Unsichtbare Architektur. Inge Podbrecky
sollte sich mit den Ehrentempeln am Königsplatz in München einer vergleichbaren Pathosformel bedienen. Um die Treppen zugänglich zu machen, wurden je zwei Felder in gesamter Höhe aus den Seitenfassaden des Burgtors ausgebrochen. Dort, wo Nobiles Bau bis auf je ein Fenster und die hohen, schmalen Abstände zwischen Baukörper und Eckpfeilern der seitlichen Torwächterhallen wandhaft geschlossen war, wurden nun breite Zugänge zu den monumentalen Treppen aus der historischen Substanz ausgebrochen (Abbildung 23).
Abbildung 23: Burgtor, Seitenfassade, Zustand seit 1934
Das Innere des Torbaus wurde völlig ausgehöhlt und neu errichtet.170 Unter der Treppe im Nordwestflügel wurde ein katholischer Gedenkraum für die Gefallenen mit dem Grabmal des Unbekannten Soldaten eingerichtet. Hier lagen auch bis vor kurzem die „Heldenbücher“ mit den Namen der Gefallenen der Weltkriege auf.171 Im zweiten Flügel wurde ein nichtkatholischer Kultraum untergebracht, der auch als Aufbahrungsraum dienen sollte. Für die Errichtung der Ruhmeshalle musste das Bodenniveau der historischen Terrasse über der Torhalle tiefergelegt werden, was zu einer Nichtübereinstimmung zwischen Gesimshöhe am Außenbau und Bodenniveau im Inneren führte und außerdem ungünstige Auswirkungen auf die Decke der Durchfahrt hatte, die seither direkt und ohne weitere Vermittlung auf den dorischen Kapitellen aufsitzt (Abbildung 24).
Abbildung 24: Burgtor, Durchfahrt, Decke nach Umbau von 1934
Wondracek gestaltete auch das Vorfeld des Burgtors. Zu beiden Seiten des Tors wurden in der Einfriedung des Heldenplatzes an der Ringstraße breite, freistehende Mauern mit Tordurchlässen in den Achsen der beiden Denkmäler auf dem Platz errichtet. Die Torgewände, mit Axialbezug zu den Reiterdenkmälern auf dem Heldenplatz aufgestellt, werden von martialischen Adlerfiguren von Wilhelm Frass bekrönt. Durch die verstärkte Axialbindung erhoffte man sich eine stärkere inhaltliche Einbindung der Denkmäler des Türkensiegers Eugen von Savoyen und des Napoleon-Bezwingers Erzherzog Karl. Der Bezug zum Denkmal Maria Theresias und damit zur Dynastie der Habsburger auf dem Platz zwischen den Museen war durch den Axialbezug des Burgtors ohnedies bereits gegeben.172 Der Vorbereich des Denkmals zum Ring ist der einzige von außen sichtbare zeittypische Akzent aus dem Repertoire patriotisch-autoritärer Ikonografie, wie sie auch aus Deutschland oder Italien geläufig war.
Abbildung 25: Burgtor, Blick in die große Halle über der Durchfahrt (HÜBNER, Heldendenkmal, 55)
Der hauptsächlich am Burgtor beschäftigte Bildhauer war Wilhelm Frass, ein Bruder des Architekten und Otto-Wagner-Schülers Rudolf Frass. Wilhelm Frass schuf die 1,1 Meter hohen Soldatenköpfe an den Treppen, die „soldatische Tugenden versinnbildlichen“ sollten.173
Für die Figur des „Toten Kriegers“ in der Krypta, eine überlebensgroße Liegefigur aus Adneter Marmor, wurde Wilhelm Frass mit dem neu geschaffenen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet.174 Die Figur wurde als „Darstellung des Kriegertodes, also die Anonymität der Vielheit“, rezipiert.175 Wie sich später herausstellen sollte, war Bildhauer Wilhelm Frass 1933/1934 bereits illegaler Nationalsozialist.176 In der Ehrenhalle brachte Frass einen Lorbeerkranz und das Reichswappen von 1836 an, für die Wände schufen Herbert Drimmel und Leopold Schmid Steinschnittfriese nach einem militärisch-historischen Programm, ergänzt durch die Kriegerheiligen St. Georg und St. Michael „als Patrone männlicher Wehrhaftigkeit […]. Herb und sparsam mussten die Mittel des Ausdrucks sein, um eine Einheit zwischen Architektur und bildnerischer Darstellung zu erreichen.“177
Die Eröffnung des Heldendenkmals fand bereits unter dem austrofaschistischen Regime während des Katholikentags am 9. September 1934 in Gegenwart der Regierungsspitze mit einem Aufmarsch zahlreicher militärischer und ziviler Verbände statt. Kardinal Innitzer weihte das Denkmal im Rahmen einer Messe. Bundespräsident Miklas zählte die Reihe vaterländischer Helden auf – von Kaiser Franz Joseph als „Erster Soldat“ bis zu dem im Juli zuvor ermordeten Kanzler Dollfuß –, und er betonte neuerlich die Rolle Österreichs als „Bollwerk Europas“ und „Schutzwall für Europa“,178 die schon anlässlich des Türkengedenken 1933 eine zentrale Rolle gespielt hatten, aber auch aktuell in Abgrenzung gegen Sozialismus und Nationalsozialismus interpretiert werden konnten.
