Der fünfte Schatten. Jürgen Petschull

Der fünfte Schatten - Jürgen Petschull


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Golfspieler sind.

      In aller Herrgottsfrühe war ich am ersten Abschlag gestartet, ohne in den nächsten beiden Stunden auch nur einer einzigen Menschenseele zu begegnen. Die paradiesische Ruhe. Das prächtige Sommerwetter. Die norddeutsche Landschaft mit den Laubwäldern und Rapsfeldern im Hintergrund! Das an diesem Tag noch jungfräulich unberührte Gras der Fairways, die sich über Hügel hinzogen, die Bäche überquerten und an Seen entlangliefen, auf denen Schwanenpaare ihrem Nachwuchs vorausschwammen. Es war wirklich zum Niederknien! Und dazu wehte auch noch ein kleiner Wind das Glockengeläut der Dorfkirche herüber.

      Sogar mein Spiel schien an diesem Morgen von ganz oben gelenkt zu werden. Anders als sonst umfassten meine Hände die Griffe der Schläger nicht zu fest. Ausholbewegung und Durchschwung waren rund und locker. Die Eisenköpfe fegten präzise über die Grasnarbe. Und die Bälle flogen mit einer selbstverständlichen Leichtigkeit weit und gerade, hoch und kurz, flach und gefühlvoll – genau so, wie ich es gewollt hatte. Selbst Bunkerschläge waren kein Problem. Und natürlich machen an so einem begnadeten Golftag auch die Putts keinen Ärger. Im Gegenteil. Nach fein dosierten Schlägen liefen die kleinen weißen Bälle mit einem zufriedenen »Plopp« in die Löchern, als hätten sie Heimweh gehabt.

      Leider war nur die Sonne mein Zeuge. Sie strahlte von einem blauen Himmel, an dem nur vereinzelte Schäfchenwolken weideten. Obwohl mein bester Schlag – jeder Golfer hat auf jeder Runde wenigstens einen Schlag, von dem er noch tagelang erzählt – doch nicht unbemerkt blieb. Es war eine besonders schwierige Annäherung aus dem Semirough. Ich nahm das Lobwedge und machte einen lockeren Probeschwung. Den Ball legte ich zwischen die etwas geöffnet stehenden Füße, ein wenig rechts von der Mitte. Während ich konzentriert ausholte, fixierten meine Augen den Ball. Der flog, von dem 60-Grad-Schläger ein wenig unterschnitten, beinahe senkrecht in die Höhe, überquerte eine etwa zehn Meter hohe Baumgruppe und verharrte einen längeren Moment auf dem höchsten Punkt, bevor er wieder von der Anziehungskraft der Erde erfasst wurde. Dann landete er mitten auf dem Grün. Kaum einen Meter von der Fahne entfernt.

      Als ich den Ball aus dem Loch holte und die Fahne zurücksteckte, hörte ich eine Stimme: »Glückwunsch! Superschlag!«

      Leider war es Jansen: der Vermögensberater und Schwarzgeldinvestor Dr. Laurenz Jansen. Er hatte auf einem gegenüberliegenden Abschlaghügel gestanden.

      »Wollen wir die Runde zusammen weiterspielen?«, fragte er.

      Ich lehnte dankend ab, sagte, ich sei in Eile und hätte gleich eine Verabredung im Clubhaus.

      Jansen sah beleidigt aus. So wird er mir in Erinnerung bleiben, denn es war meine letzte Begegnung mit ihm, bis zu dem dramatischen Ereignis, dem er drei Wochen später nur wenige hundert Meter entfernt zum Opfer fallen sollte.

      Zufrieden beendete ich an diesem Montagmorgen mein Spiel. Das Ergebnis konnte sich für einen Bogey-Spieler wahrhaftig sehen lassen: Auf der Scorekarte zählte ich 83 Schläge. Fünf Schläge besser als mein aktuelles Handicap!

      So eine ideale Runde und so ein perfekter Vormittag waren allerdings nur ein mehr als gerechter Ausgleich für all jene Qualen, Demütigungen und Verzweiflungsattacken, die einem dieses Spiel zufügen kann. Denn allzu oft nur verschwinden Abschläge spurlos in der Wildnis. Annäherungsbälle hoppeln wie desorientierte Feldhasen in der Gegend herum. Und Putts rollen mit peinlicher Regelmäßigkeit an den Löchern vorbei. An solchen Tagen ist Selbstmord eine denkbare Alternative. Golfspieler wissen, wovon ich rede.

      Aber an diesem Montagmorgen war ich so lebensfroh wie lange nicht, als ich auf dem Parkplatz meinen Trolley zusammenlegte und die Schlägertasche im Kofferraum verstaute.

      Da geschah ein weiteres Wunder. Ein kerniges Röhren näherte sich aus der von Linden gesäumten Zufahrtstraße. Vögel flatterten auf. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie ein paar Meter weiter ein Maserati Spyder hielt. Knallrot mit Speichenrädern. Mit einem letzten kernigen Blubbern verstummte der Achtzylindermotor. Die Fahrerin nahm schwungvoll ihr Kopftuch ab, schüttelte eine dunkelblonde Mähne mit hellen Strähnen und schob eine übergroße Sonnenbrille ins Haar. Und dann sprach eine lange nicht gehörte, leicht angeraute Stimme:

      »Das ist ja eine Überraschung! Was machst du denn zu dieser Zeit schon hier, Bogey?«

      Es war Irma ...!

