Die Magie der Schwarzweißfotografie. Torsten Andreas Hoffmann

Die Magie der Schwarzweißfotografie - Torsten Andreas Hoffmann


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Ist diese Stimmung nicht schön? Schöner als manches Bild von einem Sonnenaufgang? Die »Fäden« des Regens sind allerdings bei normalem Licht nur vor einem dunklen Hintergrund zu erahnen, aber der Mann mit dem Schirm zeigt auf diesem Bild eindeutig den Regen an. Es handelt sich um die Abtei der Hildegard von Bingen in Rüdesheim, ein Kloster, in dem man früher Stille fand, das heute aber durch viele Touristengruppen, die dort abgeladen werden, entweiht und kommerzialisiert worden ist.

      Leica CL, 23 mm (34,5 mm im Vollformat), Blende 5, 1/200 Sekunde, ISO 400

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       Die einzige Chance, die Brooklyn Bridge in normalen Zeiten – jenseits von Corona – noch ohne Touristenmassen vorzufinden, ist wie hier bei Regen. Hat es nicht gerade einen besonderen Charme, wie sich die Lichter der Lampen auf den Holzbrettern des Fußgängerwegs spiegeln? Eine Frau mit Handtasche geht ohne Schirm über die berühmte Brücke in New York. Sie wirkt einsam, obwohl sie von Millionen von Menschen in diesem Lichtermeer umgeben ist. Auch dies ist ein poetisch-melancholisches Foto, das sicherlich mehr Atmosphäre vermittelt, als wenn es an einem sonnigen Tag aufgenommen worden wäre. Da man auf einer vibrierenden Brücke nicht mit Stativ arbeiten kann, musste ich hier den ISO-Wert auf 1600 erhöhen. Dabei verlängerte sich die Belichtungszeit mit der 18-mm-Brennweite bei offener Blende 4 auf 1/13 Sekunde. Mit dem guten Bildstabilisator von Canon wurde das Bild dennoch gestochen scharf.

      18 mm, Blende 4, 1/13 Sekunde, ISO 1600

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       Hinter der verregneten Fensterscheibe befindet sich das Häusermeer von Manhattan, auszumachen durch die unverkennbare Form des Empire State Buildings. Dieses Bild hat etwas Heimeliges, denn der Betrachter bzw. der Fotograf befindet sich ja hinter der verregneten Fensterscheibe im Schutz einer gemütlichen Bar. Für mich hat New York bei Regen und Schnee einen besonderen Zauber. Man denke an die großartigen Winterfotos des berühmten Fotografen Saul Leiter. Die Aufnahme ist bei relativ offener Blende 4,5 mit 1/25 Sekunde fotografiert, damit der Hintergrund in Unschärfe getaucht wird.

      32 mm, Blende 4,5, 1/25 Sekunde, ISO 400

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       Melancholie und Trauer lassen sich auch durch einen Menschen ausdrücken, der diese Gefühle verkörpert. Diese alte Dame war dement. Sie litt relativ kurz vor ihrem Tod sehr und faltete oft die Hände und vergrub ihr Gesicht darin. Das Bild erinnert einen daran, dass das Leben endlich ist, und daran, wie wichtig es ist, sich nicht von lauter Nebensächlichkeiten die Lebenszeit stehlen zu lassen. Der Fotograf Walter Schels beispielsweise hat sich intensiv mit Bildern von Menschen kurz vor ihrem Tod auseinandergesetzt.

      85 mm, Blende 5,6, 1/25 Sekunde, ISO 3200

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       Melancholie in Irland: Dieses Bild symbolisiert die Vergänglichkeit im doppelten Sinne: Zum einen erinnert ein Grabmal immer an die Vergänglichkeit des Lebens und mahnt die Lebenden, ihr Leben sinnvoll und erfüllend zu führen; zum anderen erinnert der zerbrochene Grabstein an die Vergänglichkeit des Materiellen: Hat das Leben schon keinen Bestand, so hat es noch nicht einmal jeder Grabstein. Also, das Leben und Genießen im Hier und Jetzt schlägt der Vergänglichkeit noch am besten ein Schnippchen. Um Schärfentiefe zu bekommen, habe ich das Bild mit Blende 16 und 1/50 Sekunde belichtet.

      25 mm, Blende 16, 1/50 Sekunde, ISO 400

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      Erzeugen Sie Stimmungen durch die Gestaltung des Himmels

      Himmelsblau auf Farbfotografien kann sehr leicht das vielfach dargestellte Postkartenklischee erzeugen. Ein schwarzweißer Himmel dagegen kann die verschiedensten Bildwirkungen erzeugen, aber eines ist er gewiss nicht: seicht und kitschig. Wir wollen uns auf den folgenden Seiten anschauen, wie stark der Himmel in der Schwarzweißfotografie die Wirkung eines Bildes beeinflusst.

