Die Magie der Schwarzweißfotografie. Torsten Andreas Hoffmann

Die Magie der Schwarzweißfotografie - Torsten Andreas Hoffmann


Скачать книгу

      Die Bildsprache ist ähnlich wie die Musik: Das Wesen der Musik ist es, Stimmungen aller Couleur auszudrücken. Mein Lieblingskonzert ist das berühmte Violinkonzert von Mendelssohn Bartholdy e-Moll, Opus 64, das wohl geeignet ist, auch die allerhärteste Natur zum Schmelzen zu bringen. Ich liebe aber genauso die unglaublich spirituelle Musik von Johann Sebastian Bach, die wiederum in der Lage ist, die Seele emporzuheben, egal in welcher Stimmung sie sich gerade befindet. Musik ist also fähig, Sie in die gesamte Palette von Stimmungen zu versetzen, die überhaupt nur denkbar sind.

      Das Schöne ist, auch Bilder sind dazu in der Lage! Denken Sie an die berühmten Bilder von Sebastião Salgado, die einen erschauern lassen. Wohl kaum einem anderen Fotografen ist es gelungen, die menschlichen Abgründe ausdrucksstärker darzustellen. Salgado selbst konnte sich irgendwann nicht mehr weiter den tragischen Sujets widmen, weil seine Seele bei all dem Unheil, das er z. B. in Afrika gesehen hatte, zu sehr in Mitleidenschaft gezogen wurde.

      Nach einer Auszeit beschloss er, sich den schönen Dingen zu widmen, und schuf sein Buch »Genesis«, das in atemberaubender Schönheit die noch verbleibende Ursprünglichkeit der Natur in dieser Welt zeigt. Auch wenn dieses Buch gewiss eher die Dur-Tonleiter deklinierte, ist es auf andere Weise zu einem Mahnmal geworden. Ihm ist es auf perfekte Weise gelungen, das Schöne zu zeigen, ohne ins Seichte und Flache abzugleiten. Versuchen auch Sie, sich zu sensibilisieren: Welches sind Ihre eigenen Stimmungen?

      Welche Pendants zu Ihren Stimmungen können Sie in der Außenwelt finden? An welchen Orten und bei welchen Wetterlagen können Sie Ihre Stimmungen am besten ausdrücken? Denken Sie darüber nach, und machen Sie sich mit Ihrer Kamera auf!

image

       Licht ist der Grundbaustein jeder Fotografie, und das Licht ist auch für jede Stimmung im Bild verantwortlich. Das große Bild zeigt einen Strand auf Lanzarote und seine Spiegelung bei Gegenlicht. Die Felswand und ihre Spiegelung sind sehr dunkel, der Himmel mit seinen Schäfchenwolken wirkt hell und freundlich. Dieselbe Felswand, also dieselbe Materie, erscheint auf dem kleineren Bild sehr hell, der Himmel dagegen dunkel, denn er wurde mit der Rotfilterfunktion von Silver Efex abgedunkelt. Pechschwarz mit künstlichen Lichtpunkten stellt sich die Felswand bei Nacht dar. Das große Bild wirkt heiter, das kleine Bild oben mystisch und die Nachtaufnahme fast schon unheimlich. Derselbe Gegenstand – in drei verschiedene Stimmungen getaucht. Einziger Akteur: das Licht!

      Großes Bild: 20 mm, Blende 11, 1/60 Sekunde, ISO 200

      Kleines Bild oben: 17 mm, Blende 11, 1/40 Sekunde, ISO 200

      Kleines Bild unten: 24 mm, Blende 8, 62 Sekunde, ISO 200

image

       Sie müssen nicht weit reisen, um Ihre Stimmungen auszudrücken: Ein Nebeltag, z. B. im Harz, kann schon ausreichend sein. Nebel senkt sich über die Welt und lässt sie geheimnisvoll erscheinen, verfremdet sie. Hier galt es, interessante Formen zu entdecken. Die Äste des vorderen Baums haben die markante Form eines Bogens, die Bäume dahinter wirken so, als wären sie nur dahingehaucht. Das Foto könnte fast gezeichnet sein. Die Stimmung ist eindeutig eine Stimmung in Dur.

      40 mm (60 mm im Vollformat), Blende 7,1, 1/50 Sekunde, ISO 400

image

       Die Grundstimmung dieses Fotos dagegen ist Moll. Ich habe es am selben Tag aufgenommen wie das Foto auf der linken Seite, aber die Dämmerung senkte sich schon über den Wald und die Tonwerte sind völlig andere. Der hellste Ton ist ein mittleres Grau, alle anderen Tonwerte entwickeln sich in die Dunkelheit hinein. Welches von beiden Bildern spricht Sie mehr an? Möchten Sie lieber in Dur oder in Moll fotografieren? Gerade im November, dem verrufensten Monat, lassen sich oft sehr stimmungsvolle Aufnahmen in Moll erarbeiten.

