Der fünfte Schatten. Jürgen Petschull

Der fünfte Schatten - Jürgen Petschull


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Meter entfernte Kiesgrube. Der Hubschrauber kreiste zweimal darüber, bevor er zur Landung ansetzte.

      Wolfram holte ein Elektrocart mit dem Schriftzug »Marshall« an der Windschutzscheibe vom Betriebsgelände des Clubs, mit dem die Aufseher den Spielbetrieb auf dem Golfplatz überwachen. Vor uns rumpelte ein alter Landrover über die holprigen Spurrillen eines alten Sandweges zwischen dem Wald und dem Golfplatz. Auf dem Beifahrersitz saß unser Clubmanager Heinz Prahl.

      Der Hubschrauber war auf einer sandigen Heidefläche gelandet, unweit der Stelle, an der Bagger die Erde aufgewühlt hatten. Der Landrover hielt kurz davor. Der Fahrer stieg aus. Ich kannte ihn vom Sehen und hätte ihn für einen Greenkeeper gehalten. Und im gewissen Sinne war er das auch, wie mir Wolfram erklärte.

      »Das ist Eberhard Elvers, ein Jugendfreund von Malte von Mellin. Der Familie Elvers gehören riesige Länderein in der Gegend rings um Herrensee.«

      Natürlich hatte ich die grün-weißen Schilder »Baumschulen Elvers« schon oft gesehen, die standen in dieser Gegend schließlich überall. Mit einem Unternehmen für Landschaftsgestaltung, so erzählte Wolfram weiter, hätten sich der alte Elvers und sein Sohn auf Golfplatzbau spezialisiert.

      »Klar, die Firma hat auch den Auftrag für die Erweiterung des Clubs Herrensee gekriegt. Hier in der Kiesgrube soll die schönste Spielbahn des neuen Platzes entstehen: der Abschlag oben am Rand, ein Teich mit einem Bach-Zulauf davor, ein paar Bunker in der Mitte und das Grün am gegenüberliegenden Ende.«

      Fünf Leute waren aus dem Hubschrauber geklettert. Vier Männer und eine Frau um die dreißig, mit sportlicher Figur. Sie band sich ihre zerzausten roten Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Sie trug ein Jäckchen, enge Jeans und weiße Bootsschuhe. Zwei der Männer zogen Uniformjacken mit dem Emblem der U.S. Air Force aus und legten sie auf die Sitze des Helikopters. Die beiden anderen waren in Zivil.

      Clubmanager Prahl ging vor uns auf die Gruppe zu. Soweit ich das verstehen konnte, stellte sich der Kleinste als Militärattaché vor. Er deutete auf die hinter ihm aufmarschierten Begleiter und nannte Namen und Funktionen. Die Rothaarige hielt sich ein wenig im Hintergrund.

      Als Wolfram Witt und ich näher kamen, schienen sich die Besucher beim Clubmanager nach uns zu erkundigen. Der sagte etwas von Security. Er stellte Wolfram Witt als früheren Kripo-Kommissar vor und deutete auch in meine Richtung. Die Amerikaner akzeptierten unsere Anwesenheit. Ein junger Fotoreporter schien sie mehr zu irritieren. Der hatte sich am oberen Rand der Kiesgrube gegen einen mannshohen Findling gelehnt und eine Kamera mit großem Zoomobjektiv in Anschlag angebracht. Wirklich ein gutes Motiv, dachte ich: Der Hubschrauber, das Bomberwrack, davor die Amerikaner. Einer der Besucher wollte den Fotografen offenbar verscheuchen. Aber der Clubmanager beschwichtigte sie.

      »Das ist ein junger Redakteur von der Lüneburger Lokalredaktion der Norddeutschen Post«, erklärte mir Wolfram Witt. »Joachim Lühning heißt er, ein cleverer Junge, schreibt und fotografiert. Der wird einen Tipp bekommen haben.«

      »Die Bilder kann er gut weiterverkaufen«, sagte ich, »sogar an Zeitungen und Magazine in den USA.«

      Während die Amerikaner eine Ortsbesichtigung abhielten, blickte Wolfram Witt scheinbar technisch interessiert in das Innere des Helikopters. Zwei Amerikaner versuchten vergeblich, ihn wegzudrängen.

      »Die beiden Typen sind vom Geheimdienst der U.S. Air Force«, erklärte er nachher. Er habe auf ihren abgelegten Jacken die Wappen mit der Aufschrift der AIA, Air Intelligence Agency, gesehen.

      Die Amerikaner betrachteten das Wrack des Cockpits aus allen Perspektiven. Einer fotografierte ständig. Sie verharrten eine Weile lang andächtig, wie zum Gebet. Dann ließen sie sich von Clubmanager Prahl erklären, wie das Wrack gefunden worden war. Prahl winkte einen Mann herbei, der in einiger Entfernung in der Kanzel eines großen Atlas-Baggers saß und rauchte.