      Neben ihr kletterte ihre kleine Tochter vom Beifahrersitz. Ein süßes Mädchen mit einer großen Schleife im Blondhaar.

      Während Irma das Faltverdeck schloss, kam die Kleine angelaufen.

      »Wer bist du denn?«, rief sie.

      »Ich bin Jonas«, sagte ich. »Du kannst auch Bogey zu mir sagen.«

      »Bogey ist lustiger.«

      »Und wer bist du?«

      »Ich bin Lena. Ich bin jetzt schon sooo alt!« Sie streckte fünf Finger in die Luft.

      Ich gratulierte ihr, schüttelte lange ihre Hand und warf sie schließlich hoch in die Luft, wie ich das früher mit meiner Tochter auch gemacht hatte.

      Lena quietschte vor Freude, als ich sie wieder auffing.

      »Noch einmal! Noch einmal!«

      »Na, ihr scheint euch ja gut zu amüsieren«.

      Irma kam näher. Wir sahen uns an. Ein wenig skeptisch, wie ehemalige Paare, die sich lange nicht gesehen haben, aber dann doch mit gegenseitigem Wohlgefallen.

      »Gut siehst du aus«, sagte sie nach längerer Musterung. »Die grauen Schläfen stehen dir. Seit wann trägst du denn Dreitagebart?«

      Unwillkürlich hatte ich den Bauch eingezogen. Etwas verklemmt erwiderte ich, sie sei schöner denn je. Wir umarmten uns zögerlich. Dabei konnte ich spüren, dass ihre Figur unter dem leichten Sommerkleid noch so fest und wohlgeformt war wie zu unserer besten Zeit.

      Interessantes Paar, dachte der Amerikaner auf dem alten Hochsitz, an dessen Leiter ein Schild »Besteigen verboten! Einsturzgefahr!« hing. Die morschen Bretter und Hölzer knirschten, wenn er sich bewegte. Das war nicht gut. Dann verlor er sofort sein Ziel aus den Augen, denn der zehnbis sechzigfach vergrößernde Ausschnitt seines Spektivs vom Typ Swarovski verwackelte bei der kleinsten Unruhe heftig. Obwohl er das einäugige Zoom-Fernrohr auf ein Stativ geschraubt hatte, musste er still wie eine Statue stehen und die Luft anhalten. Valerie hatte ihm das teure Gerät in einem Jagdwaffengeschäft besorgt.

      Für seinen Ausflug aufs Land hatte sich der Mann auf dem Hochsitz wie ein Naturfreund ausgestattet, mit Wanderschuhen, einer Hose mit Beintaschen und einem kurzärmligem Karohemd. An seinem Gürtel steckte ein Jagdmesser. Ein Körbchen war zur Hälfte mit Waldpilzen gefüllt, die er im Lebensmittelladen des Nachbardorfes von Herrensee gekauft hatte. Vor seinem Ausflug aufs Land hatte er sich ein Taschenbuch mit dem Titel »Unsere heimische Vogelwelt« besorgen lassen. Falls ihn jemand überraschen sollte, könnte er als Pilzsammler und Hobby-Ornithologe durchgehen. Für die Vogelbeobachtung würde auch das Fernrohr sprechen. Ein Profi achtete auf solche Kleinigkeiten.

      Andere Naturliebhaber würden sich allerdings wundern, dass er am sommerlich trockenen Waldrand eine exklusive Zigarre der Marke »Cohiba Espléndidos« rauchte, die schon im Kubanervierteln von Miami 40 Dollar gekostet hatte. Noch mehr Erstaunen würde der Inhalt seines Korbes hervorrufen. Unter den Pilzen lagen in Zeitungspapier gewickelt: ein Elektro-Schockgerät, professionelle Plastik-Handfesseln und eine halbautomatische Pistole mit Laseraufsatz und Schalldämpfer. In seinem Rucksack trug er auch noch einen Klappspaten.

      Er stellte das einäugige Spezial-Fernrohr scharf, aber beobachtete die Gegend auch immer wieder mit bloßen Augen. Durch einen Ausschnitt im Blattwerk der Bäume hatte er eine perfekte Aussicht. Auf der rechten Seite erhob sich der Gebäudekomplex von Schloss Herrensee. Die große Terrasse lag wie eine Bühne davor. Und in fünfhundert Metern Entfernung, vor dem Waldrand, war auf einer kleinen Erhebung, an der Grenze zum Golfplatz, ein alter Walnussbaum mit gewaltiger Krone zu erkennen.

      Von seinem Standpunkt aus konnte der Amerikaner auch den Parkplatz ungehindert überblicken.

      Ein Mann hatte sein Golfgepäck in einen Kofferraum geladen. Eine Frau und ein


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