Entstellt. Amanda Leduc
bauscht sich der Rock, auch wenn ich mich wegen der Verbände nicht besonders schnell drehen kann.
Ich finde es wunderbar. Ich fühle mich wie eine Prinzessin.
Im sozialen Modell von Behinderung beinhaltet die »Rückkehr« von der Aufgabe auch die Anerkennung des anderen Körpers: wie er – anders – in die Welt passt und wie die Gesellschaft sich verändern muss, um ihn aufzunehmen. »Behindernde Umgebungen«, schreibt Siebers, »produzieren Behinderungen an Körpern und bedürfen der Intervention im Sinne sozialer Gerechtigkeit.« Das soziale Modell entstand in den 1960er Jahren als Gegenentwurf von behinderten Menschen zu der dem medizinischen Modell innewohnenden Bevormundung und Infantilisierung. In den Protokollen eines Treffens zwischen der UK Disability Alliance und der Union of the Physically Impaired Against Segregation (Vereinigung körperlich beeinträchtigter Menschen gegen Ausgrenzung) wird dies deutlich: »Unserer Auffassung nach ist es die Gesellschaft, die körperlich beeinträchtigte Menschen behindert. Behinderung ist etwas, das uns zusätzlich zu unseren Beeinträchtigungen auferlegt wird, indem wir unnötigerweise isoliert und von der vollen gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen werden.«
Im sozialen Modell geht es darum, Räume zu schaffen für Rollstühle und damit für Körper, die nicht laufen können, anstatt um jeden Preis laufen zu müssen; es geht um ein zunehmendes Bewusstsein für Dinge wie Gebärdendolmetschen und duftneutrale und chemikalienfreie Räume bei öffentlichen Veranstaltungen; es geht, wie bereits angedeutet, um die Einsicht, dass öffentliche Räume und Veranstaltungen, die keine barrierefreien Zugänge und Toiletten haben, den unterschiedlichen Bedürfnissen der Bevölkerung nicht gerecht werden. Vor allem geht es um die Forderung, dass behinderte Menschen bei allen Entscheidungen, die ihre Teilhabe an der Gesellschaft betreffen, ein Mitspracherecht haben – und dass die Gesellschaft für all ihre Mitglieder verantwortlich ist, wozu auch gehört, den unterschiedlichen Bedürfnissen verschiedener Körper entgegenzukommen. Der Slogan Nothing about us, without us (Nichts über uns ohne uns), der die Behindertenrechtsbewegung seit den 1990er Jahren begleitet, bringt diesen Anspruch des sozialen Modells zum Ausdruck.
In den Jahren seit seiner Einführung hat das soziale Modell von Behinderung immer mehr an Zugkraft gewonnen. Wie auch bei anderen Bewegungen erwies sich das Aufkommen der Sozialen Medien zu Beginn des 21. Jahrhunderts als besonders hilfreich und beflügelnd für die Behindertenrechtsbewegung, da vorbehaltlich bestehender ökonomischer Barrieren (Zugang zum Internet, zu einem Computer oder Mobiltelefon, zu Bibliotheken) viele behinderte Menschen daran teilhaben können. Twitter-Hashtags wie #DisabledAndCute (initiiert von der Schwarzen behinderten Autorin und Aktivistin Keah Brown), #ThingsDisabledPeopleKnow (initiiert von der Schwarzen behinderten Autorin und Aktivistin Imani Barbarin), und #DisabilityTooWhite (initiiert von der Schwarzen behinderten Aktivistin und Bloggerin Vilissa Thompson) haben in jüngster Zeit dazu beigetragen, den Diskurs über Behinderung, über das soziale Modell und Barrierefreiheit in die öffentliche Wahrnehmung zu rücken.
Auch das ist eine Art des Geschichtenerzählens, wenngleich in moderner Form. Das Medium mag zwar relativ jung sein, doch der Akt des Erzählens als solcher hat eine lange Tradition, den Mächtigen die Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Die Kunst dabei ist, die Geschichte so zu erzählen, dass sie die Ungerechtigkeit zeigt und die Gemeinschaft und die bestehenden sozialen Strukturen zu Veränderungen aufruft, so dass alle – und nicht nur ein kleiner Kreis von Auserwählten – künftig Chancen auf Erfolg haben.
»Die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen – das heißt, das Wort zu beherrschen – war unerlässlich für Anführer*innen, Schaman*innen, Priester*innen, König*innen, Medizinmänner oder -frauen, Heiler*innen, Priester*innen und so weiter in einer Familie, einem Clan, Stamm oder einer kleinen Gesellschaft«, schreibt Jack Zipes in The Irresistable Fairy Tale. Märchen, führt er aus, appellieren wesentlich an die Sehnsucht nach Gerechtigkeit, die tief im Herzen jedes Menschen brodelt. Die Fähigkeit, eine überzeugende Geschichte zu erzählen, war früher essenzieller Bestandteil von Herrschaft und Macht. Und das ist sie womöglich bis heute: Wenn wir etwa an Menschen wie Barack Obama denken, dann wird deutlich, dass Worte und Geschichten die Gedanken und Herzen einer ganzen Generation entflammen können.
