Parodontologie von A bis Z. Peter Eickholz
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Gingivale Rezessionen | 8 |
Einleitung
Bei parodontal normalen Verhältnissen liegt der Gingivarand etwa 0,5 bis 1 mm koronal der Schmelz-Zement-Grenze. Der Zahnhalteapparat bedeckt die Zahnwurzeln vollständig (Abb. 1). Wenn es infolge von Parodontitis zu erheblichen Attachmentverlusten und Knochenabbau gekommen ist, zieht sich zumeist auch die Gingiva zurück, und die Zahnhälse werden freigelegt. Es entstehen Rezessionen. Nach Parodontitistherapie und daraus resultierendem Abschwellen des Gewebes tritt dieser Effekt häufig noch deutlicher zutage (Abb. 2).
Abb. 1 Klinisch entzündungsfreie Gingiva einer 26-jährigen Frau: Es liegen keine Zahnhälse frei.
Abb. 2 Zustand 2 Jahre nach systematischer Therapie einer generalisierten Parodontitis (Stadium III, Grad C) bei einer 50-jährigen Patientin: Im Oberkiefer und im Unterkieferfrontzahnbereich liegen zirkulär die Zahnhälse frei (gingivale Rezessionen RT2 und RT3).
In der Nomenklatur werden gingivale Rezessionen ohne (Rezessionstyp [RT] 1) und mit approximalem Attachmentverlust (RT2 und RT3) unterschieden1. RT1 bezeichnet dabei Attachmentverluste und Knochenabbau streng fazial und/oder oral bei intaktem approximalem Gewebe (Abb. 3).
Abb. 3 Patientin mit generalisierten gingivalen Rezessionen (RT1) im Ober- und Unterkiefer bei völlig intaktem interdentalem Gewebe.
Betrachtet man die Prävalenz dieser beiden Rezessionsformen, so zeigt sich, dass in einem Kollektiv ohne individuelle Plaquekontrolle und mit genereller Gingivitisprävalenz zirkuläre Rezessionen (RT2 und RT3) vorherrschen2, während bei nordeuropäischen Akademikern mit umfassender zahnärztlicher Versorgung und effektiver individueller Mundhygiene die Häufigkeit von Rezessionen insgesamt geringer ist. In dieser Gruppe werden überwiegend gingivale Rezessionen vom Typ RT1 (oral/fazial) gefunden, während approximaler Attachmentverlust (RT2 und RT3) selten ist3. Aus dieser Beobachtung lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass fazialen/oralen und approximalen (zirkulären) Rezessionen unterschiedliche ätiologische Mechanismen zugrunde liegen. Während gingivale Rezessionen mit approximalem Attachmentverlust, insbesondere RT3, in den allermeisten Fällen infolge einer Gewebezerstörung durch Parodontitis auftreten, spielt in der Pathogenese der fazialen/oralen Rezessionen vom Typ RT1 eine traumatisierende Putztechnik eine wesentliche Rolle. Es werden auslösende und prädisponierende pathogenetische Faktoren unterschieden.
Prädisponierende pathogenetische Faktoren
Knöcherne Dehiszenzen
Zu den anatomischen Normvarianten des Parodonts gehören knöcherne Dehiszenzen, das heißt Stellen, an denen die Zahnwurzel bukkal oder oral nicht von Knochen bedeckt ist (Abb. 4). An diesen Stellen ist die Gingiva zumeist dünn und fragil und deshalb anfällig für Traumata wie auch für plaqueinduzierte Entzündung.
Abb. 4 Intraoperative Ansicht einer knöchernen Dehiszenz bukkal von Zahn 32 am Boden einer Rezession vom Typ RT2.
Phänotypen der Gingiva
Das Erscheinungsbild der Gingiva zeigt deutliche interindividuelle Variationen. Es lassen sich verschiedene genetisch determinierte Phänotypen der Gingiva, insbesondere hinsichtlich der Schleimhautdicke, unterscheiden. Schlanke Zahnformen sind mit dünner, fragiler Gingiva und eher quadratische Zahnkronen mit dicker und breiter Gingiva assoziiert. Individuen mit eher dicker, derber Gingiva weisen im Durchschnitt höhere Sondierungstiefen auf4. Während eine dicke, derbe Gingiva mechanische Traumata besser toleriert und auf subgingivale Infektion eher mit Taschenbildung als mit Rezessionen reagiert, prädisponieren die Phänotypen mit dünner Gingiva zur Rezessionsbildung1.
Marginal einstrahlende Lippen- und Wangenbändchen
Die Durchführung einer effektiven und atraumatischen Plaquekontrolle kann durch marginal einstrahlende Lippen- und Wangenbändchen lokal behindert werden (Abb. 5). Werden Lippe bzw. Wange durch die Zahnbürste abgedrängt, spannen sich diese Schleimhautbänder und springen ins Vestibulum vor. Deshalb können sie die korrekte Bürstbewegung (z. B. Bass-Technik) behindern. Dies kann zum einen dazu führen, dass an der betreffenden Stelle nicht effektiv geputzt wird, sich Plaque akkumuliert und eine subgingivale Infektion entsteht. Zum anderen kann eine primär horizontale Schrubbtechnik resultieren, bei der das Bändchen nicht stört, aber die Gingiva traumatisiert wird. Die subgingivale Infektion wie auch die traumatisierende Putztechnik können zur Entstehung gingivaler Rezessionen führen.
Abb. 5 Interdental der Zähne 11 und 21 marginal einstrahlendes Oberlippenbändchen.
Auslösende pathogenetische Faktoren
Traumatisierende Putztechnik
Mechanische Faktoren sind der Hauptauslöser gingivaler Rezessionen. Hier steht eine traumatisierende Putztechnik mit zu hohem Anpressdruck und horizontaler Bewegungsrichtung im Vordergrund. Oft sind insbesondere Zähne betroffen, die sich an exponierter Stelle befinden, wie die Eckzähne (Abb. 6), bei denen die Zahnreihe ihre Richtung ändert. Deshalb wird der Anpressdruck der Zahnbürste ungleichmäßig verteilt. Häufig zeigen die freigelegten Wurzeloberflächen horizontale Rillen (Abb. 6) oder sogar keilförmige Defekte. Es konnte gezeigt werden, dass die Prävalenz fazialer/oraler Rezessionen bei Verwendung von Zahnbürsten mit harten Borsten erhöht war5. Aber auch Manipulationen an der Gingiva und oraler Schmuck (Piercings)6 können die Ursache von Rezessionen sein.