Unsichtbare Architektur. Inge Podbrecky

Unsichtbare Architektur - Inge Podbrecky


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Die Bandbreite reichte von einer Beschränkung auf eine einzelne Stele inmitten des Parkgrundstücks (2. Preis, J. Wenzel/Gudrun Baudisch) bis zu einem vom Steinkreis von Stonehenge inspirierten Projekt mit radial aufgestellten Monolithen und zentralem Kruckenkreuz (Ankauf, O. Beindl/H. Kröll). Eine offene, geschwungene Pergola von Karl Dirnhuber erinnerte an italienische Vorbilder (Abbildung 30), ein symmetrischer Aufbau von A. Chalousch versuchte eine sakralisierende Interpretation. Die Entscheidung für das Projekt von Theiss & Jaksch galt einem der fortschrittlicheren Entwürfe, zu denen auch jene von F. Kuhn/A. Wagner von der Mühl (3. Preis) und von F. Sammer/H. Richter (Ankauf) zählten.

      Abbildung 30: Karl Dirnhuber, Wettbewerbsprojekt für das Denkmal der Arbeit, 3. Preis (Profil 1935)

      Vom Siegerprojekt hat nur die Stele von Ferdinand Opitz überlebt. In halbfertigen Zustand – die Unterschneidungen der Reliefs wurden nicht fertiggestellt – wurde sie 1951 in einem Gemeindebau in Heiligenstadt aufgestellt, wo sie sich problemlos als Kunst-am-Bau in den Zusammenhang der kommunalen Nachkriegswohnhausanlage fügt (Abbildung 31).

      Abbildung 31: Heiligenstädter Straße 163, Ferdinand Opitz, Stele für das Denkmal der Arbeit, 1935 (unvollendet)

      Die Arbeitsdarstellungen auf der Stele sind weder inhaltlich noch formal spezifisch austrofaschistisch kodiert, ähnlich wie der seine Fesseln sprengende Arbeiter im Projekt zur Umgestaltung des Lassalledenkmals (siehe Seite 59 ff.). Opitz’ Darstellungen fügten sich nahtlos in die ikonografische Tradition der Arbeiterdarstellungen, die im Roten Wien begonnen hatte und die nach 1945 in den kommunalen Wohnbauten des wieder sozialdemokratisch regierten Wien fortgesetzt wurde.

       Die Überformung des Lassalledenkmals als „Befreiungsdenkmal“

      Das Denkmal für den bedeutenden Wortführer der deutschen Arbeiterbewegung, Ferdinand Lassalle, ging auf eine private Initiative zurück. Die Brigittenauer Arbeiterinnen und Arbeiten ließen es zum 25. Jubiläum ihres Parlamentsabgeordneten Wilhelm Ellenbogen errichten und finanzierten es aus eigenen Mitteln; es war also kein Denkmal der offiziellen Sozialdemokratie oder einer ihrer Institutionen.192 Aufstellungsort war der Platz vor dem Winarskyhof, im Arbeiterbezirk Brigittenau an der nördlichen Peripherie Wiens inmitten einer Gruppe von Gemeindebauten gelegen. Der Ort wurde mit dem Entwerfer des Winarskyhofs, Oskar Strnad, abgestimmt.193 In einem Text formulierte der Entwerfer Mario Petrucci, „ein von den Bluthunden des Faschismus seiner Heimat vertriebener italienischer Künstler“,194 er sei froh, dass er dieses Denkmal „frei vom Konventionalismus der vielgeliebten Sockeln, Hermen, Obelisken und Balustraden […] gestalten durfte.“195 Dies fiel sogar der konservativen Presse auf, die vermeldete: Petrucci wolle „mit der üblichen Denkmalschablone brechen […]. Dies ist ihm sehr gründlich gelungen.“196

      Der Künstler gestaltete einen dynamisch aus dem Pflaster des Platzes „herauswachsenden“, zwölf Meter hohen, geschwungenen und verjüngten, ebenfalls gepflasterten Sockel mit einer kleinen Tribüne auf halber Höhe und mit einer bekrönenden Porträtbüste Lassalles (Abbildung 32).

      Abbildung 32: Ferdinand-Lassalle-Denkmal (zerstört; historische Ansichtskarte, Wiener Stadt- und Landesarchiv, Fotoarchiv Gerlach, FC1: 4615M)

      Herausragendes Merkmal dieses Denkmals war die monumentale und expressive Dynamik, die durch das architektonische Element erzielt wurde. Die Architektur war auch Trägerin des Symbolwerts: Die Pflastersteine erwecken den Eindruck, das Monument schieße in einer gewaltigen dynamischen Eruption aus der Straße empor, ein Symbol der „Loslösung der Arbeiterschaft aus der bürgerlichen Gefolgschaft.“197 Die Darstellung Lassalles mit flammendem Haar unterstrich diesen dynamischen Aspekt. Verlagerung des Hauptakzents von der Denkmalskulptur zur Architektur als bestimmendes Medium hatte das Lassalledenkmal mit dem Republikdenkmal gemeinsam – auch als Unterscheidungsmerkmal zum herkömmlichen Figurendenkmal der Gründerzeit.