      Der Baggerführer erklärte, was passiert war. Sein Chef Eberhard Elvers sei geschäftlich verreist gewesen. Und als er mit seiner Arbeit schneller als geplant vorangekommen sei, habe er vergessen, dass er in diesem Bereich eigentlich nicht ohne Anweisung von Elvers arbeiten sollte. Prahl übersetzte das breite Plattdeutsch des Mannes für die Amerikaner:

      »Ich wollte also einen Hügel planieren, der auf der Spielbahn gestört hätte. Nach kurzer Zeit gab es ein hässliches Geräusch. Die Schaufel kratzte gegen Metall und erwischte dann ein Stück graugrünes Blech. Ich dachte, das wäre ein altes Auto. Vielleicht ein Lastwagen aus dem letzten Krieg. Aber dann kam mir die Form doch komisch vor. Erst habe ich selber mit Schaufel und Spaten gegraben und dann ein paar Hilfsarbeiter dazugeholt ...«

      Ja, dann sei bald klar geworden, dass der Bagger auf ein Kriegsflugzeug gestoßen war. Einen Ami-Bomber, denn das Wort »New York« sei ja noch ganz gut zu lesen. Was »Pride« bedeute, wussten die Arbeiter nicht. »Das heißt Stolz«, sagte der Manager. Er trat direkt an das zerborstene Cockpit heran. Wir folgten ihm. Es fehlten zwar ein paar Buchstaben, doch trotz der Schrammen und der rostigen Stellen war die handgemalte Schrift noch zu entziffern: »Pride of New York«.

      »Was wohl aus der Besatzung geworden ist?«, sagte einer.

      »Das werden wir noch herauskriegen. Das sind wir unseren Jungs und ihren Familien schuldig«, erwiderte einer der beiden Leute vom Air-Force-Geheimdienst. Seine Stimme klang pathetisch.

      Die rothaarige Frau ging jetzt den Hang hinauf auf den jungen Reporter zu, der gerade seinen Standort wechselte. Es sah zunächst aus, als wolle sie ihn davonjagen. Doch dann plauderten die beiden offenbar freundlich miteinander. Sie tauschten Visitenkarten aus. Später erfuhr ich, was auf ihrer Karte stand: Valerie Stansted, Special Correspondent, American-German Press Service. Als Büroadresse war der Harvestehuder Weg in Hamburg angegeben, an dem auch das US-Generalkonsulat liegt.

      »Ich wette, die arbeitet für die CIA«, sagte Wolfram.

      Nach einer Stunde kletterten die Amerikaner wieder in ihren Helikopter. Die Rothaarige zuletzt. Als die Maschine mit ohrenbetäubendem Krach vom Boden abhob, wirbelten die Rotoren eine Sand- und Staubwolke auf. Wir hielten die Hände schützend vor die Augen.

      In unserem Golfkarren folgten Wolfram Witt und ich den Reifenspuren des alten Landrovers zurück zum Golfclub. Als wir ankamen, ließ die tief stehende Sonne die Ziffern der Turmuhr auf dem Ziegeldach golden glänzen. Es war halb acht. Die Kellner konnten nach der Schlechtwetterperiode das Abendessen endlich einmal wieder auf der Terrasse servieren. Nach der Vorsuppe wurde ich ans Telefon gerufen. Zu meiner Überraschung meldete sich Irma.

      »Ich muss mit meinem Vater noch einmal in die Staaten, aber in ein paar Tagen sind wir wieder zurück, spätestens zum Geburtstag von Lena. Wir warten gerade in Frankfurt auf unsere verspätete Maschine. Und du kommst nicht drauf, was ich gerade mache ...«

      Eine Lautsprecheransage übertönte ihre Stimme, so dass ich die folgenden Worte nicht verstehen konnte.

      »Was hast du gesagt?«, fragte ich. »Was machst du gerade?«

      »Ich denke an dich, Bogey!«

      Bevor sie auflegte, hörte ich noch eine Durchsage »Die Lufthansamaschine LH soundso nach Washington ist jetzt bereit zum Einsteigen.«

      Auf der Clubterrasse lehnte ich mich glücklich in meinen Rattansessel zurück und blickte in den wolkenlosen Abendhimmel. Über dem Dach von Schloss Herrensee übte ein Vogelschwarm für den Flug in den Süden.

      6

      Hamburg/Herrensee, Freitag, 23. Juli 1993

      Es hat mich einige Überwindung gekostet, doch am nächsten Vormittag rief ich wieder in Irmas Büro an.

      »Jonas Anders«, sagte ich. »Sie werden sich erinnern – meine Freunde nennen mich Bogey.«

      Der Sekretär hüstelte verkrampft. Aber diesmal war er schon wesentlich freundlicher. Meine Frage schien ihn allerdings zu verblüffen.

      »Sie wollen wissen, wann die kleine Tochter von Frau von Mellin Geburtstag hat? Ich weiß nicht, ob ich ...?«

      »Ich bin der Patenonkel«, behauptete ich. »Offen gesagt,


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