Unsichtbare Architektur. Inge Podbrecky
Abbildung 36: Rudolf Wondracek, Dollfußdenkmal St. Pölten (zerstört; www.austria-forum.org.)
Eine architektonische, oft sehr monumentale Sonderform des Dollfußmals waren die sogenannten Dollfußkreuze, die einerseits als Grabkreuze gedeutet werden können, andererseits unausgesprochen eine Verbindung zwischen dem „Opfertod“ Dollfuß’ und dem Tod Christi am Kreuz herstellten. In diesem Zusammenhang sind wiederum Dollfuß’ angebliche letzte Worte von Bedeutung. Das monumentale Kreuz an der Packer Höhenstraße (Entwurf Wilhelm Göser, Höhe acht Meter218) wirkte mit seiner schlanken Basis, dem nach oben hin verbreitertem Schaft und damit der Umkehrung der traditionellen Proportionsverhältnisse relativ modern. Der Querbalken trug die Inschrift „Christus regnat“, an der Basis war ein Wappenrelief eingearbeitet. Dollfußkreuze waren weit verbreitet, vielleicht auch, weil sie auch preiswert aus Holz gefertigt werden konnten. Es gab solche Kreuze zum Beispiel in Salzburg, auf dem Braunsberg nahe Hainburg, bei Werfenweng, in Klosterneuburg usw. Sogar die österreichische Siedlung Babenberg in Brasilien leistete sich ihr eigenes Dollfußkreuz.219
Die Überziehung Österreichs mit Dollfußdenkmälern unterschiedlichster künstlerischer Qualität war 1936 sogar dem „Profil“ zu viel. Angesichts von zweifelhaften Dollfußbüsten aus Zuckerguss und unfreiwillig komischen Schuschniggporträts in Marzipan und Schokolade (Abbildung 37) donnerte das ansonsten regimetreue Organ der Architektenvereinigung entschlossen: „Fort mit dem patriotischen Kitsch!“220
Abbildung 37: Dollfuß- und Schuschniggdarstellungen aus Marzipan, Zuckerguss und Schokolade (Profil 1936, 568)
Nationales Kanzlergedenken: Dollfußdenkmal oder „Dollfuß-Führerschule“?
Bald wurde der Wunsch nach einem größeren und gesamtnationalen Dollfußdenkmal laut. Die Bundesregierung richtete Spendenaufrufe an die Bevölkerung. Bald polarisierte sich die Diskussion: Sollte ein klassisches Monument errichtet werden oder ein Forum, das verschiedene Funktionen in einem großen Komplex bündeln konnte? Kanzler Schuschnigg war ein Verfechter der letzteren Version.221 Ein Vorschlag für einen gigantischen Memorialkomplex mit Denkmal, Kapelle und Ausbildungsstätten auf dem Kahlen- oder Leopoldsberg wurde nur kurz thematisiert.222 Die beiden Berge waren bereits zuvor mehrfach als Standorte projektierter Denkmalbauten im Gespräch gewesen.223
Weitere Anregungen datieren aus 1935, als die Witwe Alwine Dollfuß ein Denkmal im Umkreis des Bundeskanzleramts vorschlug. Über Form und Typ – Kapelle, Stadtbild, Porträt – sollte ein künstlerischer Ausschuss entscheiden, der einen Wettbewerb für alle österreichischen Künstler auszuschreiben hatte.224 Dieses Denkmal war zur wandfesten Anbringung an der Fassade des Bundeskanzleramts gedacht. Der Wettbewerb brachte kein Siegerprojekt; zwei zweite Preise gingen an Ernst Lichtblau und Peydl/Schilhab, die ihre Entwürfe überarbeiten sollten. Nicht zuletzt wegen der Schwierigkeiten einer Anbringung am Gebäude wurde das Projekt schließlich fallen gelassen.225
In der Folge wurden Denkmalidee und Projekt eines Dollfuß gewidmeten Infrastrukturbaus auf zwei Standorte aufgeteilt. Die „Dollfuß-Führerschule“ sollte nach einigem Hin und Her in stark reduzierter Form im Schönbrunner Fasangarten gebaut werden (siehe dazu Seite 70), das Denkmal war für den zentralen Ballhausplatz vorgesehen.