      So viel symbolische Brisanz und Eigenständigkeit scheint den Austrofaschisten trotz des zentrumsfernen Standorts des Denkmals ein Dorn im Auge gewesen zu sein. Vom 13. März 1934 ist ein Brief von Franz Effenberger, Obmann des Katholischen Männerbunds von Langenzersdorf, an den Bezirksvorsteher der Brigittenau erhalten, in dem Effenberger klagt, dass an dem Denkmal wegen seiner Lage nahe der Bahngleise „tausende Menschen vorüberkommen, weil ja alle Arbeiter- und Angestelltenzüge wie auch alle anderen Passagiere der Nord- und […] Nordwestbahnstrecke dort vorbeifahren müssen; ich selbst, als Bewohner von Langenzersdorf, gehöre auch zu diesen unfreiwilligen Lassalle-Pilgern. Seit Aufstellung dieses Judenkopfes vergeht kaum ein Tag, an dem nicht in der Bahn in jedem Waggon eine abfällige Äußerung irgendeines Österreichers über diese Unzier zu hören ist.“ Der Schreiber schlägt vor, den Lassallekopf zu entfernen, durch ein Kreuz zu ersetzen und eine Inschrift mit dem Wortlaut „Dem Gedenken an die Opfer ihrer Gesinnung gewidmet Februar 1934“ anzubringen. Gemeint waren natürlich die Opfer von Heimwehr und Exekutive, die im Februar 1934 gewaltsam gegen die Sozialdemokraten vorgegangen waren.198

      Im April 1934 wurden von der Stadt Wien Kostenvoranschläge für die Abtragung des Denkmals eingeholt, die sich als zu teuer erwies; mit seinem massiven Betonkern und den Granitsteinen war der Aufbau robuster als gedacht. Man einigte sich daher auf die Entfernung des Porträtkopfs und der Inschrift sowie der Gründungsurkunde, die dem Historischen Museum übergeben werden sollten. Aber zunächst wurden Büste und Inschrift nur verhüllt, der aussagekräftige Obelisk mit seiner starken symbolischen Bedeutung blieb bestehen.199 Er sollte nach dem Willen der austrofaschistischen Stadtverwaltung durch die Figur eines „Arbeiters, der die Fesseln des roten Terrors sprengt“, uminterpretiert werden. Diese Lösung regte der Bezirksvorsteher an, denn damit hätte „Wien sein erstes, imposantes und würdiges Befreiungsdenkmal.“200

      Abbildung 33: Josef Neubacher/Karl Philipp, Entwurf zur Umgestaltung des Lassalledenkmals (FELLER, Kunst-am-Bau, 282)

      Für den Entwurf zeichneten Josef Neubacher (Architektur) und Karl Philipp (Skulptur) verantwortlich (Abbildung 33). Auf die Tribüne des Obelisken stellten die Künstler eine frontal dargestellte männliche Figur, in langen Hosen, aber mit nacktem Oberkörper, was der geläufigen sozialdemokratischen Arbeiterikonografie entsprach und daher auf sehr ungeschickte Weise uneindeutig war: Breitbeinig und mit ausgestreckten Armen die gesprengten Fesseln präsentierend, hätte die Figur genauso gut die Befreiung des Arbeiters aus den Fesseln des Kapitalismus darstellen können. Daher war eine klärende Inschrift nötig: „Wien befreit/12. Februar 1934“, sollte sie lauten. Am Ende kam das Projekt nicht zur Ausführung, erst 1936 wurde die Büste entfernt, der Obelisk nach 1938 abgetragen.201

      Die Ikonografie des Arbeiters, der die Fesseln sprengt, war sowohl in der Sozialdemokratie als auch im Nationalsozialismus verbreitet.202 Vor allem im Rahmen der austrofaschistischen Denkmalkultur kommt es oft zu nahezu verblüffenden Überschneidungen bei den Ikonografien, aber auch hinsichtlich der Inschriften: Mit „Opfern“ konnten Opfer der Februarkämpfe auf beiden Seiten gemeint sein, für Außenstehende hätte sich die politische Orientierung des Denkmals mit der Arbeiterfigur nicht erschlossen. Der Künstler des monumentalen Lassalleporträts, Mario Petrucci, der auch nach dem Zweiten Weltkrieg für die Wiener Sozialdemokratie arbeiten


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