      21 mm (31,5 mm im Vollformat), Blende 3,7, 1/20 Sekunde, ISO 1600

image

       Bedrohliche Stimmungen lassen sich auch mithilfe der Fotografie erzeugen. Das Bankenviertel von Frankfurt am Main strahlt nicht gerade Wärme und Behaglichkeit aus. Die Enge mancher Hochhäuser zueinander kann bedrückend wirken. Steht man in der engen Schlucht zwischen dem Commerzbank-Hochhaus und dem Global Tower, fühlt man sich klein und unbedeutend. Diese Stimmung habe ich mit Silver Efex und Photoshop verstärkt, indem ich die Tonwerte des Bildes von der Mitte zu den Rändern hin noch abgedunkelt habe. Ist die Macht der Finanzgiganten über die Politik nicht auch wirklich zu einer Bedrohung von Umwelt und Menschlichkeit geworden?

      18 mm, Blende 6,3, 1/50 Sekunde, ISO 200

image

       Welch ein schönes Art-déco-Gebäude sich doch vor dem Trump Tower in New York befindet! Hier wird der Kontrast von einem Gebäude mit Seele und Charakter zu einem kalten, glatten Funktionsbau besonders deutlich. Auch hier habe ich mit Silver Efex und Photoshop die etwas düstere und bedrohliche Stimmung verstärkt. Auch Sie können in Ihrer Bildsprache bedrohliche Stimmungen erzeugen, wenn Sie das möchten. Ganz viel hängt von den Tonwerten Ihrer Schwarzweißfotografie ab, die Sie heutzutage dank genialer Bildbearbeitungsprogramme noch besser steuern können, als es in analogen Zeiten in der Dunkelkammer möglich war.

      116 mm, Blende 13, 1/200 Sekunde, ISO 200

      4

      Entdecken Sie die Schönheit der Melancholie

      Wenn wir in Urlaub fahren, wünschen wir uns natürlich »schönes Wetter«, am liebsten mit blauem Himmel. Nicht umsonst zieht es so viele Menschen in den sonnigen Süden. Nordeuropäische Winter sind lang, dunkel und grau und können massiv auf die Stimmung drücken. Aber gerade bei diesem trüben Wetter lassen sich oft richtig stimmungsvolle Bilder gestalten – Bilder, die Poesie enthalten.

      In unseren westlichen Gesellschaften sollten wir »gut drauf sein« und Spaß haben, so diktiert es der Mainstream. Was aber, wenn wir nicht »gut drauf«, sondern eher melancholisch gestimmt sind? Melancholie muss gar nichts Schlechtes sein!

      Der kürzlich verstorbene bekannte Schriftsteller Günter Kunert bezeichnete sich als heiteren Melancholiker. Zu Leonardo da Vincis Zeiten war die »Melancholia« eine Haltung, die sich von der Oberflächlichkeit der Welt abwandte und Tiefe versprach, auch im Sinne von tieferen Einsichten. Die »Melancholia« galt als eine positive, fast schon wissenschaftliche Grundhaltung, die Forschern und Künstlern eigen war, und sie dazu befähigte, entweder wissenschaftlich objektiv oder künstlerisch subjektiv die Welt zu erforschen.

      Melancholie lässt sich wunderbar in Bilder kleiden und sie wirkt niemals seicht. Wenn Sie also manchmal dem oberflächlichen Mainstream zum Trotz melancholisch sind, so möchte ich Ihnen ans Herz legen, gerade dann die Kamera zur Hand zu nehmen und einen Ausdruck für Ihre Stimmung zu finden – einen Ausdruck, der dem Mainstream entgegengesetzt ist.

      Der berühmte Künstler Friedensreich Hundertwasser z. B. liebte den Regen, er nannte sein Boot »Regentag«. Mir geht es oft ähnlich, ich setze mich manchmal auf die Terrasse und tue nichts weiter, als dem Regen zuzuschauen. Dabei komme ich meist sehr leicht zur Ruhe. Regen mit der Kamera einzufangen ist allerdings sehr schwierig.

      Meist funktioniert das nur bei Gegenlicht, ansonsten erscheint der Regen selbst kaum auf einem Foto. Daher macht es Sinn, Regen besonders in Form von Regentropfen auf Fensterscheiben zu fotografieren oder seine Spiegelungen in Regenpfützen zu zeigen.

      Versuchen Sie, einen eigenen poetischen Ausdruck für die melancholische Seite des Daseins zu finden. Gehen Sie z. B. dann auf die Straße, wenn alle Instagramer zu Hause bleiben – bei Regen. Setzen Sie die Kamera aufs Stativ und schützen Sie sie mit dem Regenschirm. Sie werden erstaunt sein, welch stimmungsvolle Ergebnisse Sie mit nach Hause bringen.

Скачать книгу