Unsichtbare Architektur. Inge Podbrecky
auf dem „Toten Krieger“, einem symbolhaften „Grab des Unbekannten Soldaten“ erbaut. Das Äußere des Burgtors sollte den Wettbewerbsbedingungen entsprechend nicht verändert werden. Es ist unklar, auf wessen Veranlassung diese (im Übrigen dann nicht eingehaltene) Auflage erfolgte; der entsprechende Akt des Bundesdenkmalamts ist unauffindbar.160 Der Respekt vor dem bestehenden Burgtor als Denkmal der Armee ging hier Hand in Hand mit der Absicht, die Ausgaben gering zu halten: Das Denkmal solle, so hieß es, dem „Schönheitssinn des Österreichers“ und zugleich den „wirtschaftlichen Verhältnissen“ angepasst werden.161 Mit Wondraceks Einführung einer großen Halle über der Durchfahrt und mit den beiden seitlichen Treppen, die zur Halle führen, waren jedoch Konsequenzen für den Außenbau unumgänglich (Abbildung 23).
Als fortifikatorisches Tor mit fünf mittleren Durchfahrten und ursprünglich zwei flankierenden Hallen war das Burgtor typologisch Vorbildern aus der oberitalienischen Festungsarchitektur im Umkreis von Jacopo Sansovino und Michele Sanmicheli verpflichtet. Peter von Nobile entwarf einen symmetrischen Torbau aus drei miteinander verbundenen Einheiten, einer mittleren fünfachsigen, etwas überhöhten Durchfahrt und zwei flankierenden Torwächterhäusern, alle mit Flachdächern (Abbildung 18). Diese drei Elemente haben zur Vorstadt hin eine gemeinsame Baulinie, während an der Stadtseite die Türhäuser als kräftige Risalite vortreten. Ebenso unterschiedlich ist die Detailgestaltung der beiden Fassaden: Die Vorstadtseite (Abbildung 18) verzichtet auf eine Säulenordnung, greift mit den mittleren Arkaden und den seitlichen Thermenfenstern mit Bossenquader-Einfassungen Elemente der „architecture parlante“ französischer Provenienz auf und betont das fortifikatorische Element. Über dem umlaufenden Triglyphenfries trägt die Mittelattika die Inschrift „Franciscus I. Imperator Austriae MDCCCXXIV“. Die Stadtseite hingegen wird von der dorischen Ordnung der vorgelegten Säulenhallen dominiert; zur Hofburg hin wurde die Devise Kaiser Franz’ I. angebracht („Iustitia regnorum fundamentum“; Abbildung 19).
Abbildung 19: Burgtor, Fassade zum Heldenplatz
Abbildung 20: Karl Friedrich Schinkel, Neue Wache, Berlin; Umbau von Heinrich Tessenow 1931 (Foto Ansgar Koreng/de.wikipedia.org)
Die symbolische Vorkodierung prädestinierte das Burgtor für eine neuerliche Überschreibung. Aber welche Rolle spielte in diesem Zusammenhang die vorhandene Architektur, wie passte sie in das christlichsoziale Denkmalkonzept von 1933/1934? 1881 waren Klagen laut geworden, dass das Burgtor „seit dem Wegfall der Bastionen gegenstandslos geworden“ sei.162 Genau diese Freistellung und der daraus resultierende Funktionsverlust haben aber die Neuinterpretation des Burgtors als Denkmalbau erst möglich gemacht. Die Rezeption der von Nobile am Burgtor verwendeten Stilformen, vor allem der „Kubische Stil“,163 mag noch 1934 als Repräsentationsstil des Hofbaurats und damit als „imperialer Stil“ rezipiert worden sein, der das öffentliche Bauen des Vormärz dominiert hatte, so dass auch hier eine Tradition in die von den Denkmalbetreibern glorifizierte Epoche des habsburgischen Neoabsolutismus zurückreichte. Die dorische Säulenordnung an der Burgseite, nach Renate Wagner-Rieger hier zum ersten Mal in Wien verwendet, wirkt stark archäologisierend, insbesondere in Zusammenhang mit Nobiles nahe gelegenem Theseustempel im Volksgarten (1820–1823), einer verkleinerten Nachbildung des Theseions in Athen.164 Die traditionelle Interpretation der Dorica als männliche, soldatische Ordnung mag hier auch eine Rolle gespielt haben.165
Eine Anregung für den Burgtorumbau könnte Heinrich Tessenows Umbau der Neuen Wache Unter den Linden in Berlin (1931) gewesen sein (Abbildung 20). Der Bau dient heute als zentrale Gedenkstätte Deutschlands für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft.