Das Dollfuß-Denkmal auf dem Ballhausplatz
Im Jahr 1936 wurde für ein Dollfußdenkmal auf dem Ballhausplatz durch das Denkmalkomitee der Vaterländischen Front ein beschränkten Wettbewerb ausgeschrieben, zu dem die Architekten Clemens Holzmeister, Eugen Kastner/Fritz Waage, Hermann Stiegholzer/Herbert Kastinger und Josef Heinzle/Stefan Simony eingeladen wurden.226 Der Ballhausplatz mit dem Bundeskanzleramt als Regierungssitz und mit der kaiserlichen Burg wurde als Zentrum der Macht, als „österreichischster aller Plätze“, so Kanzler Schuschnigg, gesehen.227 Aus den drei Entwürfen wählte nicht etwa eine Jury, sondern „der Frontführer [Schuschnigg, d. A.]“ selbst – weder das zurückhaltende Projekt von Heinzle/Simony noch die asymmetrische, moderne Lösung von Kastner & Waage, sondern das konservative und symmetrische Projekt von Clemens Holzmeister mit seinem sepulkralen Charakter (Abbildung 38).
Abbildung 38: Clemens Holzmeister, Projekt für ein Dollfußdenkmal auf dem Ballhausplatz (Profil 1936, 444)
Der geplante Standort dieses Denkmals, dessen Grundstein am 18. Oktober 1936 zusammen mit jenem des nahe gelegenen Hauses der Vaterländischen Front (siehe Seite 133) gelegt wurde, ist bis heute sichtbar: Eine rechteckige Ausnehmung des Volksgartens ist dort von einem Zaun umgeben, der links von einem Pfeiler aus den lanzenförmigen Gusseisenelementen der gründerzeitlichen Einfriedung besteht, während die stilistierten Lanzen rechts vom Pfeiler das Denkmalgebiet von 1936 ausgrenzen und bezeichnen (Abbildung 39).
Abbildung 39: Ballhausplatz, Einfriedung des Burggartens am geplanten Standort des Dollfußdenkmals
In der Ausnehmung, in die das Dollfußdenkmal zu stehen kommen sollte, befindet sich seit 2014 das Denkmal für die Opfer der NS-Justiz von Olaf Nikolai.
Clemens Holzmeister verlängerte in seinem Projekt die Löwelstraße bis zum Leopoldinischen Trakt der Hofburg. Dort schlug er im Anschluss an den Volksgarten ein 40 Meter langes, zehn Meter breites und um zwei Meter tiefer gelegtes Rasenparterre mit seitlichen Treppen vor (Abbildung 40), das mit einem hohen Gitter umschlossen werden sollte. Diese Umfriedung hätte in Verlängerung des Leopoldinischen Trakts und entlang der Außenseite des Denkmals den Ballhausplatz vom Heldenplatz getrennt.228 Diese Absperrung hätte nicht nur den Regierungssitz gesichert, sondern auch in bestürzender Weise den Ausschluss der Öffentlichkeit von den am Ballhausplatz autoritär geführten Regierungsgeschäften abgebildet.
Abbildung 40: Clemens Holzmeister, Projekt für das Dollfußdenkmal am Ballhausplatz, Lageplan (Profil 1936, 445)
Inmitten des Parterres projektierte Holzmeister einen Werksteinsockel mit einem Kruckenkreuz, der einen etwas vorkragenden liegenden Steinblock mit den Maßen 10 mal 3,5 mal 2,3 Metern tragen sollte. An seiner Frontseite war ein Steinrelief geplant, das den Kanzler als Schöpfer des „Neuen Österreich“ inmitten der Jugend und der Stände zeigen sollte. Die Oberkante des Reliefsteins sollte bündig mit der Einfriedung abschließen. Mit dem Block, der in seiner Aufstellung als überdimensionale Altarmensa oder als Sarkophag erschien, und der Vertiefung im Rasenparterre, das nach Norden durch eine Baumreihe abgeschlossen wurde, paraphrasierte der Entwurf in vordergründiger Symbolik eine monumentalisierte Grabstätte.
Weitaus transparenter erschien der Entwurf von Kastner & Waage, der den Platz nach Norden und Westen hin zwar durch Mauern abschloss, über breite Tore mit Gittereinsätzen aber Sichtverbindungen in die Umgebung ermöglichte. Das eigentliche Denkmal war im Nordwesten der Anlage außermittig positioniert: Ein in die Umfassungsmauer integrierter, rechteckiger Pavillon in der beschriebenen Ausnehmung des Volksgartens, der im