      Während sich die meisten Menschen über Hochdruckgebiete mit viel Sonnenschein und möglichst blauem Himmel freuen, gelten für uns Schwarzweißfotografen ganz andere Gesetze. Für uns sind eher Tiefdruckgebiete interessant, denn sie bieten meist das vielfältigere Wolkenspektrum im Himmel, und das verleiht den meisten Bildern ihre besondere Atmosphäre. Wie das Wort Atmosphäre schon sagt, handelt es sich dabei um etwas nicht so leicht Greifbares. Einen guten Maler erkennt man daran, wie er Luft malen kann, und auch für den Fotografen ist es von großer Bedeutung, die Luft des Himmels zu einer intensiven Atmosphäre zu verdichten. Hat man die Atmosphäre eines Bildes früher in der analogen Dunkelkammer verstärkt, so kommt es heute gerade bei der Bearbeitung des Himmels darauf an, die Klaviatur der modernen Bildbearbeitungsprogramme von Photoshop über Lightroom oder Silver Efex mit Leichtigkeit spielen zu können. Noch wichtiger aber ist es, intensiv zu sehen und beim Betrachten auch etwas zu empfinden, denn nur das wirklich Empfundene kann zu einem Bild gestaltet werden, das beim Betrachter auch Empfindungen auslöst.

      Den Himmel mit seinen Wolken zu betrachten, ist erfüllend, denn Wolken sind immer in Bewegung und verändern ständig ihre Form. Diese unerschöpfliche Formenvielfalt gibt Spielraum für zahlreiche Assoziationen. Besonders in Bergregionen ist das Wolkenspiel faszinierend, denn man kann in die vermeintliche Position des Schöpfers aufsteigen und das Spiel der Wolken von oben betrachten. So können Sie auf das Sujet, zu dem Sie normalerweise aufschauen, auch einmal herabschauen. Auch hier ist es faszinierend, die wechselnden Formenspiele mit der Kamera festzuhalten. Allerdings heißt die Devise nicht »nichts anbrennen lassen«, sondern »nichts ausbrennen lassen«. Alle lichten Töne, die ausgebrannt sind und auch im RAW-Modus keine Zeichnung mehr haben, können von keinem Bildbearbeitungsprogramm vernünftig wiederhergestellt werden. Achten Sie also unbedingt auf das Histogramm!

      Wolken können den Himmel zart und friedfertig, aber auch extrem bedrohlich erscheinen lassen. Möchten Sie innere Stimmungen ausdrücken, so sind Landschaftsbilder mit Wolkenhimmeln eine gut geeignete Form.

      Fast alle Stimmungsnuancen lassen sich mithilfe von wolkenreichen Himmelsbildern ausdrücken. Einfache Naturvölker hätten sich von einer Cumulonimbus-Wolke mit Windhose wie beim Foto auf Seite 49 gewiss einschüchtern lassen und sie als eine Strafe der Götter gewertet. Wie anfangs erwähnt, war der Himmel immer schon mythenbeladen. Im Zeitalter des Klimawandels häufen sich aber nachweislich extreme Wetterphänomene, durch die sich unsere umweltunfreundliche Lebensweise langfristig rächt. Natürlich nicht durch einen strafenden Gott, aber doch durch die dem menschlichen Handeln übergeordnete und überlegene Eigendynamik der Schöpfung.

      Wenn Sie mit Ihrer Kamera unterwegs sind, gewöhnen Sie sich bitte an, sehr genau auf den Himmel zu achten, und beginnen Sie, den Himmel in Schwarzweiß umzudenken. Der Himmel ist in besonderem Maße geeignet, die Stimmung eines Bildes zu beeinflussen. Welche Stimmung möchten Sie ausdrücken? Sie können das Blau des Himmels, je nachdem, wie Sie es darstellen möchten, in einen zarten Grauton oder in einen dramatischen Schwarzton übersetzen. Für Zweiteres setzen Sie am besten noch einen Polarisationsfilter vor Ihr Objektiv und drehen ihn auf Kreuzstellung. Sie bemerken, wie der Himmel dabei abgedunkelt wird. Bei der Umwandlung in Schwarzweiß können Sie dann mit Silver Efex noch die Gelb-, Orange-, oder Rotfilterfunktion hinzuwählen, und schon haben Sie einen fast schwarzen Himmel, der dramatisch zu hellen Wolken kontrastiert. Möchten Sie lieber eine zarte Himmelsstimmung rüberbringen, so wenden Sie die Blaufilterfunktion von Silver Efex an oder schieben den Blaufilter-Regler von Lightroom nach rechts: Schon hellt sich Ihr Himmel wieder auf. Stellen Sie sich beim Betrachten des Himmels also schon vor, welche Stimmung Sie auf Ihrem Schwarzweißfoto ausdrücken möchten.

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       Die Cirruswolken über einem kleinen Dorf auf der Kanareninsel Lanzarote verleihen dem Foto seine besondere Magie. Ohne diesen speziellen Wolkenhimmel wäre das Foto relativ langweilig.


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