Kein Wunder, wenn Ihre neuronalen Bahnen bereits komplett auf Verzweiflung und Versagen eingestellt sind!

      In solchen Fällen empfehlen wir Ihnen: Drehen Sie den Computer ab, gehen Sie nach Hause und entspannen Sie sich. Machen Sie einen Spaziergang oder joggen Sie eine Runde durch die Siedlung, essen Sie etwas Feines. Tun Sie sich etwas Gutes, damit Ihr neuronaler Trampelpfad sich wieder glättet. Überlegen Sie, wo dieser Trampelpfad seinen Ursprung haben könnte. Liegt es daran, dass Ihre Eltern beruflich gescheitert sind oder Sie in jungen Jahren schwierige Phasen durchstehen mussten, in denen Sie nicht wussten, wie Sie über die Runden kommen sollen? Visualisieren Sie: Wie sieht mein aufgeräumter Schreibtisch morgen aus, sodass ich mit Leichtigkeit eine Sache nach der anderen angehen kann?

      Je öfter es Ihnen gelingt, Ihre persönlichen Trampelpfade zu erkennen und sie zu positiven Bildern umzuleiten, desto besser. Es mag sein, dass Sie Rückschläge erleiden, doch dann denken Sie daran, wie oft es Ihnen schon gelungen ist, aus einem solchen Pfad auszusteigen und in ein anderes Erleben zu kommen. Und wenn Sie bemerken, dass Ihre Partnerin bzw. Ihr Partner gerade aus alten Pfaden aussteigt und neue entwickelt, geben Sie ihr bzw. ihm dafür eine dicke, fette Wertschätzung!

       5. Geerbte Sätze

      Sie machen uns manchmal das Leben schwer und beschränken uns in unseren Möglichkeiten. Über Glaubenssätze und innere Richter und wie sie unser Denken und Handeln prägen.

      Sie und er sind mit ihrem sechsjährigen Sohn unterwegs, da treffen sie auf der Straße eine Bekannte.

      Er: Wir waren gerade dabei, eine geeignete Volksschule in der Umgebung zu finden.

       Bekannte: Ach, so groß ist euer Sohn also schon! Ja, ja, jetzt beginnt der Ernst des Lebens!

      Zu Hause im Vorzimmer legen sie alle drei ihre Jacken und Schuhe ab.

      Sie: Ich weiß nicht, irgendetwas ist mir über die Leber gelaufen.

      Er: Du bist schon komisch, seit wir unsere Bekannte getroffen haben.

       Sie (nach einigem Nachdenken): Jetzt, wo du es sagst: Ich kann es nicht ausstehen, wenn jemand meint, mit der Schule beginne der Ernst des Lebens. Da kommen in mir nur noch Stress und negative Gedanken an schwierige Lehrer und Zwänge hoch. Furchtbar!

      Stellen wir uns ein Baby vor, ganz frisch zur Welt gekommen. Ist es nicht ein vollkommen wahrhaftiges Wesen? Frei von Zuschreibungen und Bewertungen schaut es in die Welt und saugt alles auf, aus reiner Neugierde, ohne die Nase zu rümpfen oder ein schlechtes Gewissen zu haben, ohne Empörung und Scham. So lang, bis wir es erziehen, denn dann beginnt der Prozess der Sozialisation. Der Begriff „Erziehung“ trifft es auf den Punkt: Wir ziehen an diesem neuen Erdenbürger herum und verbiegen seine neutrale, neugierige Weltsicht, damit er sich aus unserer Sicht richtig verhält.

      Es sind viele Sätze, die unser Erwachsenwerden begleiten. „Lass das Baby ruhig schreien, es muss auch lernen, alleine zurechtzukommen“ oder später dann „Das macht man nicht“ oder „Sei ja schön brav und ärgere den Papa nicht“. Mit dem Älterwerden werden diese Sätze vielschichtiger: „Mach schneller!“ oder „Sei nicht so egoistisch“ oder „Es gehört sich nicht, so viele Fragen zu stellen“, „Sei nicht so naiv“ oder „Das steht dir nicht zu“. Die Variationen könnten wir hier wohl endlos fortsetzen, doch wir sind sicher: Sie haben bestimmt sofort selbst Sätze parat, die Sie von klein auf kennen – und die Sie vielleicht auch zu Ihren Kindern sagen oder gesagt haben. Viele dieser Anweisungen sind auch gut und hilfreich: „Setz eine Haube auf, es ist eiskalt draußen“ oder „Sag danke zu der freundlichen Frau“. Damit lernen wir den Umgang mit Gefahren und wie wir uns so verhalten, dass ein gutes und friedliches Miteinander in der Gesellschaft möglich ist.