Trotz der massiven Eingriffe in die historische Substanz sind nur an den Seitenfronten des Burgtors Spuren der Intervention der austrofaschistischen Epoche sichtbar, eine Tatsache, die sich wohl dem Respekt vor den damals ideologisch genehmen früheren Widmungen und Gestaltungen verdankt, die aber auch in ihrer relativen ästhetisch-formalen Neutralität die späteren Überformungen der Zweiten Republik ermöglichten: 1965 wurde ein „Weiheraum für die Opfer im Kampfe um Österreichs Freiheit“ eingerichtet, so dass dem Burgtor eine antifaschistische Schicht zugefügt wurde, die es als Staatsdenkmal der Zweiten Republik qualifizierte. Entwerfer des Weiheraums war Robert Kramreiter, ein im Austrofaschismus vor allem von der Kirche viel beschäftigter Architekt, der nach seiner Rückkehr aus dem spanischen Exil in der Zweiten Republik wieder Fuß fassen konnte.
1934. Aus den Augen, aus dem Sinn? Eilige Denkmalbeseitigungen
Das Republikdenkmal
Unmittelbar nach der Niederschlagung der Sozialdemokratie im Februar 1934 gingen die Austrofaschisten an die Umgestaltung Republikdenkmals. Das Denkmal war 1928 anlässlich des zehnten Jahrestags der Ausrufung der Republik am 12. November 1918 an der Knickstelle der Ringstraße beim Parlament errichtet worden und blieb die einzige Intervention der Sozialdemokratie der Ersten Republik an der Ringstraße.179
Das Konzept des Denkmals (Abbildung 13) stammte von Anton Hanak. Es war von der Sozialdemokratischen Partei, den Gewerkschaften und der Arbeiterkammer beauftragt worden und enthielt auf ausdrücklichen Wunsch der Auftraggeber keine allegorische Darstellung – ein seltener Fall einer direkten Formvorschrift, die der Künstler keinesfalls guthieß, die aber möglicherweise ideologisch motiviert war: Durch die schlichte architektonische Konzeption in klaren, kubischen Formen und mit der Beschränkung der Skulptur auf die Porträtköpfe setzt sich das Denkmal von der traditionellen Typologie der figural betonten gründerzeitlichen Ringstraßendenkmäler deutlich ab, und mit der ausschließlichen Darstellung sozialdemokratischer Politiker bot es zwar Identifikationspotential für das Rote Wien, nicht aber für alle anderen Parteien der jungen Republik.
Das Denkmal besteht aus einem Stufensockel mit drei breiten, hohen und enggestellten Granitpfeilern sowie einem Überlager, so dass ein Motiv entsteht, das auf eine klassische Tempelfront anspielt, ohne sie zu zitieren. Das Überlager trägt die Inschrift: „Der Erinnerung an die Errichtung der Republik am 12. November 1918“. Vor den Pfeilern befinden sich Stelen mit Bronzeporträts von Jakob Reumann, dem ersten sozialdemokratischen Bürgermeister Wiens (von Franz Seifert, links), Victor Adler, dem Begründer der Sozialdemokratischen Partei (von Anton Hanak, Mitte) und Ferdinand Hanusch, einem Pionier der sozialdemokratischen Fürsorge (von Karl Wollek, heute Kopie von Mario Petrucci). „Ein Viktor-Adler-Denkmal“, konstatierte knapp die christlichsoziale „Reichspost“.180 „Das rote Wien feiert seine Republik“, jubelte die „Arbeiter-Zeitung“ anlässlich der Enthüllung. „Ein seltsam einfaches Kunstwerk, schlicht in der Form, wie es auch ein Symbol ist für schlichte Wahrheit […] ohne Zierat, ohne Ornament, ohne allegorisches Beiwerk, und trotzdem faszinierende Wirkung übend.“181 Tatsächlich war das Republikdenkmal ein nicht nur inhaltlicher, sondern