Abbildung 21: Giovanni Muzio, Mailand, Sacrario ai Caduti (Denkmal für die Gefallenen), eröffnet 1928; it.wikipedia.org.
Auch die Neue Wache war zu Beginn des 19. Jahrhunderts errichtet worden, ähnlich wie das Wiener Burgtor als Reaktion auf die Napoleonischen Kriege, und sie lag unweit des königlichen Palais, so wie das Burgtor zum Umfeld der kaiserlichen Hofburg gehört.166
Als „zweites Wahrzeichen dieser Stadt [=Wiens, neben dem Stephansdom; d. A.], ein Symbol Österreichs“ bezeichnete die regimetreue Presse das Heldendenkmal im Burgtor.167 Auf die formale Seite der Architektur und ihre Eignung für den Zeitgeschmack gingen die Berichte des Jahres 1934 jedoch nicht ein. Abgesehen von der generell nationalen und militärischen Kodierung des Burgtors könnte sich ein erneuertes Interesse an Nobiles Klassizismus auf eine allgemeine Tendenz in der Architektur zurückführen lassen: Seit kurz vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich ein neuer, in verschiedenen Varianten auftretender Neoklassizismus etabliert, der bis in die 1930er Jahre als Gegentrend zum internationalen Funktionalismus weiter bestand. In Österreich war dieser Trend von Josef Hoffmanns Pavillons auf der Weltausstellung in Rom 1911 und auf der Werkbundausstellung in Köln 1914 eingeleitet worden, in Deutschland durch die Arbeiten von Tessenow und Behrens. In Italien arbeiteten die Architekten des Novecento mit unterschiedlichen Varianten des Neoklassizismus: Während Marcello Piacentini mit dem Palazzo di Giustizia in Messina (1912/1923–1928) als „literarisches“ Zitat des Brandenburger Tors in Berlin (1789–1793) gelten kann, gelangte Giovanni Muzio mit der stilisierten dorischen Kolonnade am Monumento ai Caduti in Mailand (1928, Abbildung 21) zu einer stärker ironisierenden Variante.
Der Otto-Wagner-Schüler Rudolf Perco veröffentlichte 1932 einen Text mit dem Titel „Auf dem Wege zur kommenden fünften Wiedergeburt der Antike“,168 in dem er nach römischer und romanischer Architektur, Renaissance und Empire – unterbrochen vom „Einfluss des irrationalen Orientalismus“ – das Vorbild antiker Harmonie propagierte und alle Versuche wie „dynamisches Bauen, technoides Bauen, […] Horizontalismus, […] alle Anleihen von Indiern [sic!], Chinesen, Afrikanern […], Schiffsbauern […]“ und Ähnliches ablehnte, denn „die Art des Menschen hat sich im Physiologischen und Psychologischen seit der Antike nicht geändert.“ Der Text zeigte eine konservative Identifikationsmöglichkeit jenseits der internationalen Moderne auf, der das klassizistische Burgtor mit seinem historischen Bestand bereits entsprach – ein symbolisches ready made, optimal geeignet zur neuerlichen Überformung. Dementsprechend setzte Perco in seinem Entwurf an das Burgtor zwei symmetrische Säulenhallen an, die quer über die Ringstraße ausgreifen sollten – eine Idee, die bereits in einem Entwurf Theophil Hansens für den Heldenplatz präfiguriert gewesen war.169
Abbildung 22: Rudolf Wondracek, Modell für den Umbau des Burgtors (HÜBNER, Heldendenkmal, 56)
Rudolf Wondraceks preisgekrönter Entwurf (Abbildung 22) tastete die Hauptfassaden des Burgtors nicht an, wohl aber die Seitenfassaden und das Innere. Im Zentrum von Wondraceks Entwurfs stand die zum Himmel hin offene Halle im Obergeschoß des Burgtors, die die Hauptachse des Semperschen Kaiserforums überbrückt, über zwei monumentale Treppen von den Schmalseiten zu begehen ist und die, „dem unruhigen Treiben des Alltags entrückt“, als eigentliche Ruhmeshalle der Armee dienen sollte (Abbildung 22, Abbildung