      Jede dieser Anweisungen nimmt das heranwachsende Kind auf. Es geht davon aus, dass sie wahr sind, und irgendwann werden sie zu einer Selbstverständlichkeit. Es verinnerlicht diese Anweisungen. Wenn es also von klein auf hört: „Mach schnell“, dann lernt es, dass man immer schnellmachen muss im Leben. Es lebt entsprechend dieser Prämisse und versagt sich damit aber auch die vielen Erlebnisse, die man nur hat, wenn man sich auch einmal Zeit lässt. Es wird ihm ein Teil seiner Potenziale genommen, die zu seiner Persönlichkeit gehören.

      Zunächst – in der Kindheit – ist diese verinnerlichte Stimme unsere Verbündete. Wenn die Mutter vermittelt „Reiß dich zusammen, das tut doch nicht weh“ und wir uns dementsprechend verhalten, werden wir mit der Mutter weniger Konflikte haben. Das heißt, dass diese Verinnerlichung uns als Kind das Überleben sichert, weil wir schließlich in einer Abhängigkeit von den Eltern stehen. Beim nächsten Sturz mit dem Rad werden wir also die Zähne zusammenbeißen, weil wir nicht wehleidig sein dürfen, oder ganz im Gegenteil noch mehr den Schmerz zeigen und übertreiben, um dann endlich doch die ersehnte Aufmerksamkeit von Papa und Mama zu erhalten.

      Fatal ist jedoch, dass diese Anweisungen und Ermahnungen sich zu einem inneren Richter entwickeln, den wir mit in unser Erwachsenenleben nehmen. Um beim Beispiel mit der Wehleidigkeit zu bleiben: „Das halte ich schon aus“, sagen wir, wenn wir aufgefordert werden, beim Umzug von Freunden zu helfen, obwohl wir seit Jahren chronische Kreuzschmerzen haben. Heimlich leiden wir dann vor uns hin, und wenn die Freunde merken, wie sehr uns die Schmerzen plagen, wundern sie sich über unser „komisches“ Verhalten: „Warum hast du denn nichts gesagt, es wäre doch in Ordnung gewesen, wenn du nicht geholfen hättest!“

      Dieser innere Richter ist ziemlich ungnädig und kann sehr mächtig werden. Er manifestiert sich beispielsweise in den sogenannten fünf Antreibern, die der Psychologe Eric Berne in der Transaktionsanalyse definiert: Sei perfekt! Mach schnell! Sei stark! Mach es allen recht! Streng dich an! Innere Richter bilden sich auch dann in uns, wenn wir das Verhalten der Eltern kopieren oder auf die eine oder andere subtile Art manipuliert werden. Etwa, wenn eine Tochter vom Vater sexuell missbraucht wurde. Als wäre das nicht schlimm genug, wird sie auch noch angewiesen, nur ja nichts zu sagen. So vermittelt er ihr gleichzeitig, dass sie es ist, die etwas Böses getan hat. Die Einstellung „Mit mir stimmt etwas nicht“ kann sich aus dieser tragischen Konstellation entwickeln, eine Überzeugung, die ein überaus strenger Richter in allen Fragen der Körperlichkeit sein kann.

      Ähnlich ist das mit Glaubenssätzen, die wir von unseren Eltern oder anderen Bezugspersonen übernehmen. Der Unterschied zum inneren Richter ist, dass Glaubenssätze als eine Art Lebensweisheit in Sprüchen daherkommen: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Frauen gehören an den Herd. Geld verdirbt den Charakter. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Männer denken immer nur an das eine. Frauen können nicht logisch denken. Unternehmer sind Ausbeuter. Oder eben jener, der oben in unserer Szene ausgesprochen wurde: Mit der Schule beginnt der Ernst des Lebens. Wir sind


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