Umgekehrt sehen wir an jemandem wie Donald Trump, dass sie auch das Gegenteil bewirken können: Angst und Vorurteile in streng kontrollierte Narrative verpacken, die dann die Gedanken vieler infizieren. Hier werden Geschichten zu Narrativen, die die Überlegenheit des Individuums verteidigen, im Gegensatz zu solchen, die die Welt so verändern wollen, dass alle gewinnen können. Vor allem verteidigen diese Narrative die Überlegenheit des Individuums ganz konkret auf Kosten derer, die nicht gewinnen – ein Prozess des Otherings, der weitreichende Folgen hat.
In Krankheit als Metapher stellt Susan Sontag fest, dass »[d]ie modernen totalitären Bewegungen […] besonders – und in enthüllender Weise – geneigt [waren], Bilder aus dem Bereich der Krankheit zu gebrauchen«. So twitterte Donald Trump am 19. Juni 2018, die Demokraten »wollen, dass illegale Einwanderer, wie böse sie auch sein mögen, unser Land überfluten und es infizieren, wie die MS-13« (Hervorhebung von mir). So sprach David Ward, ein ehemaliger Beamter der US-Einwanderungsbehörde, im Oktober 2018 auf Fox News von Migrant*innen, die Krankheiten »wie Pocken und Lepra und [Tuberkulose] mitbringen, mit denen sie unsere Leute in den Vereinigten Staaten infizieren«. Bei dieser sehr konkreten Form des Geschichtenerzählens fokussiert die Angstmacherei insbesondere auf den Aspekt der Krankheit – und im weiteren Sinne auch der Behinderung – als etwas, das Außenstehende zu Anderen macht, sie othert. Um die Krankheiten zu vermeiden, müssen wir auch die Menschen meiden, die leiden. Denn niemand will anders sein, auch nicht gedanklich. So dient das Geschichtenerzählen – die Herrschaft über das Wort – der fortgesetzten Entrechtung derjenigen, die sowieso schon rechtlos sind, es mindert ihre Erfolgschancen noch weiter und sichert damit den anhaltenden Erfolg einiger weniger.
Anders ausgedrückt: Das medizinische Modell zelebriert den Triumph des Individuums über die Behinderung, das soziale Modell die kollektive Macht und Verantwortung der Gesellschaft, die Bedürfnisse aller zu berücksichtigen und Behinderung in unsere Welt zu integrieren.
(Es sei noch angemerkt, dass das soziale Modell nicht unumstritten ist. Insbesondere weisen jüngere Kritiken darauf hin, dass es nicht immer möglich ist, die soziale Umgebung so zu verbessern, dass alle Aspekte einer Behinderung berücksichtigt und aufgefangen werden. Rampen mögen einer*m Rollstuhlnutzer*in den Zugang zu einem Geschäft ermöglichen, doch barrierefreie Zugänge und Toiletten lindern keine Schmerzen oder Müdigkeit. Die Forderung nach einem gesellschaftlichen Wandel kann daher auch dazu führen, dass Menschen, die vielleicht gerne über ihre Schmerzen oder andere Schwierigkeiten sprechen würden, es nicht tun, weil sie befürchten, dass man es ihnen als Widerspruch zum sozialen Modell auslegt.)
Behinderte Menschen waren, wie andere marginalisierte Gruppen auch, lange die Hauptobjekte abwertender Narrative. Auch deshalb bietet das Aufkommen der Sozialen Medien eine so machtvolle Chance. Indem wir als behinderte Menschen den Raum für unsere eigenen Geschichten einfordern, indem wir für das soziale Modell von Behinderung und dessen verschiedene Weltsichten eintreten, erobern wir uns die Kontrolle über das Narrativ zurück und zwingen die Welt, nicht nur das Konzept des individuellen Triumphs zu hinterfragen, sondern auch die Narrative, die seit Tausenden von Jahren über behinderte Menschen erzählt werden.
Und doch reichen diese Narrative viel tiefer, als uns bewusst ist. Wie die Dornenranken, die Dornröschens Schloss im Disney-Film überwuchern, haben sie ihre knorrigen Wurzeln tief in unterirdische Pfade geschlagen. Um zu verstehen, wie das medizinische und soziale Modell von Behinderung in unserem Alltag wirken und wie diese Modelle und Denkmuster Staaten auf sozialer, politischer und struktureller Ebene leiten, müssen wir auch verstehen, wie die überlieferten Erzählungen dazu beigetragen haben, die Vorstellung vom behinderten Anderen bestenfalls als Objekt von Mitleid und schlimmstenfalls als unsichtbarer Irgendjemand, kaum Vorhandener, zu etablieren.
In Care Work untersucht der*die Behindertenaktivist*in Leah Lakshmi Piepzna-Samarasinha den Aufstieg der Behindertenrechtsbewegung in Hinblick auf die spezifischen Belange und Erfahrungen Schwarzer, PoC und queerer Behindertenpolitiken. Anhand von Narrativen behinderter BIPoC, die Gewalt und Missbrauch erlebt haben, geht Piepzna-Samarasinha einer Frage nach, die in den meisten